Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Reliefs von Gjölbcischi.

einen die Darstellung durchschneidenden Rahmen; zumeist aber ist er geschickt in
die Darstellung einbezogen, z. B. indem er die eine Hälfte eines Säulcnschasts
vorstellt, dessen andre Hälfte der anstoßende Stein liefert. Wahrscheinlich haben
verschiedene Hände daran gearbeitet, und es ist fraglich, ob man einen Meister
und verschiedene Gehilfen annehmen dürfe. So bemerkt matt in der eine Jagd
vorstellenden Partie als Spezialität eine besondre Vorliebe für bewegte Gewandung
nild höchste Amilnt und Virtuosität in deren Behandlung. In einem andern
Teile, der Stadtbelagernng, fallen die groß angelegte Komposition und ein ent¬
schieden malerischer Zug ans, während eine dritte Partie sich an Vasenbilder
anlehnt. Attische Schule und Nnchwirtuug der Partheilvnskulptnren dünken uus
unverkennbar, doch ebenso schon eine mehr ausgesprochene Neigung zum Indi-
vidualisiren.

Wie die meisten Darstellungen durch hohe Schönheit, so fesseln sie ohne
Ausnahme gegenständlich. Es ist begreiflich, daß Schönborn bei der Seeschlacht,
der Landung, der Erstürmung einer festen Stadt an Troja dachte, und Schlie-
mann würde wohl nicht verlegen sein, alle Figuren mit Namen ans der Ilias
zu belegen. Allein man sucht vergebens nach bestimmten Beziehungen. Nichts¬
destoweniger ist die Belagerung interessant. Da dringen Krieger über Wall und
Graben vor, schleichen sich in das tief eingeschnittene und perspektivisch behandelte
ünßere (spitzbogige) Thor, dann in das innere, rücken mit ihren Schilden gedeckt
gegen die innere Befestigung, von der aus die Belagerten sich mit Steinen und
Wurfgeschosseu verteidigen. Aber der Ausgang ist nicht zweifelhaft. Merk¬
würdigerweise dehnt sich hier die Handlang über die beiden übereinaudergestellteu
Relief'streifen hin, aus den: untern die Angreifer, oben die Verteidiger. Von
der Jagd (Meleagers?) war schon die Rede. Unter bekannte Personen aber
versetzt uns unzweifelhaft eine weitere Darstellung des oberen Streifens. Da
steht Odysseus mit gespanntem Bogen, neben ihm Telemachos, während sich
Enmaivs sachte hinansdrückt, um Waffen zu holen. Die Freier sind gelagert:
schon getroffen, sich aufraffend, im Rausch eingeschlafen, wie der herabhängende
Arm und der zu Boden gefallene Becher verraten. Auch Penelope und die
Mägde fehlen nicht.

Das Überraschendste ist, daß die Steine bedeutend besser erhalten sind, als
man sich nach den Photographien vorgestellt hatte.

Unsere Mitteilungen, aus der Erinnerung an eine erste Besichtigung der
Reliefs niedergeschrieben, sind möglicherweise in Einzelheiten ungenau. Den Ge-
samteindruck geben sie treu wieder. Und sind einmal die Steine, welche jetzt
flach auf dem Fnßlmdeii eines Depotraumes im kunsthistorischen Hofnuisenm
liegen, "in gehöriger Höhe," wie Schönborn sagt, und in gehörigem Lichte auf¬
gestellt, so wird sich auch sein Nachsatz vollauf bestätigen, daß sie "jedem
Mnsennl zu einer wahren Zierde gereichen würden, wie reich es auch sonst
ausgestattet sein mag."




Die Reliefs von Gjölbcischi.

einen die Darstellung durchschneidenden Rahmen; zumeist aber ist er geschickt in
die Darstellung einbezogen, z. B. indem er die eine Hälfte eines Säulcnschasts
vorstellt, dessen andre Hälfte der anstoßende Stein liefert. Wahrscheinlich haben
verschiedene Hände daran gearbeitet, und es ist fraglich, ob man einen Meister
und verschiedene Gehilfen annehmen dürfe. So bemerkt matt in der eine Jagd
vorstellenden Partie als Spezialität eine besondre Vorliebe für bewegte Gewandung
nild höchste Amilnt und Virtuosität in deren Behandlung. In einem andern
Teile, der Stadtbelagernng, fallen die groß angelegte Komposition und ein ent¬
schieden malerischer Zug ans, während eine dritte Partie sich an Vasenbilder
anlehnt. Attische Schule und Nnchwirtuug der Partheilvnskulptnren dünken uus
unverkennbar, doch ebenso schon eine mehr ausgesprochene Neigung zum Indi-
vidualisiren.

