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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Debatten über die soziale Frage.

wird auch in jenein Statntenentwurf gefordert, daß der Vorstand der Kranken¬
kasse zugleich als Vertrauensausschuß der Arbeiter gelten und vom Fabrikbesitzer
als solcher betrachtet und behandelt werden soll. Man will da thatsächlich -- was
einigermaßen auffallen könnte bei einer Institution, die wesentlich ihren Anstoß
von der katholischen Kirche aus empfing -- ein Arbeiterparlament konstituiren,
denn es heißt ausdrücklich: "Der Vorstand der Krankenkasse kann als Vertrauens¬
ausschuß der Arbeiter gelten. Der Fnbrikherr soll ihn als solchen betrachten:
denselben nicht bloß in seiner persönlichen Thätigkeit mit persönlichem Rat unter¬
stützen, für seine Aufgaben begeistern, sondern als Vertrauensorgan, als guten
Berater bei Angelegenheiten der Fabrik wie der Arbeiter -- "Ältesten-Kollegium" --
heranziehen." Man kann die Klugheit des hier ausgedrückten Gedankens nicht
verkennen. Aber die Ausführung ist dabei unbedingt wichtiger als der Gedanke
selbst. Es kommt ja uicht auf die bloße Ausführung selbst an, sondern in erster
Linie auf das Wie, und wir fürchten sehr, daß sich hieran die Idee als nichtig
erweisen wird. Man kann doch nicht verkennen, daß, wenn auf diese Weise
wirklich etwas zur Befriedigung der Arbeiter geleistet werden soll, von seiten
des Fabrikbesitzers eine so bedeutende Arbeitslast übernommen und eine so große
Teilnahme für die Angelegenheiten der Arbeiter gezeigt werden muß, daß billig
bezweifelt werden darf, ob dies im Durchschnitt zu erreichen sein werde. Ge¬
lange es indeß der katholischen Kirche, auf die ihr ungehörigen Fabrikbesitzer den
Einfluß zu gewinnen, daß sie wenigstens in größerer Anzahl dem im "Arbeiter-
wvhl" vorgezeichneten Zuge folgten, so würde sie sich freilich als eine gewaltige
soziale Macht bewähren.

Wäre nur uicht bei den meisten derer, welche großen Bewegungen nach¬
laufen und sich bedeutenden Bestrebungen ostensibel anschließen, der Blick auf
das egoistische Interesse das ausschlaggebende! Auch diese großen katholischen
Kundgebungen, die sich so imposant nach außen machen, sie werden wesent¬
lich mit getragen von Elementen, aus die man nur bis zu einem gewissen Pnnkte
rechnen kann, und die bei ihrem Erscheinen im Zuge ganz bestimmte eigennützige
Ziele verfolgen. Es macht sich vortrefflich, wenn ein Katarrhpillcnfabrikant in
einer Adresse an den Papst seinen Namen mit denen von Fürsten, Prinzen,
Grasen, Ministern ?e. in eine Reihe stellen kann; das kostet nichts. Etwas
andres wäre es jedoch, wenn daraus etwa der Verband "Arbeiterwohl" ab¬
leiten wollte, daß nun der Betreffende seinen Pillendrehcrinnen auch soviel Ar¬
beitslohn zahlen solle, daß sie davou leben könnten, und daß er von den Er¬
trägnissen seines lukrativen Geschäfts auch jene Fürsorge, wie sie der Verband
fordert, bethätige.

Auch hier Hütte die katholische Erziehung, ebenso wie bei den Frauen, eine
Aufgabe, welche in ihrer Lösung mit dem Gange der sozialen Bewegung im
allgemeinen schwerlich Schritt zu halten vermag. Hier beginnt sogar ein selt¬
samer Widerspruch herauszutreten, den wir kurz nebenher betrachten. Dieser


G^nzlwten IV. 1882, ÜÜ
Debatten über die soziale Frage.

wird auch in jenein Statntenentwurf gefordert, daß der Vorstand der Kranken¬
kasse zugleich als Vertrauensausschuß der Arbeiter gelten und vom Fabrikbesitzer
als solcher betrachtet und behandelt werden soll. Man will da thatsächlich — was
einigermaßen auffallen könnte bei einer Institution, die wesentlich ihren Anstoß
von der katholischen Kirche aus empfing — ein Arbeiterparlament konstituiren,
denn es heißt ausdrücklich: „Der Vorstand der Krankenkasse kann als Vertrauens¬
ausschuß der Arbeiter gelten. Der Fnbrikherr soll ihn als solchen betrachten:
denselben nicht bloß in seiner persönlichen Thätigkeit mit persönlichem Rat unter¬
stützen, für seine Aufgaben begeistern, sondern als Vertrauensorgan, als guten
Berater bei Angelegenheiten der Fabrik wie der Arbeiter — »Ältesten-Kollegium« —
heranziehen." Man kann die Klugheit des hier ausgedrückten Gedankens nicht
verkennen. Aber die Ausführung ist dabei unbedingt wichtiger als der Gedanke
selbst. Es kommt ja uicht auf die bloße Ausführung selbst an, sondern in erster
Linie auf das Wie, und wir fürchten sehr, daß sich hieran die Idee als nichtig
erweisen wird. Man kann doch nicht verkennen, daß, wenn auf diese Weise
wirklich etwas zur Befriedigung der Arbeiter geleistet werden soll, von seiten
des Fabrikbesitzers eine so bedeutende Arbeitslast übernommen und eine so große
Teilnahme für die Angelegenheiten der Arbeiter gezeigt werden muß, daß billig
bezweifelt werden darf, ob dies im Durchschnitt zu erreichen sein werde. Ge¬
lange es indeß der katholischen Kirche, auf die ihr ungehörigen Fabrikbesitzer den
Einfluß zu gewinnen, daß sie wenigstens in größerer Anzahl dem im „Arbeiter-
wvhl" vorgezeichneten Zuge folgten, so würde sie sich freilich als eine gewaltige
soziale Macht bewähren.

