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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Debatten über die soziale Frage.

ein Wiener "geistlicher Rat" versuchte, fand unverhohlener Beifall -- sicher
charakteristisch für eine Versammlung, die doch wenigstens in deutscher Sprache
verhandelte. Und wenn schließlich nicht versäumt wurde, zu passender Gelegen¬
heit anch des deutscheu Reichsvberhauptes zu gedenken, so geschah dies doch nie
in andrer Form, als in dem Zurufe: "Papst und Kaiser," wvnnch es dann
nur noch als selbstverständlich gelten kann, wenn Windthorst in langer Rede
auseinandersetzte, daß es Pflicht des Kaisers (obwohl nicht mehr römischer
Kaiser deutscher Nation!) sei, die Partei des Papstes in heilten Differenzen mit
der italienischen Regierung zu ergreifen.

Bei den offiziellen Führern dieser pomphaften Versammlung also zeigte sich
nicht mehr Verständnis für die tiefern Strömungen der sozialen Bewegung als
anderwärts; es wäre denn, daß die Bemerkung des Freiherr" von Schorlemer-
Alst, die gewaltsame soziale Revolution werde mit immer mehr Deutlichkeit in
ihrem Herannahen erkennbar, mehr als bloße Phrase gewesen sei. Umso er¬
staunlicher und bemerkenswerter war der Einblick in die soziale Bewegung bei
den weniger hervortretenden Mitgliedern der Versammlung, insbesondre aus den
Kreiselt der niedern Geistlichkeit. Freilich ist dies an sich nicht verwunderlich.
Diese Leute, welche (hauptsächlich wo sie in Fabrikdistrikten wirken, aber auch in
großen Städten) unausgesetzt in Fühlung mit allen Bevölkerungsklnssen stehen,
mehr und ununterbrochener als sonst irgend welche Persönlichkeiten aus den den
gebildeten Kreisen ungehörigen Berufszweigen, sind vollkommen in der Lage, die
Verhältnisse zu kennen und die Stimmung der Bevölkerung zu prüfen. So kam
es denn, daß, da die Generakversamlnlnng der katholischen Vereine die soziale
Frage oder richtiger die soziale Bewegung in verschiednen Themen ans ihre
Tagesordnung gesetzt hatte, die Bedeutung dieser Versammlung nicht in der An¬
wesenheit Windthorsts und der übrigen Koryphäen des Zentrums lag, auch
nicht in der stnatsmäuuischeu Behandlung politischer Dinge, sondern in der
Tiefe: im Auftreten eines Paters und eines Kaplans, welche beide ohne weiteres
den bedeutendsten Svzinlpvlitikeru und Nationalökonomen der Gegenwart an¬
gereiht werden köunen.

Diese beiden, was sie sagten und was sie thaten und das, was, wie sich
zeigte, der eine von ihnen bereits geleistet hatte, ist es hauptsächlich, was uns
anregt, diesen Bericht zu erstatten, wesentlich ans dem Grunde, um anch weitere
Kreise denk scheu Geistes hinzulenken auf das, was geschehen muß, nicht nach¬
ahmend, sondern selbständig, aber bessernd und insbesondre auch verhütend, daß
zwischen dem Gange der fortschreitenden Bewegung unsre Nation oder wenigstens
unser national-sozialer Zusammenhang zwischen Romanismus und Semitismus
zerrieben werde. Ist es doch nicht wenig charakteristisch, daß wenige Wochen
nach diesem Kongreß, gelegentlich der Landtagswahl, einer der Frnukfurtischen
Heißsporne des Zentrums -- allerdings ein Bankdirektor! -- mit Emphase das
Zentrum verwahrte, antisemitisch zu sein!


Debatten über die soziale Frage.

ein Wiener „geistlicher Rat" versuchte, fand unverhohlener Beifall — sicher
charakteristisch für eine Versammlung, die doch wenigstens in deutscher Sprache
verhandelte. Und wenn schließlich nicht versäumt wurde, zu passender Gelegen¬
heit anch des deutscheu Reichsvberhauptes zu gedenken, so geschah dies doch nie
in andrer Form, als in dem Zurufe: „Papst und Kaiser," wvnnch es dann
nur noch als selbstverständlich gelten kann, wenn Windthorst in langer Rede
auseinandersetzte, daß es Pflicht des Kaisers (obwohl nicht mehr römischer
Kaiser deutscher Nation!) sei, die Partei des Papstes in heilten Differenzen mit
der italienischen Regierung zu ergreifen.

Bei den offiziellen Führern dieser pomphaften Versammlung also zeigte sich
nicht mehr Verständnis für die tiefern Strömungen der sozialen Bewegung als
anderwärts; es wäre denn, daß die Bemerkung des Freiherr» von Schorlemer-
Alst, die gewaltsame soziale Revolution werde mit immer mehr Deutlichkeit in
ihrem Herannahen erkennbar, mehr als bloße Phrase gewesen sei. Umso er¬
staunlicher und bemerkenswerter war der Einblick in die soziale Bewegung bei
den weniger hervortretenden Mitgliedern der Versammlung, insbesondre aus den
Kreiselt der niedern Geistlichkeit. Freilich ist dies an sich nicht verwunderlich.
Diese Leute, welche (hauptsächlich wo sie in Fabrikdistrikten wirken, aber auch in
großen Städten) unausgesetzt in Fühlung mit allen Bevölkerungsklnssen stehen,
mehr und ununterbrochener als sonst irgend welche Persönlichkeiten aus den den
gebildeten Kreisen ungehörigen Berufszweigen, sind vollkommen in der Lage, die
Verhältnisse zu kennen und die Stimmung der Bevölkerung zu prüfen. So kam
es denn, daß, da die Generakversamlnlnng der katholischen Vereine die soziale
Frage oder richtiger die soziale Bewegung in verschiednen Themen ans ihre
Tagesordnung gesetzt hatte, die Bedeutung dieser Versammlung nicht in der An¬
wesenheit Windthorsts und der übrigen Koryphäen des Zentrums lag, auch
nicht in der stnatsmäuuischeu Behandlung politischer Dinge, sondern in der
Tiefe: im Auftreten eines Paters und eines Kaplans, welche beide ohne weiteres
den bedeutendsten Svzinlpvlitikeru und Nationalökonomen der Gegenwart an¬
gereiht werden köunen.

Diese beiden, was sie sagten und was sie thaten und das, was, wie sich
zeigte, der eine von ihnen bereits geleistet hatte, ist es hauptsächlich, was uns
anregt, diesen Bericht zu erstatten, wesentlich ans dem Grunde, um anch weitere
Kreise denk scheu Geistes hinzulenken auf das, was geschehen muß, nicht nach¬
ahmend, sondern selbständig, aber bessernd und insbesondre auch verhütend, daß
zwischen dem Gange der fortschreitenden Bewegung unsre Nation oder wenigstens
unser national-sozialer Zusammenhang zwischen Romanismus und Semitismus
zerrieben werde. Ist es doch nicht wenig charakteristisch, daß wenige Wochen
nach diesem Kongreß, gelegentlich der Landtagswahl, einer der Frnukfurtischen
Heißsporne des Zentrums — allerdings ein Bankdirektor! — mit Emphase das
Zentrum verwahrte, antisemitisch zu sein!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/432>, abgerufen am 29.06.2024.