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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Lremdwörterseuche.

Ich wünschte, daß sie mir das, was ich hier sage, recht übel nehmen
möchten, damit sie ihren Zorn und Ärger in ihren Blättern über mich aus¬
schütteten, und ein Wehe, Steinige und Kreuzige nach dein andern über
mich ausstießen. So würden doch ihre Leser endlich etwas von der Sache
merken, und dünn müßten sie anfangen sich zu bessern. Zu bessern? Sollte
es wirklich möglich sein? Mein Glaube ist schwach. Denn seit mehr als zwei
Jahrhunderten hat man es ihnen vorgehalten, und sie haben sich nicht gebessert.
Schon Gottsched rief verzweifelt aus: "Wer will der Barbarey unsrer Publi-
cisten ein Ziel stecken?" Wenn sie -- meint er -- nur erst einmal anfingen,
nur ein wenig guten Willen bethätigten, "so würde man sich gar bald auch
aller übrigen ausländischen Brocken entschütten können und den zulänglicher
Reichthum unserer Sprache zur Genüge gewahr werden. Aber wer will der
Barbarei) unsrer Publizisten ein Ziel stecken?"^) Und lange vor Gottsched
schon war die Sache gerade so. Schon 1044 wurde in dem zu Straßburg
erschienenen "Teutschen Sprach-Ehren-Krautz" (S. 337) geklagt, daß die
"Zeitungs-Schreiber vngezwungen vnd vngetruugeu die teutsche Sprach inuth
williger weiß verderben" mit so viel Französisch, Italienisch und Spanisch,
daß "solche Zeitung kein Teutscher verstehen kan." Es ist so, den Zeitungs¬
schreibern und Tageblättlern kommt seit drittehalb Jahrhunderten der Löwen¬
anteil am Verderb der Sprache zu.

Das Bild, welches ich in den bisher gegebenen Ausführungen von der
deutschen Sprache, wie sie heutzutage so vielfach gesprochen und geschrieben
wird, zu zeichnen suchte, ist wahrlich schlimm genug. Die Frage ergiebt sich
von selbst: Ist diese also durchsetzte und dnrchflickte Sprache überhaupt noch
deutsch zu nennen? Schlecht genng steht sie dem neuen deutschen Reiche zu
Gesichte. Kein Einwand, kein Vvrwnnd, keine Entschuldigung kann diesen
jämmerlichen Unfug beschönigen, der umso jämmerlicher ist, als es so leicht
wäre, ihn zu vermeiden. Man muß ihn nur vermeiden wollen, und er ist
vermieden.

Aber eben weil sie bloß ein Gegenstand des guten Willens ist, ist die
Sache so entehrend für uns. Schämt man sich denn nicht vor dein Auslande?
Zum Glück kennt man im Auslande unsre Sprache oft nur aus den höchsten
Dichterwerken, und man ist dann voll von Bewunderung für sie. Wie ich denn
selbst zu Florenz Zeuge einer Unterhaltung war, die damit endigte, daß einer
der Teilnehmer erklärte: Il" UnFua tsävsos. ö 1a xiü riooa v Iivlla vus o'v.
Aber nicht jeder Ausländer ist dieser Ansicht, daß die deutsche Sprache die
reichste und schönste sei, die es giebt; und so sehr mich diese Anerkennung er¬
freut Und mit gerechtem Stolze erfüllt hatte, so war ich innerlich doch aufs
tiefste beschämt, sobald ich an jene Wortmeugerei dachte, unter der unsre Sprache



*) Teutsche Sprachkunst u. s. w. S. 197.
Die Lremdwörterseuche.

Ich wünschte, daß sie mir das, was ich hier sage, recht übel nehmen
möchten, damit sie ihren Zorn und Ärger in ihren Blättern über mich aus¬
schütteten, und ein Wehe, Steinige und Kreuzige nach dein andern über
mich ausstießen. So würden doch ihre Leser endlich etwas von der Sache
merken, und dünn müßten sie anfangen sich zu bessern. Zu bessern? Sollte
es wirklich möglich sein? Mein Glaube ist schwach. Denn seit mehr als zwei
Jahrhunderten hat man es ihnen vorgehalten, und sie haben sich nicht gebessert.
Schon Gottsched rief verzweifelt aus: „Wer will der Barbarey unsrer Publi-
cisten ein Ziel stecken?" Wenn sie — meint er — nur erst einmal anfingen,
nur ein wenig guten Willen bethätigten, „so würde man sich gar bald auch
aller übrigen ausländischen Brocken entschütten können und den zulänglicher
Reichthum unserer Sprache zur Genüge gewahr werden. Aber wer will der
Barbarei) unsrer Publizisten ein Ziel stecken?"^) Und lange vor Gottsched
schon war die Sache gerade so. Schon 1044 wurde in dem zu Straßburg
erschienenen „Teutschen Sprach-Ehren-Krautz" (S. 337) geklagt, daß die
„Zeitungs-Schreiber vngezwungen vnd vngetruugeu die teutsche Sprach inuth
williger weiß verderben" mit so viel Französisch, Italienisch und Spanisch,
daß „solche Zeitung kein Teutscher verstehen kan." Es ist so, den Zeitungs¬
schreibern und Tageblättlern kommt seit drittehalb Jahrhunderten der Löwen¬
anteil am Verderb der Sprache zu.

