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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Fremdrvörterseuche.

Die widerwärtige Gewohnheit der Kaufleute, mit fremden Ausdrücken sich
zu spreizen, führt fort und fort zu neuen Erfindungen und Einführungen. Und
doch haben sie schon mehr als übergenug davon. Sie schreiben in ihre Läden

lixes und Detnilverkauf zu Engrospreisen, empfehlen ihre Comptoir-Uten-
silien in allen Qualitäten nach Preiskvurant, kreditiren zwar, aber setzen lieber
unter ihre Notas xour g-e^ne, und ziehen prinzipiell per voinMrnt, vor. Auch
die Gewerbtreibenden lieben es, ihre Waaren mit französischen und englischen
Benennungen zu versehen. Die Marken der Kleiderstoffe, der Hüte, Lichter,
Papiere, Briefdecken, Nadeln, Messer, Siegellacke und tausend ander Gegenstände
sind französisch oder englisch. Man kauft Reisekoffer, die in Berlin gefertigt
sind und auf denen 51o>v pate-ut oder "Wate-r prook steht, man kanst Offenbacher
Schreibemnppen, in denen Taschen für I^cleres ü, reponärv, Juno<zlopnc;8,
^untre8 ctg poLw und dergleichen mehr sind. Selbst ein Haus wie A. W. Fuder
macht lieber <ur^on3 als Bleistifte und stempelt seinen Neibegnmmi gnr mit
InM-"v6<1 iirti8t8' (so!) ruddor. Und die gutmütigen Deutschen kaufen vergnüg¬
lich diese dentschen Gewerbserzeugnisse mit dem nachgeäfften ausländischen Deck¬
blatt. Sie freuen sich noch darüber! Man braucht uur die kaufmännischen
Anzeigen und Anpreisungen einer größern Zeitung anzusehen oder in einem größer"
Geschäft sich umzuschauen, um dieser heillosen Wirtschaft ganz inne zu werden.
Es tritt einem da ein vollständiger Mangel nationalen Selbstgefühls, ja selbst
jenes glücklichen Selbstbewußtseins entgegen, welches von der Herstellung guter
und redlicher Arbeit unzertrennlich ist. Der deutsche Gewerbtreibende macht
und handelt Waaren, denen er das Zeichen der Lüge aufdrückt; er segelt im
eignen Lande unter fremder Flagge. Das macht einen schönen Eindruck! Die
fremden Nationen müssen eine große Achtung vor deutschen Waaren und eine
hohe Meinung von dem nationalen Stolze der Dentschen im neuen Reiche be¬
kommen !

So arbeiten Behörden und Verwaltungen, Handel- und Gewerbtreibende
an der dentschen Sprache und deren Weiterbildung. Sie alle aber finden ihren
starken und breiten Rückhalt in den Zeitungen, die der eigentliche und uner¬
schöpfliche Hort der Sprachsudelei sind. Man kann kaum noch ein Zeitungsblatt
in die Hand nehmen, ohne daß man ans irgend eine neue haarsträubende Un¬
geheuerlichkeit stößt. Und wenn heute ein Blatt solch ein Ding in die Welt
gesetzt hat, haben hundert andre Zeitungen es binnen acht Tagen nachgeschwatzt
und nachgedruckt. Diese ebenso erfinderische wie gewissenlose Geschäftigkeit spottet
aller Beschreibung; es ist ein wahrer Hexentanz. Alle Tage kann man irgend
einen neuen Blödsinn lesen: hente Chanvinesse und Chinoiserie, morgen Gonter
und gantiren; neulich stand sogar was von Extraretourbillet, Centrifngenmilch,
kalt aovoinxli-Politik und Gaminerie drin. Journalistische Reminiscenzen (Neue
Freie Presse) reichen ans Revanchegelüste basirten Allianzen die Hand (Nordd.
Allg. Ztg.). Das gewöhnliche Niveau der Courtoisie (Brannschw. Tageblatt)


Die Fremdrvörterseuche.

