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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fischerin von Malainocco.

sorglos schlief und nicht ahnte, wie lange sie schon an seiner Seite fehlte und
wie oft sie bereits zwischen dein Lager und dem offnen Fenster hin- und her-
gegangen war. Ihr leichter Tritt drang so wenig ins Ohr des Schlummernden
wie der schwere Seufzer, mit dein sie in die Sommernacht hinausblickte. Sie
konnte von hier aus die dunkle rollende Flut wahrnehmen, und ihr Gesicht ward,
so oft sie der Öffnung in der Mnner zuschritt, zur See hiuttber und nordwärts
gekehrt. Von Zeit zu Zeit trieb es das junge Weib zu dem verlassenen Lager
zurück, sie stützte ein paarmal ihre Hand uns den Rand des Bettes und besann
sich, ob sie ihren Platz wieder einnehmen solle. Und dann trat sie doch aufs
neue hinweg zum Fenster und wartete mit sehnsüchtiger Unruhe auf das erste
dämmernde Grün des Sommertages, welches draußen über dem Meere auf¬
gehen mußte. Sie faltete ihre Hände fest über eiueiu schimmernd goldnen Kreuze,
das von ihrem Halse herabhing und das sie vorhin, als sie sich mit dem leinenen
Gewände umhüllte, nicht in diesem Gewände verborgen hatte, wie sie sonst zu
thun pflegte. Mehr wie einmal führte sie das Kleinod, das so wenig in diese
Fischerhütte zu passen schien wie die prächtige bunte Decke des Bettes, mit krampf¬
hafter Inbrunst an ihre Lippe" und hob es gegen deu gestirnten Nachthimmel
empor. Jedesmal aber warf sie dabei einen scheuen Blick nach dem Schläfer
zurück, der von Zeit zu Zeit sich im Schlummer umwandte.

Und jetzt, nach Verlans von mehr als eiuer Stunde, welche sie in dieser
stummen Unruhe verbracht, begann von draußen eine kühlere Luft in das Ge¬
mach zu schwellen. Über dem adriatischen Meere wandelte sich das dunkle Blau
des Nachthimmels allmählich in Gran, ein ferner roter Streifen verkündete die
Nähe des Sonnenaufgangs. Und wie sie sich im" weit ans der Fensteröffnung
bog und hoch aufatmend das Gemach hinter sich anßer Acht ließ, wie ihre Augen
immer unverwnudter über die Flut hinblickteu, geschah, was sie vorhin befürchtet
hatte. Der junge Mann auf dem Lager richtete sich halben Leibes empor, sein
dunkles Auge blitzte hellauf und nach der Frau hinüber. Ein lauter Anruf,
halb verwundert, schmerzlich, halb zürnend: Margherita! was thust du dort
wieder? schlug nu das Ohr der Traumverlornen und schreckte sie ins Gemach
zurück. Sie sprach leise ein paar Worte in deutscher Sprache vor sich hin und
dünn kniete sie bei dem Bett nieder und streckte dem jungen Manne ihre Hände
bittend entgegen. Der Ausdruck seiner Züge hatte sich, wie er seiner klarer
bewußt ward, immer mehr verfinstert, ihr bleiches Gesicht und ihre bebenden
Lippen schienen ihm mehr zu sagen, als ein dritter daraus entnommen hätte.
Als ob er von ihr, die kein Wort gesprochen, hart gekränkt worden sei, wandte
er sich hinweg, und als sie ihm zurief: Sei nicht zornig, Antonio, mir ward es
zu schwül, und mich verlangte so sehr nach Morgenluft! da entgegnete er grollend:
Meinst du, ich wüßte uicht, warum es dir zu heiß geworden ist und warum
dn vor Tage nach dem Meere hinansstarrst? Du warst wieder einmal hinweg
von mir -- aus unserm Hause und bei dir daheim! Die Würde hier sind dir


GreuzvvN-it IV. 1382. 5L
Die Fischerin von Malainocco.