Das Bild, welches ich in den bisher gegebenen Ausführungen von der
deutschen Sprache, wie sie heutzutage so vielfach gesprochen und geschrieben
wird, zu zeichnen suchte, ist wahrlich schlimm genug. Die Frage ergiebt sich
von selbst: Ist diese also durchsetzte und dnrchflickte Sprache überhaupt noch
deutsch zu nennen? Schlecht genng steht sie dem neuen deutschen Reiche zu
Gesichte. Kein Einwand, kein Vvrwnnd, keine Entschuldigung kann diesen
jämmerlichen Unfug beschönigen, der umso jämmerlicher ist, als es so leicht
wäre, ihn zu vermeiden. Man muß ihn nur vermeiden wollen, und er ist
vermieden.

Aber eben weil sie bloß ein Gegenstand des guten Willens ist, ist die
Sache so entehrend für uns. Schämt man sich denn nicht vor dein Auslande?
Zum Glück kennt man im Auslande unsre Sprache oft nur aus den höchsten
Dichterwerken, und man ist dann voll von Bewunderung für sie. Wie ich denn
selbst zu Florenz Zeuge einer Unterhaltung war, die damit endigte, daß einer
der Teilnehmer erklärte: Il» UnFua tsävsos. ö 1a xiü riooa v Iivlla vus o'v.
Aber nicht jeder Ausländer ist dieser Ansicht, daß die deutsche Sprache die
reichste und schönste sei, die es giebt; und so sehr mich diese Anerkennung er¬
freut Und mit gerechtem Stolze erfüllt hatte, so war ich innerlich doch aufs
tiefste beschämt, sobald ich an jene Wortmeugerei dachte, unter der unsre Sprache



*) Teutsche Sprachkunst u. s. w. S. 197.
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[0454] Die Lremdwörterseuche. Ich wünschte, daß sie mir das, was ich hier sage, recht übel nehmen möchten, damit sie ihren Zorn und Ärger in ihren Blättern über mich aus¬ schütteten, und ein Wehe, Steinige und Kreuzige nach dein andern über mich ausstießen. So würden doch ihre Leser endlich etwas von der Sache merken, und dünn müßten sie anfangen sich zu bessern. Zu bessern? Sollte es wirklich möglich sein? Mein Glaube ist schwach. Denn seit mehr als zwei Jahrhunderten hat man es ihnen vorgehalten, und sie haben sich nicht gebessert. Schon Gottsched rief verzweifelt aus: „Wer will der Barbarey unsrer Publi- cisten ein Ziel stecken?" Wenn sie — meint er — nur erst einmal anfingen, nur ein wenig guten Willen bethätigten, „so würde man sich gar bald auch aller übrigen ausländischen Brocken entschütten können und den zulänglicher Reichthum unserer Sprache zur Genüge gewahr werden. Aber wer will der Barbarei) unsrer Publizisten ein Ziel stecken?"^) Und lange vor Gottsched schon war die Sache gerade so. Schon 1044 wurde in dem zu Straßburg erschienenen „Teutschen Sprach-Ehren-Krautz" (S. 337) geklagt, daß die „Zeitungs-Schreiber vngezwungen vnd vngetruugeu die teutsche Sprach inuth williger weiß verderben" mit so viel Französisch, Italienisch und Spanisch, daß „solche Zeitung kein Teutscher verstehen kan." Es ist so, den Zeitungs¬ schreibern und Tageblättlern kommt seit drittehalb Jahrhunderten der Löwen¬ anteil am Verderb der Sprache zu. Das Bild, welches ich in den bisher gegebenen Ausführungen von der deutschen Sprache, wie sie heutzutage so vielfach gesprochen und geschrieben wird, zu zeichnen suchte, ist wahrlich schlimm genug. Die Frage ergiebt sich von selbst: Ist diese also durchsetzte und dnrchflickte Sprache überhaupt noch deutsch zu nennen? Schlecht genng steht sie dem neuen deutschen Reiche zu Gesichte. Kein Einwand, kein Vvrwnnd, keine Entschuldigung kann diesen jämmerlichen Unfug beschönigen, der umso jämmerlicher ist, als es so leicht wäre, ihn zu vermeiden. Man muß ihn nur vermeiden wollen, und er ist vermieden. Aber eben weil sie bloß ein Gegenstand des guten Willens ist, ist die Sache so entehrend für uns. Schämt man sich denn nicht vor dein Auslande? Zum Glück kennt man im Auslande unsre Sprache oft nur aus den höchsten Dichterwerken, und man ist dann voll von Bewunderung für sie. Wie ich denn selbst zu Florenz Zeuge einer Unterhaltung war, die damit endigte, daß einer der Teilnehmer erklärte: Il» UnFua tsävsos. ö 1a xiü riooa v Iivlla vus o'v. Aber nicht jeder Ausländer ist dieser Ansicht, daß die deutsche Sprache die reichste und schönste sei, die es giebt; und so sehr mich diese Anerkennung er¬ freut Und mit gerechtem Stolze erfüllt hatte, so war ich innerlich doch aufs tiefste beschämt, sobald ich an jene Wortmeugerei dachte, unter der unsre Sprache *) Teutsche Sprachkunst u. s. w. S. 197.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/454>, abgerufen am 29.06.2024.