Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Fra Girolamo in Malainoeco sollte dir einprägen, daß dn auch im Traume
mein Weib bist, mir preßt es das Herz ab, wenn ich dich beim Erwachen so
verstört und traurig sehen muß und ein Blick auf mich fällt, als wäre ich dir
ganz und für immer fremd.

Du hast den Blick heute sicher nicht wahrgenommen! erwiederte sie und
lehnte sich an seine Schulter. Marenntonio wehrte sie sanft ab und sagte dann:
Weil du schon, der Himmel weiß wie lange, ans mich gesehen, ehe ich erwachte!
lind damit wandte er sich gegen die Thür, um in die Dämmerung hinaus¬
zutreten. Margherita eilte ihm nach und sah ihn mit bittendem Gesicht an,
er widerstand ihr nicht mehr, sondern nahm den Kuß, den ihm ihre Lippen
boten, und ging mit erhellten Zügen den Strand hinab.

Das junge Weib aber atmete, sowie sie allein war, hoch auf und eilte wieder
zum Fenster, durch welches jetzt ein purpurner Schein hereinleuchtete nud auch
ihr bleiches Gesicht rosig anhauchte. Sie horte die Schritte ihres Mannes draußen
über den Kies und Muschelsand der Düne klingen und sah ihn, lange nach.
Dann aber wandte sie ihren Blick abermals nach Norden, wo die grauen Früh¬
wolken eben von, Licht des neuen Tages dnrchglänzt wurden. Doch wie scharf
sie auch spähte, ihr Auge drang nicht über die große breite Flut hinweg, und
kein frischer Hauch, der ihr wie eine tröstliche Botschaft erschienen wäre, wehte
an diesem wälschen Svnunermvrgen vou den Bergen im Norden herüber. Bor
dem innern Blicke Margheritas stiegen wechselndeBilder auf, ihre dunkelblauen
Angen ruhten träumerisch auf denselben. So oft sie zu sich kam, durchzuckte
es sie, daß Mareantonio Recht habe: sie war undankbar und ungerecht gegen
den Mann, der sein einziges Glück in ihrem Besitz fand, gegen die Seinen, unter
denen sie jahrelang emporgewachsen war, bei denen sie einst Schutz, Frieden,
dürftiges Brot und Rettung vor unsäglichem Elend gefunden hatte, das ihr
junges Leben bedrohte. Aber sie wußten alle nicht, auch Tvnio nicht, was
sie tief in der Erinnerung verschlossen hielt, was ihr Tages die Seele erfüllte
und ihr Nachts die Ruhe raubte, wie es heute wieder geschehen war. Gewalt
sam riß sie sich aus ihrem wachen Traum und schickte sich nu, ihres Mannes
Geheiß wegen des Netzes zu erfüllen. Sie trat zu diesem Zweck vor die Hütte
und ließ sich mit dem Netz aus ein paar rvhvehauenen Steinblöcken nieder, welche
an der Nordwnud des kleinen Baues unter einem hölzernen schattengebenden
Vordach lagen. Sie beugte sich ans die groben Maschen des Netzes herab und
ergänzte die Lücken derselben mit gewandter Hand und mit unermiidlicher Ge¬
duld, das Frühlicht glänzte dabei über ihr dunkelblondes Haar, das in freien
Wellen und mir mit einem roten Baude lose zusammengeknüpft auf den ge¬
beugten Nacken herabhing. Ihr Gesicht war von seltner Schönheit, die reine
zarte Hautfarbe von Sonne und Meerhauch nur leicht gebräunt, ihre schlanke
Gestalt minder kräftig und üppig, als die der andern Fischerfrauen vom Lido.
Die fremde Nbknnft stand ihr nicht nur in ihren Zügen und Augen geschrieben,


Fra Girolamo in Malainoeco sollte dir einprägen, daß dn auch im Traume
mein Weib bist, mir preßt es das Herz ab, wenn ich dich beim Erwachen so
verstört und traurig sehen muß und ein Blick auf mich fällt, als wäre ich dir
ganz und für immer fremd.

