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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Debatten über die soziale Frage.

eine ebenso hohe sozialpolitische wie naturhistorische Bedeutung. Viele jener
sommerlichen und herbstliche"? Versammlungen stellte" sich sogar sofort in die
soziale Bewegung mitten hinein. Sie befaßten sich In oMnm komm mit Fragen
sozialpolitischer Art und beanspruchten, dnrch ihre Verhandlung und Einwirkung
zu deren Entwicklung und Lösung das ihrige beizutragen.

Wir lassen dahingestellt, wie weit dieser Anspruch an sich und vermöge
des Verhaltens der Versammlungen begründet war. Es wird sich dies Herans¬
stellen, wenn wir auf die betreffenden Verhandlungen selbst kommen. Allein
schon die rein historische Betrachtung, auf welche wir durch jene Erscheinung
gebracht werden, ist bedeutsam genug -- die Betrachtung nämlich über die merk¬
würdige Veränderung in der Behandlung der sogenannten sozialen Frage seit
ihrem ersten starken Auftrete" im Bereich auch unsers nationalen Lebens.

Einige dieser Versammlungen beanspruchen aber vorzugsweise durch ihre
direkte Stellung zur sozialen Bewegung an denn Maßstabe, welchen diese letztere
selbst darbietet, gewürdigt zu werden, und hierbei steht die Generalversamm¬
lung der katholischen Vereine, welche vom 10. bis zum 14. September
sich in Frankfurt am Main versammelt hielt, obenan. Diese Generalversamm¬
lung der katholischen Vereine erfaßte die soziale Frage unmittelbar und be¬
handelte dieselbe, wie uicht geleugnet werden kann, in bedeutender Weise.

Sie war jedenfalls eine Versammlung im großen Stil. Lange Übung,
hohes Stärkebewußtseiu, wie es ja bei deu Führern der Katholiken in Deutsch¬
land vorhanden sein kann, und ein praktischer Zusammenhang der verschiedenen
Elemente gestattet schon eine bedeutende Kraftentfaltung auch da, wo es sich
doch eigentlich mir um eine Repräsentation, um eine Heerschau handelte; wenn
auch weniger um eine Heerschau der Personen als um eine Heerschau des
ideellen Ganges der Ausbreitung des katholischen Einflusses in Deutschland und
außerhalb. Die Versammlung wurde, obgleich sie wesentlich eine Laienver¬
sammlung sein sollte, vom Klerus beherrscht; von ihm aus erfolgten die be¬
deutsamsten, praktischsten Anregungen. Aber das repräsentative Element gab
ausschließlich der Laienstand. Die Bischöfe ließen mir grüßen; jedoch die vor¬
nehme katholische Laienwelt gruppirte um deu Kommissar der Generalversamm¬
lung, den Fürsten Löwenstein, eine ganze Reihe von Herren des mediatisirten
Fürstenstandes und des katholischen niedern Adels aus allen Gegenden Deutsch¬
lands. Die Herren Windthorst und Schorlemer-Alse, die Führer des Zentrums,
fehlten uicht, und Windthorst wurde, als er in der ersten Hauptversammlung
erschien, von der Versammlung durch allgemeines Erheben von den Sitzen
und stürmischen Zuruf begrüßt. Er selbst zeigte im Verlauf des .Kon¬
gresses mehr als einmal, daß er sich seines Imperiums in diesem Kreise wohl
bewußt sei; es war ihm ein besondrer Sitz, dem nnr des Dekvrnms wegen ein
zweiter, stets leerbleibeuder, gegenübergestellt war, aufgespart, und wenn er, selbst
nach Schluß der Debatte, das Wort forderte, erhielt er es stets; auch Diktateu


Debatten über die soziale Frage.

eine ebenso hohe sozialpolitische wie naturhistorische Bedeutung. Viele jener
sommerlichen und herbstliche»? Versammlungen stellte» sich sogar sofort in die
soziale Bewegung mitten hinein. Sie befaßten sich In oMnm komm mit Fragen
sozialpolitischer Art und beanspruchten, dnrch ihre Verhandlung und Einwirkung
zu deren Entwicklung und Lösung das ihrige beizutragen.

Wir lassen dahingestellt, wie weit dieser Anspruch an sich und vermöge
des Verhaltens der Versammlungen begründet war. Es wird sich dies Herans¬
stellen, wenn wir auf die betreffenden Verhandlungen selbst kommen. Allein
schon die rein historische Betrachtung, auf welche wir durch jene Erscheinung
gebracht werden, ist bedeutsam genug — die Betrachtung nämlich über die merk¬
würdige Veränderung in der Behandlung der sogenannten sozialen Frage seit
ihrem ersten starken Auftrete» im Bereich auch unsers nationalen Lebens.

Einige dieser Versammlungen beanspruchen aber vorzugsweise durch ihre
direkte Stellung zur sozialen Bewegung an denn Maßstabe, welchen diese letztere
selbst darbietet, gewürdigt zu werden, und hierbei steht die Generalversamm¬
lung der katholischen Vereine, welche vom 10. bis zum 14. September
sich in Frankfurt am Main versammelt hielt, obenan. Diese Generalversamm¬
lung der katholischen Vereine erfaßte die soziale Frage unmittelbar und be¬
handelte dieselbe, wie uicht geleugnet werden kann, in bedeutender Weise.