Die widerwärtige Gewohnheit der Kaufleute, mit fremden Ausdrücken sich
zu spreizen, führt fort und fort zu neuen Erfindungen und Einführungen. Und
doch haben sie schon mehr als übergenug davon. Sie schreiben in ihre Läden

lixes und Detnilverkauf zu Engrospreisen, empfehlen ihre Comptoir-Uten-
silien in allen Qualitäten nach Preiskvurant, kreditiren zwar, aber setzen lieber
unter ihre Notas xour g-e^ne, und ziehen prinzipiell per voinMrnt, vor. Auch
die Gewerbtreibenden lieben es, ihre Waaren mit französischen und englischen
Benennungen zu versehen. Die Marken der Kleiderstoffe, der Hüte, Lichter,
Papiere, Briefdecken, Nadeln, Messer, Siegellacke und tausend ander Gegenstände
sind französisch oder englisch. Man kauft Reisekoffer, die in Berlin gefertigt
sind und auf denen 51o>v pate-ut oder "Wate-r prook steht, man kanst Offenbacher
Schreibemnppen, in denen Taschen für I^cleres ü, reponärv, Juno<zlopnc;8,
^untre8 ctg poLw und dergleichen mehr sind. Selbst ein Haus wie A. W. Fuder
macht lieber <ur^on3 als Bleistifte und stempelt seinen Neibegnmmi gnr mit
InM-»v6<1 iirti8t8' (so!) ruddor. Und die gutmütigen Deutschen kaufen vergnüg¬
lich diese dentschen Gewerbserzeugnisse mit dem nachgeäfften ausländischen Deck¬
blatt. Sie freuen sich noch darüber! Man braucht uur die kaufmännischen
Anzeigen und Anpreisungen einer größern Zeitung anzusehen oder in einem größer«
Geschäft sich umzuschauen, um dieser heillosen Wirtschaft ganz inne zu werden.
Es tritt einem da ein vollständiger Mangel nationalen Selbstgefühls, ja selbst
jenes glücklichen Selbstbewußtseins entgegen, welches von der Herstellung guter
und redlicher Arbeit unzertrennlich ist. Der deutsche Gewerbtreibende macht
und handelt Waaren, denen er das Zeichen der Lüge aufdrückt; er segelt im
eignen Lande unter fremder Flagge. Das macht einen schönen Eindruck! Die
fremden Nationen müssen eine große Achtung vor deutschen Waaren und eine
hohe Meinung von dem nationalen Stolze der Dentschen im neuen Reiche be¬
kommen !

So arbeiten Behörden und Verwaltungen, Handel- und Gewerbtreibende
an der dentschen Sprache und deren Weiterbildung. Sie alle aber finden ihren
starken und breiten Rückhalt in den Zeitungen, die der eigentliche und uner¬
schöpfliche Hort der Sprachsudelei sind. Man kann kaum noch ein Zeitungsblatt
in die Hand nehmen, ohne daß man ans irgend eine neue haarsträubende Un¬
geheuerlichkeit stößt. Und wenn heute ein Blatt solch ein Ding in die Welt
gesetzt hat, haben hundert andre Zeitungen es binnen acht Tagen nachgeschwatzt
und nachgedruckt. Diese ebenso erfinderische wie gewissenlose Geschäftigkeit spottet
aller Beschreibung; es ist ein wahrer Hexentanz. Alle Tage kann man irgend
einen neuen Blödsinn lesen: hente Chanvinesse und Chinoiserie, morgen Gonter
und gantiren; neulich stand sogar was von Extraretourbillet, Centrifngenmilch,
kalt aovoinxli-Politik und Gaminerie drin. Journalistische Reminiscenzen (Neue
Freie Presse) reichen ans Revanchegelüste basirten Allianzen die Hand (Nordd.
Allg. Ztg.). Das gewöhnliche Niveau der Courtoisie (Brannschw. Tageblatt)


