Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fremdwörterseucho.

Wie lange ist's her? Etwa fünfundzwanzig Jahre, da kam das Porte¬
monnaie auf; seitdem sagt kein Mensch mehr Geldtasche oder Geldbeutel. Früher
hießen die offenen Kleider der Frauen ausgeschnitten, gegen 1860 wurde der
Ausdruck dekolletirt aufgebracht, wobei ich immer an den geköpften Johannes
den Täufer denken muß, den die Italiener 3. (Äovonni 6ovo11g.ta nennen.
Heute kennt kein Mensch von einigem Schliff mehr ein ausgeschnittenes Kleid;
dekollettirte Toilette: das ist feines Deutsch. Vor zehn oder fünfzehn Jahren
wurde in der Staatsverwaltung die Remedur erfunden; früher nannte mau das
Ding Abhilfe. Auch opportun und inopportun gehören hierher. Immer breiter
macht sich die Affäre, alles ist Affäre. Säbelaffäre, Staatsaffäre, Börseunffäre,
Ducllaffäre, Defraudationsaffäre, Skaudalasfäre, Zeuguiszwaugaffäre, Mord¬
affäre; kein Mensch hat Lust, sich aus dieser langweiligen Affäre zu ziehen.
"Die Resultate der Recherchen in der mysteriösen Affäre vom Gcusdarmenmnrkt":
das ist heutzutage seines Hochdeutsch. Sonst sagte man Landwirtschaftslchrliug,
jetzt nennt sich dieser schöne Herr Ökonomiecleve; dann wird er Volontär und
Avautageur, und so geht's weiter. Mahl, Mittagsmahl, Mittagsessen, Mittags¬
tisch, Mittagsbrod, Festmahl, Festessen, Gastmahl, Schmaus und andre Aus¬
drücke hat die deutsche Sprache in ihrem Reichtum; aber der edle Deutsche ver¬
schmäht sie und sagt -- Diner. Und dabei hält er noch denjenigen, der so
armselige Ausdrücke wie Diner, Dejeuner, Souper seinerseits verschmäht, für
"ungebildet." Früher gab es Festuugsbauschreiber; jetzt führen die Herren den
klingelnden Namen "Fortifikationssekretäre." Früher sagte man Festungsbau und
Befestigung; seit dein 15. November 1877 ist an die Stelle dieser Wörter
" Fortifikation" getreten.

Hoch in der Mode ist jetzt enorm und brillant. In diese Ausdrücke werdeu
hundert und tausend deutsche Begriffe eingeschachtelt, die eigentliche Bedeutung
der beiden Wörter aber ist ganz abhanden gekommen. Alles ist enorm, auch
was ganz der noririg. gemäß ist, und alles ist brillant, auch was garnicht
glänzt. Namentlich brillant wird täglich beliebter; es wird selbst von den zier¬
lichsten Damen "brilljandt" ausgesprochen und erscheint im Deutschen noch viel
"unausstehlicher," als es Börne schon im Französischen fand.*) Der Stiefel
sitzt brillant, die Patti fingt brillant, der Zug fährt brillant, der Kaffee schmeckt
brillant; man schläft brillant, tanzt brillant, amüsirt sich brillant und hat sogar
eine brillante Gesinnung. Man spricht von einer brillanten Zigarre, von
brillantem Käse, einem brillanten Kauf, einem brillanten Vortrag und einem
brillanten Rock. Mau giebt einem brillanten Kerl von brillanter Gesundheit in
seiner eignen brillanten Wohnung eine brillante Ohrfeige und glaubt eine bril¬
lante Geschichte ausgeführt zu haben.



Gesammelte Schriften, III. S. 14 n. ff.
Die Fremdwörterseucho.

Wie lange ist's her? Etwa fünfundzwanzig Jahre, da kam das Porte¬
monnaie auf; seitdem sagt kein Mensch mehr Geldtasche oder Geldbeutel. Früher
hießen die offenen Kleider der Frauen ausgeschnitten, gegen 1860 wurde der
Ausdruck dekolletirt aufgebracht, wobei ich immer an den geköpften Johannes
den Täufer denken muß, den die Italiener 3. (Äovonni 6ovo11g.ta nennen.
Heute kennt kein Mensch von einigem Schliff mehr ein ausgeschnittenes Kleid;
dekollettirte Toilette: das ist feines Deutsch. Vor zehn oder fünfzehn Jahren
wurde in der Staatsverwaltung die Remedur erfunden; früher nannte mau das
Ding Abhilfe. Auch opportun und inopportun gehören hierher. Immer breiter
macht sich die Affäre, alles ist Affäre. Säbelaffäre, Staatsaffäre, Börseunffäre,
Ducllaffäre, Defraudationsaffäre, Skaudalasfäre, Zeuguiszwaugaffäre, Mord¬
affäre; kein Mensch hat Lust, sich aus dieser langweiligen Affäre zu ziehen.
„Die Resultate der Recherchen in der mysteriösen Affäre vom Gcusdarmenmnrkt":
das ist heutzutage seines Hochdeutsch. Sonst sagte man Landwirtschaftslchrliug,
jetzt nennt sich dieser schöne Herr Ökonomiecleve; dann wird er Volontär und
Avautageur, und so geht's weiter. Mahl, Mittagsmahl, Mittagsessen, Mittags¬
tisch, Mittagsbrod, Festmahl, Festessen, Gastmahl, Schmaus und andre Aus¬
drücke hat die deutsche Sprache in ihrem Reichtum; aber der edle Deutsche ver¬
schmäht sie und sagt — Diner. Und dabei hält er noch denjenigen, der so
armselige Ausdrücke wie Diner, Dejeuner, Souper seinerseits verschmäht, für
„ungebildet." Früher gab es Festuugsbauschreiber; jetzt führen die Herren den
klingelnden Namen „Fortifikationssekretäre." Früher sagte man Festungsbau und
Befestigung; seit dein 15. November 1877 ist an die Stelle dieser Wörter
„ Fortifikation" getreten.