Sie war jedenfalls eine Versammlung im großen Stil. Lange Übung,
hohes Stärkebewußtseiu, wie es ja bei deu Führern der Katholiken in Deutsch¬
land vorhanden sein kann, und ein praktischer Zusammenhang der verschiedenen
Elemente gestattet schon eine bedeutende Kraftentfaltung auch da, wo es sich
doch eigentlich mir um eine Repräsentation, um eine Heerschau handelte; wenn
auch weniger um eine Heerschau der Personen als um eine Heerschau des
ideellen Ganges der Ausbreitung des katholischen Einflusses in Deutschland und
außerhalb. Die Versammlung wurde, obgleich sie wesentlich eine Laienver¬
sammlung sein sollte, vom Klerus beherrscht; von ihm aus erfolgten die be¬
deutsamsten, praktischsten Anregungen. Aber das repräsentative Element gab
ausschließlich der Laienstand. Die Bischöfe ließen mir grüßen; jedoch die vor¬
nehme katholische Laienwelt gruppirte um deu Kommissar der Generalversamm¬
lung, den Fürsten Löwenstein, eine ganze Reihe von Herren des mediatisirten
Fürstenstandes und des katholischen niedern Adels aus allen Gegenden Deutsch¬
lands. Die Herren Windthorst und Schorlemer-Alse, die Führer des Zentrums,
fehlten uicht, und Windthorst wurde, als er in der ersten Hauptversammlung
erschien, von der Versammlung durch allgemeines Erheben von den Sitzen
und stürmischen Zuruf begrüßt. Er selbst zeigte im Verlauf des .Kon¬
gresses mehr als einmal, daß er sich seines Imperiums in diesem Kreise wohl
bewußt sei; es war ihm ein besondrer Sitz, dem nnr des Dekvrnms wegen ein
zweiter, stets leerbleibeuder, gegenübergestellt war, aufgespart, und wenn er, selbst
nach Schluß der Debatte, das Wort forderte, erhielt er es stets; auch Diktateu


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[0430] Debatten über die soziale Frage. eine ebenso hohe sozialpolitische wie naturhistorische Bedeutung. Viele jener sommerlichen und herbstliche»? Versammlungen stellte» sich sogar sofort in die soziale Bewegung mitten hinein. Sie befaßten sich In oMnm komm mit Fragen sozialpolitischer Art und beanspruchten, dnrch ihre Verhandlung und Einwirkung zu deren Entwicklung und Lösung das ihrige beizutragen. Wir lassen dahingestellt, wie weit dieser Anspruch an sich und vermöge des Verhaltens der Versammlungen begründet war. Es wird sich dies Herans¬ stellen, wenn wir auf die betreffenden Verhandlungen selbst kommen. Allein schon die rein historische Betrachtung, auf welche wir durch jene Erscheinung gebracht werden, ist bedeutsam genug — die Betrachtung nämlich über die merk¬ würdige Veränderung in der Behandlung der sogenannten sozialen Frage seit ihrem ersten starken Auftrete» im Bereich auch unsers nationalen Lebens. Einige dieser Versammlungen beanspruchen aber vorzugsweise durch ihre direkte Stellung zur sozialen Bewegung an denn Maßstabe, welchen diese letztere selbst darbietet, gewürdigt zu werden, und hierbei steht die Generalversamm¬ lung der katholischen Vereine, welche vom 10. bis zum 14. September sich in Frankfurt am Main versammelt hielt, obenan. Diese Generalversamm¬ lung der katholischen Vereine erfaßte die soziale Frage unmittelbar und be¬ handelte dieselbe, wie uicht geleugnet werden kann, in bedeutender Weise. Sie war jedenfalls eine Versammlung im großen Stil. Lange Übung, hohes Stärkebewußtseiu, wie es ja bei deu Führern der Katholiken in Deutsch¬ land vorhanden sein kann, und ein praktischer Zusammenhang der verschiedenen Elemente gestattet schon eine bedeutende Kraftentfaltung auch da, wo es sich doch eigentlich mir um eine Repräsentation, um eine Heerschau handelte; wenn auch weniger um eine Heerschau der Personen als um eine Heerschau des ideellen Ganges der Ausbreitung des katholischen Einflusses in Deutschland und außerhalb. Die Versammlung wurde, obgleich sie wesentlich eine Laienver¬ sammlung sein sollte, vom Klerus beherrscht; von ihm aus erfolgten die be¬ deutsamsten, praktischsten Anregungen. Aber das repräsentative Element gab ausschließlich der Laienstand. Die Bischöfe ließen mir grüßen; jedoch die vor¬ nehme katholische Laienwelt gruppirte um deu Kommissar der Generalversamm¬ lung, den Fürsten Löwenstein, eine ganze Reihe von Herren des mediatisirten Fürstenstandes und des katholischen niedern Adels aus allen Gegenden Deutsch¬ lands. Die Herren Windthorst und Schorlemer-Alse, die Führer des Zentrums, fehlten uicht, und Windthorst wurde, als er in der ersten Hauptversammlung erschien, von der Versammlung durch allgemeines Erheben von den Sitzen und stürmischen Zuruf begrüßt. Er selbst zeigte im Verlauf des .Kon¬ gresses mehr als einmal, daß er sich seines Imperiums in diesem Kreise wohl bewußt sei; es war ihm ein besondrer Sitz, dem nnr des Dekvrnms wegen ein zweiter, stets leerbleibeuder, gegenübergestellt war, aufgespart, und wenn er, selbst nach Schluß der Debatte, das Wort forderte, erhielt er es stets; auch Diktateu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/430>, abgerufen am 29.06.2024.