Du hast den Blick heute sicher nicht wahrgenommen! erwiederte sie und
lehnte sich an seine Schulter. Marenntonio wehrte sie sanft ab und sagte dann:
Weil du schon, der Himmel weiß wie lange, ans mich gesehen, ehe ich erwachte!
lind damit wandte er sich gegen die Thür, um in die Dämmerung hinaus¬
zutreten. Margherita eilte ihm nach und sah ihn mit bittendem Gesicht an,
er widerstand ihr nicht mehr, sondern nahm den Kuß, den ihm ihre Lippen
boten, und ging mit erhellten Zügen den Strand hinab.

Das junge Weib aber atmete, sowie sie allein war, hoch auf und eilte wieder
zum Fenster, durch welches jetzt ein purpurner Schein hereinleuchtete nud auch
ihr bleiches Gesicht rosig anhauchte. Sie horte die Schritte ihres Mannes draußen
über den Kies und Muschelsand der Düne klingen und sah ihn, lange nach.
Dann aber wandte sie ihren Blick abermals nach Norden, wo die grauen Früh¬
wolken eben von, Licht des neuen Tages dnrchglänzt wurden. Doch wie scharf
sie auch spähte, ihr Auge drang nicht über die große breite Flut hinweg, und
kein frischer Hauch, der ihr wie eine tröstliche Botschaft erschienen wäre, wehte
an diesem wälschen Svnunermvrgen vou den Bergen im Norden herüber. Bor
dem innern Blicke Margheritas stiegen wechselndeBilder auf, ihre dunkelblauen
Angen ruhten träumerisch auf denselben. So oft sie zu sich kam, durchzuckte
es sie, daß Mareantonio Recht habe: sie war undankbar und ungerecht gegen
den Mann, der sein einziges Glück in ihrem Besitz fand, gegen die Seinen, unter
denen sie jahrelang emporgewachsen war, bei denen sie einst Schutz, Frieden,
dürftiges Brot und Rettung vor unsäglichem Elend gefunden hatte, das ihr
junges Leben bedrohte. Aber sie wußten alle nicht, auch Tvnio nicht, was
sie tief in der Erinnerung verschlossen hielt, was ihr Tages die Seele erfüllte
und ihr Nachts die Ruhe raubte, wie es heute wieder geschehen war. Gewalt
sam riß sie sich aus ihrem wachen Traum und schickte sich nu, ihres Mannes
Geheiß wegen des Netzes zu erfüllen. Sie trat zu diesem Zweck vor die Hütte
und ließ sich mit dem Netz aus ein paar rvhvehauenen Steinblöcken nieder, welche
an der Nordwnud des kleinen Baues unter einem hölzernen schattengebenden
Vordach lagen. Sie beugte sich ans die groben Maschen des Netzes herab und
ergänzte die Lücken derselben mit gewandter Hand und mit unermiidlicher Ge¬
duld, das Frühlicht glänzte dabei über ihr dunkelblondes Haar, das in freien
Wellen und mir mit einem roten Baude lose zusammengeknüpft auf den ge¬
beugten Nacken herabhing. Ihr Gesicht war von seltner Schönheit, die reine
zarte Hautfarbe von Sonne und Meerhauch nur leicht gebräunt, ihre schlanke
Gestalt minder kräftig und üppig, als die der andern Fischerfrauen vom Lido.