Hoch in der Mode ist jetzt enorm und brillant. In diese Ausdrücke werdeu
hundert und tausend deutsche Begriffe eingeschachtelt, die eigentliche Bedeutung
der beiden Wörter aber ist ganz abhanden gekommen. Alles ist enorm, auch
was ganz der noririg. gemäß ist, und alles ist brillant, auch was garnicht
glänzt. Namentlich brillant wird täglich beliebter; es wird selbst von den zier¬
lichsten Damen „brilljandt" ausgesprochen und erscheint im Deutschen noch viel
„unausstehlicher," als es Börne schon im Französischen fand.*) Der Stiefel
sitzt brillant, die Patti fingt brillant, der Zug fährt brillant, der Kaffee schmeckt
brillant; man schläft brillant, tanzt brillant, amüsirt sich brillant und hat sogar
eine brillante Gesinnung. Man spricht von einer brillanten Zigarre, von
brillantem Käse, einem brillanten Kauf, einem brillanten Vortrag und einem
brillanten Rock. Mau giebt einem brillanten Kerl von brillanter Gesundheit in
seiner eignen brillanten Wohnung eine brillante Ohrfeige und glaubt eine bril¬
lante Geschichte ausgeführt zu haben.



Gesammelte Schriften, III. S. 14 n. ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194428"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Fremdwörterseucho.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1664"> Wie lange ist's her? Etwa fünfundzwanzig Jahre, da kam das Porte¬<lb/>
monnaie auf; seitdem sagt kein Mensch mehr Geldtasche oder Geldbeutel. Früher<lb/>
hießen die offenen Kleider der Frauen ausgeschnitten, gegen 1860 wurde der<lb/>
Ausdruck dekolletirt aufgebracht, wobei ich immer an den geköpften Johannes<lb/>
den Täufer denken muß, den die Italiener 3. (Äovonni 6ovo11g.ta nennen.<lb/>
Heute kennt kein Mensch von einigem Schliff mehr ein ausgeschnittenes Kleid;<lb/>
dekollettirte Toilette: das ist feines Deutsch. Vor zehn oder fünfzehn Jahren<lb/>
wurde in der Staatsverwaltung die Remedur erfunden; früher nannte mau das<lb/>
Ding Abhilfe. Auch opportun und inopportun gehören hierher. Immer breiter<lb/>
macht sich die Affäre, alles ist Affäre. Säbelaffäre, Staatsaffäre, Börseunffäre,<lb/>
Ducllaffäre, Defraudationsaffäre, Skaudalasfäre, Zeuguiszwaugaffäre, Mord¬<lb/>
affäre; kein Mensch hat Lust, sich aus dieser langweiligen Affäre zu ziehen.<lb/>
&#x201E;Die Resultate der Recherchen in der mysteriösen Affäre vom Gcusdarmenmnrkt":<lb/>
das ist heutzutage seines Hochdeutsch. Sonst sagte man Landwirtschaftslchrliug,<lb/>
jetzt nennt sich dieser schöne Herr Ökonomiecleve; dann wird er Volontär und<lb/>
Avautageur, und so geht's weiter. Mahl, Mittagsmahl, Mittagsessen, Mittags¬<lb/>
tisch, Mittagsbrod, Festmahl, Festessen, Gastmahl, Schmaus und andre Aus¬<lb/>
drücke hat die deutsche Sprache in ihrem Reichtum; aber der edle Deutsche ver¬<lb/>
schmäht sie und sagt &#x2014; Diner. Und dabei hält er noch denjenigen, der so<lb/>
armselige Ausdrücke wie Diner, Dejeuner, Souper seinerseits verschmäht, für<lb/>
&#x201E;ungebildet." Früher gab es Festuugsbauschreiber; jetzt führen die Herren den<lb/>
klingelnden Namen &#x201E;Fortifikationssekretäre." Früher sagte man Festungsbau und<lb/>
Befestigung; seit dein 15. November 1877 ist an die Stelle dieser Wörter<lb/>
&#x201E; Fortifikation" getreten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1665"> Hoch in der Mode ist jetzt enorm und brillant. In diese Ausdrücke werdeu<lb/>
hundert und tausend deutsche Begriffe eingeschachtelt, die eigentliche Bedeutung<lb/>
der beiden Wörter aber ist ganz abhanden gekommen. Alles ist enorm, auch<lb/>
was ganz der noririg. gemäß ist, und alles ist brillant, auch was garnicht<lb/>
glänzt. Namentlich brillant wird täglich beliebter; es wird selbst von den zier¬<lb/>
lichsten Damen &#x201E;brilljandt" ausgesprochen und erscheint im Deutschen noch viel<lb/>