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[0451] Die Fremdrvörterseuche. Die widerwärtige Gewohnheit der Kaufleute, mit fremden Ausdrücken sich zu spreizen, führt fort und fort zu neuen Erfindungen und Einführungen. Und doch haben sie schon mehr als übergenug davon. Sie schreiben in ihre Läden lixes und Detnilverkauf zu Engrospreisen, empfehlen ihre Comptoir-Uten- silien in allen Qualitäten nach Preiskvurant, kreditiren zwar, aber setzen lieber unter ihre Notas xour g-e^ne, und ziehen prinzipiell per voinMrnt, vor. Auch die Gewerbtreibenden lieben es, ihre Waaren mit französischen und englischen Benennungen zu versehen. Die Marken der Kleiderstoffe, der Hüte, Lichter, Papiere, Briefdecken, Nadeln, Messer, Siegellacke und tausend ander Gegenstände sind französisch oder englisch. Man kauft Reisekoffer, die in Berlin gefertigt sind und auf denen 51o>v pate-ut oder "Wate-r prook steht, man kanst Offenbacher Schreibemnppen, in denen Taschen für I^cleres ü, reponärv, Juno<zlopnc;8, ^untre8 ctg poLw und dergleichen mehr sind. Selbst ein Haus wie A. W. Fuder macht lieber <ur^on3 als Bleistifte und stempelt seinen Neibegnmmi gnr mit InM-»v6<1 iirti8t8' (so!) ruddor. Und die gutmütigen Deutschen kaufen vergnüg¬ lich diese dentschen Gewerbserzeugnisse mit dem nachgeäfften ausländischen Deck¬ blatt. Sie freuen sich noch darüber! Man braucht uur die kaufmännischen Anzeigen und Anpreisungen einer größern Zeitung anzusehen oder in einem größer« Geschäft sich umzuschauen, um dieser heillosen Wirtschaft ganz inne zu werden. Es tritt einem da ein vollständiger Mangel nationalen Selbstgefühls, ja selbst jenes glücklichen Selbstbewußtseins entgegen, welches von der Herstellung guter und redlicher Arbeit unzertrennlich ist. Der deutsche Gewerbtreibende macht und handelt Waaren, denen er das Zeichen der Lüge aufdrückt; er segelt im eignen Lande unter fremder Flagge. Das macht einen schönen Eindruck! Die fremden Nationen müssen eine große Achtung vor deutschen Waaren und eine hohe Meinung von dem nationalen Stolze der Dentschen im neuen Reiche be¬ kommen ! So arbeiten Behörden und Verwaltungen, Handel- und Gewerbtreibende an der dentschen Sprache und deren Weiterbildung. Sie alle aber finden ihren starken und breiten Rückhalt in den Zeitungen, die der eigentliche und uner¬ schöpfliche Hort der Sprachsudelei sind. Man kann kaum noch ein Zeitungsblatt in die Hand nehmen, ohne daß man ans irgend eine neue haarsträubende Un¬ geheuerlichkeit stößt. Und wenn heute ein Blatt solch ein Ding in die Welt gesetzt hat, haben hundert andre Zeitungen es binnen acht Tagen nachgeschwatzt und nachgedruckt. Diese ebenso erfinderische wie gewissenlose Geschäftigkeit spottet aller Beschreibung; es ist ein wahrer Hexentanz. Alle Tage kann man irgend einen neuen Blödsinn lesen: hente Chanvinesse und Chinoiserie, morgen Gonter und gantiren; neulich stand sogar was von Extraretourbillet, Centrifngenmilch, kalt aovoinxli-Politik und Gaminerie drin. Journalistische Reminiscenzen (Neue Freie Presse) reichen ans Revanchegelüste basirten Allianzen die Hand (Nordd. Allg. Ztg.). Das gewöhnliche Niveau der Courtoisie (Brannschw. Tageblatt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/451>, abgerufen am 29.06.2024.