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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fremdwärterseuche.

vor dem großen Welsen beugen und aus Achtung vor seinem gewaltigen Geiste
solche Ausdrücke übersehen. Man übersieht sie von selbst, wenn man recht auf
den Inhalt seiner Schriften achtet. Wir geben es ja mich ohne weiteres zu,
daß uuter den Verfertigern der Zeitungen sich mancher befinden mag, der froh
ist, wenn er nur seine "häufig andringenden" und sonst ihm wieder entfallenden
Gedanken in aller Eile zu Papier gebracht hat. Auch wir sind froh, daß uns
diese kostbaren Gedanken wenigstens mitgeteilt werden und sehen wegen der
Paar fremden Ausdrücke, die dabei gebraucht wurden, nachsichtig durch die Finger.
Aber nicht jeder Tagesblättler ist ein zweiter Kant. Oft und täglich wird
einem eine sprachliche Sndelköcherei vorgesetzt, in der man selbst beim sorg¬
samsten Durchseien, Zerlegen, Kosten und Verspeisen keine Spur von Gedanken
entdeckt. Aber gerade die Sudelköche spicken ihre inhaltlose Kost über und über
mit allerlei fremden Brocken, daß es einem graust, und sie gerade behaupten,
sich nicht anders ausdrücken zu können und sich gerade so höchst vollkommen,
höchst vortrefflich und schön auszudrücken Einige meinen auch, die fremden
Wörter ließen sich schlechterdings nicht vermeiden, da die Leute die betreffenden
deutsche": Wörter ja nicht verstehen würden. Natürlich, wenn ihr alle Tage
zehnmal Diner, Courtoisie und Atelier drucken laßt, wer soll an: Ende noch
Mahl, Höflichkeit lind Werkstatt verstehen? Zwingt doch dnrch euern Vorgang
und euer Beispiel die Leute, daß sie sich auch an verlassene und verlorene
Glieder ihrer Muttersprache wieder gewöhnen. Das wäre ein würdiges Beginnen.

Andre wieder glauben offenbar, daß ein Übermaß von Pfeffer und Senf
ihren wässrigen Brei zu einem kräftigen und schmackhaften Gericht mache.
Auf diese Geister paßt wiederum, was Leibnitz schreibt: "Sagen sie, daß sie
nach vielem Nachsinnen und Nägelbeißen kein Teutsch gefunden, so ihre herrliche
Gedanken anszudriickell guts genugsam gewesen; so geben sie wahrlich mehr
die Armuth ihrer vermeinten Beredsamkeit, als die Vortreflichkeit ihrer Einfülle
zu erkennen."'") Das ist es. Es handelt sich viel weniger um Hast und Eile,
als um Armut und Ungeschick im deutschen Ausdruck. Die Tageblättler haben
für ihre Mischsprache in der That keine Entschuldigung. Sie haben zur Feder
gegriffen, ehe sie deutsch schreiben konnten, und thun nnn, als ob sie Herren
und Meister der Sprache wären. Mancher glaubts ihnen, Schnacke das
Kauderwälsch nach, einer steckt den andern an, und so verdirbt die Sprache
wehr und mehr. Die Zeitungsschreiber sind es, die hier täglich eine schwere
Verantwortung auf ihr Gewissen laden. Aber sie spüren sie nicht, denn sie
wissen nicht, was sie thun. So hat die übelste Angewöhnung sie verderbt,
daß sie nicht einmal mehr merken, was für schmutziges und stinkendes Wasser
sie über ihre Mühle gießen. Sie nehmen es noch übel, wenn einer einmal
sagt, daß es nicht rein sei und nicht wohl rieche.



*) Leibnizens Ermahnung an die Teutsche u. s. w. S. 17.
Grenzboten IV. 1882.
Die Fremdwärterseuche.

vor dem großen Welsen beugen und aus Achtung vor seinem gewaltigen Geiste
solche Ausdrücke übersehen. Man übersieht sie von selbst, wenn man recht auf
den Inhalt seiner Schriften achtet. Wir geben es ja mich ohne weiteres zu,
daß uuter den Verfertigern der Zeitungen sich mancher befinden mag, der froh
ist, wenn er nur seine „häufig andringenden" und sonst ihm wieder entfallenden
Gedanken in aller Eile zu Papier gebracht hat. Auch wir sind froh, daß uns
diese kostbaren Gedanken wenigstens mitgeteilt werden und sehen wegen der
Paar fremden Ausdrücke, die dabei gebraucht wurden, nachsichtig durch die Finger.
Aber nicht jeder Tagesblättler ist ein zweiter Kant. Oft und täglich wird
einem eine sprachliche Sndelköcherei vorgesetzt, in der man selbst beim sorg¬
samsten Durchseien, Zerlegen, Kosten und Verspeisen keine Spur von Gedanken
entdeckt. Aber gerade die Sudelköche spicken ihre inhaltlose Kost über und über
mit allerlei fremden Brocken, daß es einem graust, und sie gerade behaupten,
sich nicht anders ausdrücken zu können und sich gerade so höchst vollkommen,
höchst vortrefflich und schön auszudrücken Einige meinen auch, die fremden
Wörter ließen sich schlechterdings nicht vermeiden, da die Leute die betreffenden
deutsche»: Wörter ja nicht verstehen würden. Natürlich, wenn ihr alle Tage
zehnmal Diner, Courtoisie und Atelier drucken laßt, wer soll an: Ende noch
Mahl, Höflichkeit lind Werkstatt verstehen? Zwingt doch dnrch euern Vorgang
und euer Beispiel die Leute, daß sie sich auch an verlassene und verlorene
Glieder ihrer Muttersprache wieder gewöhnen. Das wäre ein würdiges Beginnen.