Die fremde Nbknnft stand ihr nicht nur in ihren Zügen und Augen geschrieben,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194441"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1708" prev="#ID_1707"> Fra Girolamo in Malainoeco sollte dir einprägen, daß dn auch im Traume<lb/>
mein Weib bist, mir preßt es das Herz ab, wenn ich dich beim Erwachen so<lb/>
verstört und traurig sehen muß und ein Blick auf mich fällt, als wäre ich dir<lb/>
ganz und für immer fremd.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1709"> Du hast den Blick heute sicher nicht wahrgenommen! erwiederte sie und<lb/>
lehnte sich an seine Schulter. Marenntonio wehrte sie sanft ab und sagte dann:<lb/>
Weil du schon, der Himmel weiß wie lange, ans mich gesehen, ehe ich erwachte!<lb/>
lind damit wandte er sich gegen die Thür, um in die Dämmerung hinaus¬<lb/>
zutreten. Margherita eilte ihm nach und sah ihn mit bittendem Gesicht an,<lb/>
er widerstand ihr nicht mehr, sondern nahm den Kuß, den ihm ihre Lippen<lb/>
boten, und ging mit erhellten Zügen den Strand hinab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1710" next="#ID_1711"> Das junge Weib aber atmete, sowie sie allein war, hoch auf und eilte wieder<lb/>
zum Fenster, durch welches jetzt ein purpurner Schein hereinleuchtete nud auch<lb/>
ihr bleiches Gesicht rosig anhauchte. Sie horte die Schritte ihres Mannes draußen<lb/>
über den Kies und Muschelsand der Düne klingen und sah ihn, lange nach.<lb/>
Dann aber wandte sie ihren Blick abermals nach Norden, wo die grauen Früh¬<lb/>
wolken eben von, Licht des neuen Tages dnrchglänzt wurden. Doch wie scharf<lb/>
sie auch spähte, ihr Auge drang nicht über die große breite Flut hinweg, und<lb/>
kein frischer Hauch, der ihr wie eine tröstliche Botschaft erschienen wäre, wehte<lb/>
an diesem wälschen Svnunermvrgen vou den Bergen im Norden herüber. Bor<lb/>
dem innern Blicke Margheritas stiegen wechselndeBilder auf, ihre dunkelblauen<lb/>
Angen ruhten träumerisch auf denselben.  So oft sie zu sich kam, durchzuckte<lb/>
es sie, daß Mareantonio Recht habe: sie war undankbar und ungerecht gegen<lb/>
den Mann, der sein einziges Glück in ihrem Besitz fand, gegen die Seinen, unter<lb/>
denen sie jahrelang emporgewachsen war, bei denen sie einst Schutz, Frieden,<lb/>
dürftiges Brot und Rettung vor unsäglichem Elend gefunden hatte, das ihr<lb/>
junges Leben bedrohte.  Aber sie wußten alle nicht, auch Tvnio nicht, was<lb/>
sie tief in der Erinnerung verschlossen hielt, was ihr Tages die Seele erfüllte<lb/>
und ihr Nachts die Ruhe raubte, wie es heute wieder geschehen war. Gewalt<lb/>
sam riß sie sich aus ihrem wachen Traum und schickte sich nu, ihres Mannes<lb/>
Geheiß wegen des Netzes zu erfüllen. Sie trat zu diesem Zweck vor die Hütte<lb/>
und ließ sich mit dem Netz aus ein paar rvhvehauenen Steinblöcken nieder, welche<lb/>
an der Nordwnud des kleinen Baues unter einem hölzernen schattengebenden<lb/>
Vordach lagen. Sie beugte sich ans die groben Maschen des Netzes herab und<lb/>
ergänzte die Lücken derselben mit gewandter Hand und mit unermiidlicher Ge¬<lb/>
duld, das Frühlicht glänzte dabei über ihr dunkelblondes Haar, das in freien<lb/>
Wellen und mir mit einem roten Baude lose zusammengeknüpft auf den ge¬<lb/>
beugten Nacken herabhing.  Ihr Gesicht war von seltner Schönheit, die reine<lb/>