&#x201E;unausstehlicher," als es Börne schon im Französischen fand.*) Der Stiefel<lb/>
sitzt brillant, die Patti fingt brillant, der Zug fährt brillant, der Kaffee schmeckt<lb/>
brillant; man schläft brillant, tanzt brillant, amüsirt sich brillant und hat sogar<lb/>
eine brillante Gesinnung. Man spricht von einer brillanten Zigarre, von<lb/>
brillantem Käse, einem brillanten Kauf, einem brillanten Vortrag und einem<lb/>
brillanten Rock. Mau giebt einem brillanten Kerl von brillanter Gesundheit in<lb/>
seiner eignen brillanten Wohnung eine brillante Ohrfeige und glaubt eine bril¬<lb/>
lante Geschichte ausgeführt zu haben.</p><lb/>
            <note xml:id="FID_52" place="foot"> Gesammelte Schriften, III. S. 14 n. ff.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] Die Fremdwörterseucho. Wie lange ist's her? Etwa fünfundzwanzig Jahre, da kam das Porte¬ monnaie auf; seitdem sagt kein Mensch mehr Geldtasche oder Geldbeutel. Früher hießen die offenen Kleider der Frauen ausgeschnitten, gegen 1860 wurde der Ausdruck dekolletirt aufgebracht, wobei ich immer an den geköpften Johannes den Täufer denken muß, den die Italiener 3. (Äovonni 6ovo11g.ta nennen. Heute kennt kein Mensch von einigem Schliff mehr ein ausgeschnittenes Kleid; dekollettirte Toilette: das ist feines Deutsch. Vor zehn oder fünfzehn Jahren wurde in der Staatsverwaltung die Remedur erfunden; früher nannte mau das Ding Abhilfe. Auch opportun und inopportun gehören hierher. Immer breiter macht sich die Affäre, alles ist Affäre. Säbelaffäre, Staatsaffäre, Börseunffäre, Ducllaffäre, Defraudationsaffäre, Skaudalasfäre, Zeuguiszwaugaffäre, Mord¬ affäre; kein Mensch hat Lust, sich aus dieser langweiligen Affäre zu ziehen. „Die Resultate der Recherchen in der mysteriösen Affäre vom Gcusdarmenmnrkt": das ist heutzutage seines Hochdeutsch. Sonst sagte man Landwirtschaftslchrliug, jetzt nennt sich dieser schöne Herr Ökonomiecleve; dann wird er Volontär und Avautageur, und so geht's weiter. Mahl, Mittagsmahl, Mittagsessen, Mittags¬ tisch, Mittagsbrod, Festmahl, Festessen, Gastmahl, Schmaus und andre Aus¬ drücke hat die deutsche Sprache in ihrem Reichtum; aber der edle Deutsche ver¬ schmäht sie und sagt — Diner. Und dabei hält er noch denjenigen, der so armselige Ausdrücke wie Diner, Dejeuner, Souper seinerseits verschmäht, für „ungebildet." Früher gab es Festuugsbauschreiber; jetzt führen die Herren den klingelnden Namen „Fortifikationssekretäre." Früher sagte man Festungsbau und Befestigung; seit dein 15. November 1877 ist an die Stelle dieser Wörter „ Fortifikation" getreten. Hoch in der Mode ist jetzt enorm und brillant. In diese Ausdrücke werdeu hundert und tausend deutsche Begriffe eingeschachtelt, die eigentliche Bedeutung der beiden Wörter aber ist ganz abhanden gekommen. Alles ist enorm, auch was ganz der noririg. gemäß ist, und alles ist brillant, auch was garnicht glänzt. Namentlich brillant wird täglich beliebter; es wird selbst von den zier¬ lichsten Damen „brilljandt" ausgesprochen und erscheint im Deutschen noch viel „unausstehlicher," als es Börne schon im Französischen fand.*) Der Stiefel sitzt brillant, die Patti fingt brillant, der Zug fährt brillant, der Kaffee schmeckt brillant; man schläft brillant, tanzt brillant, amüsirt sich brillant und hat sogar eine brillante Gesinnung. Man spricht von einer brillanten Zigarre, von brillantem Käse, einem brillanten Kauf, einem brillanten Vortrag und einem brillanten Rock. Mau giebt einem brillanten Kerl von brillanter Gesundheit in seiner eignen brillanten Wohnung eine brillante Ohrfeige und glaubt eine bril¬ lante Geschichte ausgeführt zu haben. Gesammelte Schriften, III. S. 14 n. ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/450>, abgerufen am 29.06.2024.