Wie die meisten Darstellungen durch hohe Schönheit, so fesseln sie ohne
Ausnahme gegenständlich. Es ist begreiflich, daß Schönborn bei der Seeschlacht,
der Landung, der Erstürmung einer festen Stadt an Troja dachte, und Schlie-
mann würde wohl nicht verlegen sein, alle Figuren mit Namen ans der Ilias
zu belegen. Allein man sucht vergebens nach bestimmten Beziehungen. Nichts¬
destoweniger ist die Belagerung interessant. Da dringen Krieger über Wall und
Graben vor, schleichen sich in das tief eingeschnittene und perspektivisch behandelte
ünßere (spitzbogige) Thor, dann in das innere, rücken mit ihren Schilden gedeckt
gegen die innere Befestigung, von der aus die Belagerten sich mit Steinen und
Wurfgeschosseu verteidigen. Aber der Ausgang ist nicht zweifelhaft. Merk¬
würdigerweise dehnt sich hier die Handlang über die beiden übereinaudergestellteu
Relief'streifen hin, aus den: untern die Angreifer, oben die Verteidiger. Von
der Jagd (Meleagers?) war schon die Rede. Unter bekannte Personen aber
versetzt uns unzweifelhaft eine weitere Darstellung des oberen Streifens. Da
steht Odysseus mit gespanntem Bogen, neben ihm Telemachos, während sich
Enmaivs sachte hinansdrückt, um Waffen zu holen. Die Freier sind gelagert:
schon getroffen, sich aufraffend, im Rausch eingeschlafen, wie der herabhängende
Arm und der zu Boden gefallene Becher verraten. Auch Penelope und die
Mägde fehlen nicht.

Das Überraschendste ist, daß die Steine bedeutend besser erhalten sind, als
man sich nach den Photographien vorgestellt hatte.

Unsere Mitteilungen, aus der Erinnerung an eine erste Besichtigung der
Reliefs niedergeschrieben, sind möglicherweise in Einzelheiten ungenau. Den Ge-
samteindruck geben sie treu wieder. Und sind einmal die Steine, welche jetzt
flach auf dem Fnßlmdeii eines Depotraumes im kunsthistorischen Hofnuisenm
liegen, „in gehöriger Höhe," wie Schönborn sagt, und in gehörigem Lichte auf¬
gestellt, so wird sich auch sein Nachsatz vollauf bestätigen, daß sie „jedem
Mnsennl zu einer wahren Zierde gereichen würden, wie reich es auch sonst
ausgestattet sein mag."