Andre wieder glauben offenbar, daß ein Übermaß von Pfeffer und Senf
ihren wässrigen Brei zu einem kräftigen und schmackhaften Gericht mache.
Auf diese Geister paßt wiederum, was Leibnitz schreibt: „Sagen sie, daß sie
nach vielem Nachsinnen und Nägelbeißen kein Teutsch gefunden, so ihre herrliche
Gedanken anszudriickell guts genugsam gewesen; so geben sie wahrlich mehr
die Armuth ihrer vermeinten Beredsamkeit, als die Vortreflichkeit ihrer Einfülle
zu erkennen."'") Das ist es. Es handelt sich viel weniger um Hast und Eile,
als um Armut und Ungeschick im deutschen Ausdruck. Die Tageblättler haben
für ihre Mischsprache in der That keine Entschuldigung. Sie haben zur Feder
gegriffen, ehe sie deutsch schreiben konnten, und thun nnn, als ob sie Herren
und Meister der Sprache wären. Mancher glaubts ihnen, Schnacke das
Kauderwälsch nach, einer steckt den andern an, und so verdirbt die Sprache
wehr und mehr. Die Zeitungsschreiber sind es, die hier täglich eine schwere
Verantwortung auf ihr Gewissen laden. Aber sie spüren sie nicht, denn sie
wissen nicht, was sie thun. So hat die übelste Angewöhnung sie verderbt,
daß sie nicht einmal mehr merken, was für schmutziges und stinkendes Wasser
sie über ihre Mühle gießen. Sie nehmen es noch übel, wenn einer einmal
sagt, daß es nicht rein sei und nicht wohl rieche.



*) Leibnizens Ermahnung an die Teutsche u. s. w. S. 17.
Grenzboten IV. 1882.
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[0453] Die Fremdwärterseuche. vor dem großen Welsen beugen und aus Achtung vor seinem gewaltigen Geiste solche Ausdrücke übersehen. Man übersieht sie von selbst, wenn man recht auf den Inhalt seiner Schriften achtet. Wir geben es ja mich ohne weiteres zu, daß uuter den Verfertigern der Zeitungen sich mancher befinden mag, der froh ist, wenn er nur seine „häufig andringenden" und sonst ihm wieder entfallenden Gedanken in aller Eile zu Papier gebracht hat. Auch wir sind froh, daß uns diese kostbaren Gedanken wenigstens mitgeteilt werden und sehen wegen der Paar fremden Ausdrücke, die dabei gebraucht wurden, nachsichtig durch die Finger. Aber nicht jeder Tagesblättler ist ein zweiter Kant. Oft und täglich wird einem eine sprachliche Sndelköcherei vorgesetzt, in der man selbst beim sorg¬ samsten Durchseien, Zerlegen, Kosten und Verspeisen keine Spur von Gedanken entdeckt. Aber gerade die Sudelköche spicken ihre inhaltlose Kost über und über mit allerlei fremden Brocken, daß es einem graust, und sie gerade behaupten, sich nicht anders ausdrücken zu können und sich gerade so höchst vollkommen, höchst vortrefflich und schön auszudrücken Einige meinen auch, die fremden Wörter ließen sich schlechterdings nicht vermeiden, da die Leute die betreffenden deutsche»: Wörter ja nicht verstehen würden. Natürlich, wenn ihr alle Tage zehnmal Diner, Courtoisie und Atelier drucken laßt, wer soll an: Ende noch Mahl, Höflichkeit lind Werkstatt verstehen? Zwingt doch dnrch euern Vorgang und euer Beispiel die Leute, daß sie sich auch an verlassene und verlorene Glieder ihrer Muttersprache wieder gewöhnen. Das wäre ein würdiges Beginnen. Andre wieder glauben offenbar, daß ein Übermaß von Pfeffer und Senf ihren wässrigen Brei zu einem kräftigen und schmackhaften Gericht mache. Auf diese Geister paßt wiederum, was Leibnitz schreibt: „Sagen sie, daß sie nach vielem Nachsinnen und Nägelbeißen kein Teutsch gefunden, so ihre herrliche Gedanken anszudriickell guts genugsam gewesen; so geben sie wahrlich mehr die Armuth ihrer vermeinten Beredsamkeit, als die Vortreflichkeit ihrer Einfülle zu erkennen."'") Das ist es. Es handelt sich viel weniger um Hast und Eile, als um Armut und Ungeschick im deutschen Ausdruck. Die Tageblättler haben für ihre Mischsprache in der That keine Entschuldigung. Sie haben zur Feder gegriffen, ehe sie deutsch schreiben konnten, und thun nnn, als ob sie Herren und Meister der Sprache wären. Mancher glaubts ihnen, Schnacke das Kauderwälsch nach, einer steckt den andern an, und so verdirbt die Sprache wehr und mehr. Die Zeitungsschreiber sind es, die hier täglich eine schwere Verantwortung auf ihr Gewissen laden. Aber sie spüren sie nicht, denn sie wissen nicht, was sie thun. So hat die übelste Angewöhnung sie verderbt, daß sie nicht einmal mehr merken, was für schmutziges und stinkendes Wasser sie über ihre Mühle gießen. Sie nehmen es noch übel, wenn einer einmal sagt, daß es nicht rein sei und nicht wohl rieche. *) Leibnizens Ermahnung an die Teutsche u. s. w. S. 17. Grenzboten IV. 1882.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/453>, abgerufen am 29.06.2024.