zarte Hautfarbe von Sonne und Meerhauch nur leicht gebräunt, ihre schlanke<lb/>
Gestalt minder kräftig und üppig, als die der andern Fischerfrauen vom Lido.<lb/>
Die fremde Nbknnft stand ihr nicht nur in ihren Zügen und Augen geschrieben,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] Fra Girolamo in Malainoeco sollte dir einprägen, daß dn auch im Traume mein Weib bist, mir preßt es das Herz ab, wenn ich dich beim Erwachen so verstört und traurig sehen muß und ein Blick auf mich fällt, als wäre ich dir ganz und für immer fremd. Du hast den Blick heute sicher nicht wahrgenommen! erwiederte sie und lehnte sich an seine Schulter. Marenntonio wehrte sie sanft ab und sagte dann: Weil du schon, der Himmel weiß wie lange, ans mich gesehen, ehe ich erwachte! lind damit wandte er sich gegen die Thür, um in die Dämmerung hinaus¬ zutreten. Margherita eilte ihm nach und sah ihn mit bittendem Gesicht an, er widerstand ihr nicht mehr, sondern nahm den Kuß, den ihm ihre Lippen boten, und ging mit erhellten Zügen den Strand hinab. Das junge Weib aber atmete, sowie sie allein war, hoch auf und eilte wieder zum Fenster, durch welches jetzt ein purpurner Schein hereinleuchtete nud auch ihr bleiches Gesicht rosig anhauchte. Sie horte die Schritte ihres Mannes draußen über den Kies und Muschelsand der Düne klingen und sah ihn, lange nach. Dann aber wandte sie ihren Blick abermals nach Norden, wo die grauen Früh¬ wolken eben von, Licht des neuen Tages dnrchglänzt wurden. Doch wie scharf sie auch spähte, ihr Auge drang nicht über die große breite Flut hinweg, und kein frischer Hauch, der ihr wie eine tröstliche Botschaft erschienen wäre, wehte an diesem wälschen Svnunermvrgen vou den Bergen im Norden herüber. Bor dem innern Blicke Margheritas stiegen wechselndeBilder auf, ihre dunkelblauen Angen ruhten träumerisch auf denselben. So oft sie zu sich kam, durchzuckte es sie, daß Mareantonio Recht habe: sie war undankbar und ungerecht gegen den Mann, der sein einziges Glück in ihrem Besitz fand, gegen die Seinen, unter denen sie jahrelang emporgewachsen war, bei denen sie einst Schutz, Frieden, dürftiges Brot und Rettung vor unsäglichem Elend gefunden hatte, das ihr junges Leben bedrohte. Aber sie wußten alle nicht, auch Tvnio nicht, was sie tief in der Erinnerung verschlossen hielt, was ihr Tages die Seele erfüllte und ihr Nachts die Ruhe raubte, wie es heute wieder geschehen war. Gewalt sam riß sie sich aus ihrem wachen Traum und schickte sich nu, ihres Mannes Geheiß wegen des Netzes zu erfüllen. Sie trat zu diesem Zweck vor die Hütte und ließ sich mit dem Netz aus ein paar rvhvehauenen Steinblöcken nieder, welche an der Nordwnud des kleinen Baues unter einem hölzernen schattengebenden Vordach lagen. Sie beugte sich ans die groben Maschen des Netzes herab und ergänzte die Lücken derselben mit gewandter Hand und mit unermiidlicher Ge¬ duld, das Frühlicht glänzte dabei über ihr dunkelblondes Haar, das in freien Wellen und mir mit einem roten Baude lose zusammengeknüpft auf den ge¬ beugten Nacken herabhing. Ihr Gesicht war von seltner Schönheit, die reine zarte Hautfarbe von Sonne und Meerhauch nur leicht gebräunt, ihre schlanke Gestalt minder kräftig und üppig, als die der andern Fischerfrauen vom Lido. Die fremde Nbknnft stand ihr nicht nur in ihren Zügen und Augen geschrieben,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/463>, abgerufen am 29.06.2024.