Wäre nur uicht bei den meisten derer, welche großen Bewegungen nach¬
laufen und sich bedeutenden Bestrebungen ostensibel anschließen, der Blick auf
das egoistische Interesse das ausschlaggebende! Auch diese großen katholischen
Kundgebungen, die sich so imposant nach außen machen, sie werden wesent¬
lich mit getragen von Elementen, aus die man nur bis zu einem gewissen Pnnkte
rechnen kann, und die bei ihrem Erscheinen im Zuge ganz bestimmte eigennützige
Ziele verfolgen. Es macht sich vortrefflich, wenn ein Katarrhpillcnfabrikant in
einer Adresse an den Papst seinen Namen mit denen von Fürsten, Prinzen,
Grasen, Ministern ?e. in eine Reihe stellen kann; das kostet nichts. Etwas
andres wäre es jedoch, wenn daraus etwa der Verband „Arbeiterwohl" ab¬
leiten wollte, daß nun der Betreffende seinen Pillendrehcrinnen auch soviel Ar¬
beitslohn zahlen solle, daß sie davou leben könnten, und daß er von den Er¬
trägnissen seines lukrativen Geschäfts auch jene Fürsorge, wie sie der Verband
fordert, bethätige.

Auch hier Hütte die katholische Erziehung, ebenso wie bei den Frauen, eine
Aufgabe, welche in ihrer Lösung mit dem Gange der sozialen Bewegung im
allgemeinen schwerlich Schritt zu halten vermag. Hier beginnt sogar ein selt¬
samer Widerspruch herauszutreten, den wir kurz nebenher betrachten. Dieser


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[0437] Debatten über die soziale Frage. wird auch in jenein Statntenentwurf gefordert, daß der Vorstand der Kranken¬ kasse zugleich als Vertrauensausschuß der Arbeiter gelten und vom Fabrikbesitzer als solcher betrachtet und behandelt werden soll. Man will da thatsächlich — was einigermaßen auffallen könnte bei einer Institution, die wesentlich ihren Anstoß von der katholischen Kirche aus empfing — ein Arbeiterparlament konstituiren, denn es heißt ausdrücklich: „Der Vorstand der Krankenkasse kann als Vertrauens¬ ausschuß der Arbeiter gelten. Der Fnbrikherr soll ihn als solchen betrachten: denselben nicht bloß in seiner persönlichen Thätigkeit mit persönlichem Rat unter¬ stützen, für seine Aufgaben begeistern, sondern als Vertrauensorgan, als guten Berater bei Angelegenheiten der Fabrik wie der Arbeiter — »Ältesten-Kollegium« — heranziehen." Man kann die Klugheit des hier ausgedrückten Gedankens nicht verkennen. Aber die Ausführung ist dabei unbedingt wichtiger als der Gedanke selbst. Es kommt ja uicht auf die bloße Ausführung selbst an, sondern in erster Linie auf das Wie, und wir fürchten sehr, daß sich hieran die Idee als nichtig erweisen wird. Man kann doch nicht verkennen, daß, wenn auf diese Weise wirklich etwas zur Befriedigung der Arbeiter geleistet werden soll, von seiten des Fabrikbesitzers eine so bedeutende Arbeitslast übernommen und eine so große Teilnahme für die Angelegenheiten der Arbeiter gezeigt werden muß, daß billig bezweifelt werden darf, ob dies im Durchschnitt zu erreichen sein werde. Ge¬ lange es indeß der katholischen Kirche, auf die ihr ungehörigen Fabrikbesitzer den Einfluß zu gewinnen, daß sie wenigstens in größerer Anzahl dem im „Arbeiter- wvhl" vorgezeichneten Zuge folgten, so würde sie sich freilich als eine gewaltige soziale Macht bewähren. Wäre nur uicht bei den meisten derer, welche großen Bewegungen nach¬ laufen und sich bedeutenden Bestrebungen ostensibel anschließen, der Blick auf das egoistische Interesse das ausschlaggebende! Auch diese großen katholischen Kundgebungen, die sich so imposant nach außen machen, sie werden wesent¬ lich mit getragen von Elementen, aus die man nur bis zu einem gewissen Pnnkte rechnen kann, und die bei ihrem Erscheinen im Zuge ganz bestimmte eigennützige Ziele verfolgen. Es macht sich vortrefflich, wenn ein Katarrhpillcnfabrikant in einer Adresse an den Papst seinen Namen mit denen von Fürsten, Prinzen, Grasen, Ministern ?e. in eine Reihe stellen kann; das kostet nichts. Etwas andres wäre es jedoch, wenn daraus etwa der Verband „Arbeiterwohl" ab¬ leiten wollte, daß nun der Betreffende seinen Pillendrehcrinnen auch soviel Ar¬ beitslohn zahlen solle, daß sie davou leben könnten, und daß er von den Er¬ trägnissen seines lukrativen Geschäfts auch jene Fürsorge, wie sie der Verband fordert, bethätige. Auch hier Hütte die katholische Erziehung, ebenso wie bei den Frauen, eine Aufgabe, welche in ihrer Lösung mit dem Gange der sozialen Bewegung im allgemeinen schwerlich Schritt zu halten vermag. Hier beginnt sogar ein selt¬ samer Widerspruch herauszutreten, den wir kurz nebenher betrachten. Dieser G^nzlwten IV. 1882, ÜÜ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/437>, abgerufen am 28.09.2024.