sorglos schlief und nicht ahnte, wie lange sie schon an seiner Seite fehlte und
wie oft sie bereits zwischen dein Lager und dem offnen Fenster hin- und her-
gegangen war. Ihr leichter Tritt drang so wenig ins Ohr des Schlummernden
wie der schwere Seufzer, mit dein sie in die Sommernacht hinausblickte. Sie
konnte von hier aus die dunkle rollende Flut wahrnehmen, und ihr Gesicht ward,
so oft sie der Öffnung in der Mnner zuschritt, zur See hiuttber und nordwärts
gekehrt. Von Zeit zu Zeit trieb es das junge Weib zu dem verlassenen Lager
zurück, sie stützte ein paarmal ihre Hand uns den Rand des Bettes und besann
sich, ob sie ihren Platz wieder einnehmen solle. Und dann trat sie doch aufs
neue hinweg zum Fenster und wartete mit sehnsüchtiger Unruhe auf das erste
dämmernde Grün des Sommertages, welches draußen über dem Meere auf¬
gehen mußte. Sie faltete ihre Hände fest über eiueiu schimmernd goldnen Kreuze,
das von ihrem Halse herabhing und das sie vorhin, als sie sich mit dem leinenen
Gewände umhüllte, nicht in diesem Gewände verborgen hatte, wie sie sonst zu
thun pflegte. Mehr wie einmal führte sie das Kleinod, das so wenig in diese
Fischerhütte zu passen schien wie die prächtige bunte Decke des Bettes, mit krampf¬
hafter Inbrunst an ihre Lippe» und hob es gegen deu gestirnten Nachthimmel
empor. Jedesmal aber warf sie dabei einen scheuen Blick nach dem Schläfer
zurück, der von Zeit zu Zeit sich im Schlummer umwandte.

Und jetzt, nach Verlans von mehr als eiuer Stunde, welche sie in dieser
stummen Unruhe verbracht, begann von draußen eine kühlere Luft in das Ge¬
mach zu schwellen. Über dem adriatischen Meere wandelte sich das dunkle Blau
des Nachthimmels allmählich in Gran, ein ferner roter Streifen verkündete die
Nähe des Sonnenaufgangs. Und wie sie sich im» weit ans der Fensteröffnung
bog und hoch aufatmend das Gemach hinter sich anßer Acht ließ, wie ihre Augen
immer unverwnudter über die Flut hinblickteu, geschah, was sie vorhin befürchtet
hatte. Der junge Mann auf dem Lager richtete sich halben Leibes empor, sein
dunkles Auge blitzte hellauf und nach der Frau hinüber. Ein lauter Anruf,
halb verwundert, schmerzlich, halb zürnend: Margherita! was thust du dort
wieder? schlug nu das Ohr der Traumverlornen und schreckte sie ins Gemach
zurück. Sie sprach leise ein paar Worte in deutscher Sprache vor sich hin und
dünn kniete sie bei dem Bett nieder und streckte dem jungen Manne ihre Hände
bittend entgegen. Der Ausdruck seiner Züge hatte sich, wie er seiner klarer
bewußt ward, immer mehr verfinstert, ihr bleiches Gesicht und ihre bebenden
Lippen schienen ihm mehr zu sagen, als ein dritter daraus entnommen hätte.
Als ob er von ihr, die kein Wort gesprochen, hart gekränkt worden sei, wandte
er sich hinweg, und als sie ihm zurief: Sei nicht zornig, Antonio, mir ward es
zu schwül, und mich verlangte so sehr nach Morgenluft! da entgegnete er grollend:
Meinst du, ich wüßte uicht, warum es dir zu heiß geworden ist und warum
dn vor Tage nach dem Meere hinansstarrst? Du warst wieder einmal hinweg
von mir — aus unserm Hause und bei dir daheim! Die Würde hier sind dir


GreuzvvN-it IV. 1382. 5L
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/461>, abgerufen am 29.06.2024.