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194437"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Reliefs von Gjölbcischi.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1690" prev="#ID_1689"> einen die Darstellung durchschneidenden Rahmen; zumeist aber ist er geschickt in<lb/>
die Darstellung einbezogen, z. B. indem er die eine Hälfte eines Säulcnschasts<lb/>
vorstellt, dessen andre Hälfte der anstoßende Stein liefert. Wahrscheinlich haben<lb/>
verschiedene Hände daran gearbeitet, und es ist fraglich, ob man einen Meister<lb/>
und verschiedene Gehilfen annehmen dürfe. So bemerkt matt in der eine Jagd<lb/>
vorstellenden Partie als Spezialität eine besondre Vorliebe für bewegte Gewandung<lb/>
nild höchste Amilnt und Virtuosität in deren Behandlung. In einem andern<lb/>
Teile, der Stadtbelagernng, fallen die groß angelegte Komposition und ein ent¬<lb/>
schieden malerischer Zug ans, während eine dritte Partie sich an Vasenbilder<lb/>
anlehnt. Attische Schule und Nnchwirtuug der Partheilvnskulptnren dünken uus<lb/>
unverkennbar, doch ebenso schon eine mehr ausgesprochene Neigung zum Indi-<lb/>
vidualisiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1691"> Wie die meisten Darstellungen durch hohe Schönheit, so fesseln sie ohne<lb/>
Ausnahme gegenständlich. Es ist begreiflich, daß Schönborn bei der Seeschlacht,<lb/>
der Landung, der Erstürmung einer festen Stadt an Troja dachte, und Schlie-<lb/>
mann würde wohl nicht verlegen sein, alle Figuren mit Namen ans der Ilias<lb/>
zu belegen. Allein man sucht vergebens nach bestimmten Beziehungen. Nichts¬<lb/>
destoweniger ist die Belagerung interessant. Da dringen Krieger über Wall und<lb/>
Graben vor, schleichen sich in das tief eingeschnittene und perspektivisch behandelte<lb/>
ünßere (spitzbogige) Thor, dann in das innere, rücken mit ihren Schilden gedeckt<lb/>
gegen die innere Befestigung, von der aus die Belagerten sich mit Steinen und<lb/>
Wurfgeschosseu verteidigen. Aber der Ausgang ist nicht zweifelhaft. Merk¬<lb/>
würdigerweise dehnt sich hier die Handlang über die beiden übereinaudergestellteu<lb/>
Relief'streifen hin, aus den: untern die Angreifer, oben die Verteidiger. Von<lb/>
der Jagd (Meleagers?) war schon die Rede. Unter bekannte Personen aber<lb/>
versetzt uns unzweifelhaft eine weitere Darstellung des oberen Streifens. Da<lb/>
steht Odysseus mit gespanntem Bogen, neben ihm Telemachos, während sich<lb/>
Enmaivs sachte hinansdrückt, um Waffen zu holen. Die Freier sind gelagert:<lb/>
schon getroffen, sich aufraffend, im Rausch eingeschlafen, wie der herabhängende<lb/>
Arm und der zu Boden gefallene Becher verraten. Auch Penelope und die<lb/>
Mägde fehlen nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1692"> Das Überraschendste ist, daß die Steine bedeutend besser erhalten sind, als<lb/>
man sich nach den Photographien vorgestellt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1693"> Unsere Mitteilungen, aus der Erinnerung an eine erste Besichtigung der<lb/>
Reliefs niedergeschrieben, sind möglicherweise in Einzelheiten ungenau. Den Ge-<lb/>
samteindruck geben sie treu wieder. Und sind einmal die Steine, welche jetzt<lb/>
flach auf dem Fnßlmdeii eines Depotraumes im kunsthistorischen Hofnuisenm<lb/>
liegen, &#x201E;in gehöriger Höhe," wie Schönborn sagt, und in gehörigem Lichte auf¬<lb/>
gestellt, so wird sich auch sein Nachsatz vollauf bestätigen, daß sie &#x201E;jedem<lb/>
Mnsennl zu einer wahren Zierde gereichen würden, wie reich es auch sonst<lb/>
ausgestattet sein mag."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] Die Reliefs von Gjölbcischi. einen die Darstellung durchschneidenden Rahmen; zumeist aber ist er geschickt in die Darstellung einbezogen, z. B. indem er die eine Hälfte eines Säulcnschasts vorstellt, dessen andre Hälfte der anstoßende Stein liefert. Wahrscheinlich haben verschiedene Hände daran gearbeitet, und es ist fraglich, ob man einen Meister und verschiedene Gehilfen annehmen dürfe. So bemerkt matt in der eine Jagd vorstellenden Partie als Spezialität eine besondre Vorliebe für bewegte Gewandung nild höchste Amilnt und Virtuosität in deren Behandlung. In einem andern Teile, der Stadtbelagernng, fallen die groß angelegte Komposition und ein ent¬ schieden malerischer Zug ans, während eine dritte Partie sich an Vasenbilder anlehnt. Attische Schule und Nnchwirtuug der Partheilvnskulptnren dünken uus unverkennbar, doch ebenso schon eine mehr ausgesprochene Neigung zum Indi- vidualisiren. Wie die meisten Darstellungen durch hohe Schönheit, so fesseln sie ohne Ausnahme gegenständlich. Es ist begreiflich, daß Schönborn bei der Seeschlacht, der Landung, der Erstürmung einer festen Stadt an Troja dachte, und Schlie- mann würde wohl nicht verlegen sein, alle Figuren mit Namen ans der Ilias zu belegen. Allein man sucht vergebens nach bestimmten Beziehungen. Nichts¬ destoweniger ist die Belagerung interessant. Da dringen Krieger über Wall und Graben vor, schleichen sich in das tief eingeschnittene und perspektivisch behandelte ünßere (spitzbogige) Thor, dann in das innere, rücken mit ihren Schilden gedeckt gegen die innere Befestigung, von der aus die Belagerten sich mit Steinen und Wurfgeschosseu verteidigen. Aber der Ausgang ist nicht zweifelhaft. Merk¬ würdigerweise dehnt sich hier die Handlang über die beiden übereinaudergestellteu Relief'streifen hin, aus den: untern die Angreifer, oben die Verteidiger. Von der Jagd (Meleagers?) war schon die Rede. Unter bekannte Personen aber versetzt uns unzweifelhaft eine weitere Darstellung des oberen Streifens. Da steht Odysseus mit gespanntem Bogen, neben ihm Telemachos, während sich Enmaivs sachte hinansdrückt, um Waffen zu holen. Die Freier sind gelagert: schon getroffen, sich aufraffend, im Rausch eingeschlafen, wie der herabhängende Arm und der zu Boden gefallene Becher verraten. Auch Penelope und die Mägde fehlen nicht. Das Überraschendste ist, daß die Steine bedeutend besser erhalten sind, als man sich nach den Photographien vorgestellt hatte. Unsere Mitteilungen, aus der Erinnerung an eine erste Besichtigung der Reliefs niedergeschrieben, sind möglicherweise in Einzelheiten ungenau. Den Ge- samteindruck geben sie treu wieder. Und sind einmal die Steine, welche jetzt flach auf dem Fnßlmdeii eines Depotraumes im kunsthistorischen Hofnuisenm liegen, „in gehöriger Höhe," wie Schönborn sagt, und in gehörigem Lichte auf¬ gestellt, so wird sich auch sein Nachsatz vollauf bestätigen, daß sie „jedem Mnsennl zu einer wahren Zierde gereichen würden, wie reich es auch sonst ausgestattet sein mag."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/459>, abgerufen am 29.06.2024.