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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Debatten über die soziale Frage.

Wege gebracht, die dasselbe nicht nur von jedem Einflüsse auf die gesmnmtenro-
päische Politik, sondern von der Verfolgung seiner nächsten vitalsten Interessen
ausschließt. Die erfolgreich in Angriff genommene Reorganisation der Armee
endlich erlahmt immer wieder, weil ihre Grundlage bei jedem Systemwechsel in
Frage gestellt wird."

Es Ware ein Wunder, wenn diese Beobachtungen spurlos an den Fran¬
zosen vorübergegangen wären. Die unaufhörlichen Ministerkrisen, die Aus¬
schließung Frankreichs von fernerem Einfluß auf die Ordnung der Dinge in
Ägypten und die Erbitterung der Konservative" und der Sozialdemokraten über
das bisherige Regiment beginnen ihre Früchte zu tragen. Ermutigt durch die
unheilbare Zerfahrenheit der Kammermajorität haben die letztern ihr Haupt er¬
hoben und die herrschende Klasse dnrch Drohungen und Gewaltthaten "aller Art
erschreckt. Die Konservativen, mit Recht voll Zorn über das letzte Uuterrichts-
gesetz und die beabsichtigte Herabsetzung des Nichterstandes, reden offen davon,
daß die Republik abgewirtschaftet habe, und auch in andern Kreisen scheint diese
Meinung überHand zu nehmen. Es sieht ans, als ob nur Unterwerfung unter
Gmnbettn die Einigkeit unter den Republikanern herstellen könne, aber zahlreiche
von deu letztern nehmen Anstand, diesen Preis zu zahlen, weil sie davon neue
Zugeständnisse an die Radikalen und eine gefährliche auswärtige Politik zu
fürchten haben. Kurz, die Zersetzung, welche der Parlamentarismus und die
demokratischen Neigungen sowohl Grevys als Gambettas, sowie die egoistische
Politik des letztern über Frankreich gebracht haben, ist soweit vorgeschritten,
daß es außerordentlicher Anstrengungen bedürfen wird, um große Erschütte¬
rungen und eine baldige Katastrophe zu vermeiden, und zuletzt wird sich das
Thierssche Wort bewähren: "Die Republik wird konservativ sein, oder sie wird
nicht sein."




Debatten über die soziale Frage.

el den zahlreichen Versammlungen, welche im Laufe des ver¬
flossenen Sommers und Herbstes a" verschiedenen Orten Deutsch¬
lands getagt haben und welche eine mehr als vorübergehende
Bedeutuug beanspruchen, waren nur wenige, welche sich vou einem
Eingehen auf die soziale Bewegung fern hielten, wenigstens streiften
sie dieselbe; wurde doch selbst dem Anthropologischen Kongreß zu Frankfurt auf
einem spätern Kongresse das Verdienst zugeschrieben, er habe die Darwinsche
Dcseendenztheorie begraben. Und die Darwinsche Deseendenzthevrie hat sicher


Grnizbowi IV. 1882. S4
Debatten über die soziale Frage.

Wege gebracht, die dasselbe nicht nur von jedem Einflüsse auf die gesmnmtenro-
päische Politik, sondern von der Verfolgung seiner nächsten vitalsten Interessen
ausschließt. Die erfolgreich in Angriff genommene Reorganisation der Armee
endlich erlahmt immer wieder, weil ihre Grundlage bei jedem Systemwechsel in
Frage gestellt wird."

Es Ware ein Wunder, wenn diese Beobachtungen spurlos an den Fran¬
zosen vorübergegangen wären. Die unaufhörlichen Ministerkrisen, die Aus¬
schließung Frankreichs von fernerem Einfluß auf die Ordnung der Dinge in
Ägypten und die Erbitterung der Konservative» und der Sozialdemokraten über
das bisherige Regiment beginnen ihre Früchte zu tragen. Ermutigt durch die
unheilbare Zerfahrenheit der Kammermajorität haben die letztern ihr Haupt er¬
hoben und die herrschende Klasse dnrch Drohungen und Gewaltthaten "aller Art
erschreckt. Die Konservativen, mit Recht voll Zorn über das letzte Uuterrichts-
gesetz und die beabsichtigte Herabsetzung des Nichterstandes, reden offen davon,
daß die Republik abgewirtschaftet habe, und auch in andern Kreisen scheint diese
Meinung überHand zu nehmen. Es sieht ans, als ob nur Unterwerfung unter
Gmnbettn die Einigkeit unter den Republikanern herstellen könne, aber zahlreiche
von deu letztern nehmen Anstand, diesen Preis zu zahlen, weil sie davon neue
Zugeständnisse an die Radikalen und eine gefährliche auswärtige Politik zu
fürchten haben. Kurz, die Zersetzung, welche der Parlamentarismus und die
demokratischen Neigungen sowohl Grevys als Gambettas, sowie die egoistische
Politik des letztern über Frankreich gebracht haben, ist soweit vorgeschritten,
daß es außerordentlicher Anstrengungen bedürfen wird, um große Erschütte¬
rungen und eine baldige Katastrophe zu vermeiden, und zuletzt wird sich das
Thierssche Wort bewähren: „Die Republik wird konservativ sein, oder sie wird
nicht sein."




Debatten über die soziale Frage.

el den zahlreichen Versammlungen, welche im Laufe des ver¬
flossenen Sommers und Herbstes a» verschiedenen Orten Deutsch¬
lands getagt haben und welche eine mehr als vorübergehende
Bedeutuug beanspruchen, waren nur wenige, welche sich vou einem
Eingehen auf die soziale Bewegung fern hielten, wenigstens streiften
sie dieselbe; wurde doch selbst dem Anthropologischen Kongreß zu Frankfurt auf
einem spätern Kongresse das Verdienst zugeschrieben, er habe die Darwinsche
Dcseendenztheorie begraben. Und die Darwinsche Deseendenzthevrie hat sicher


Grnizbowi IV. 1882. S4
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[0429] Debatten über die soziale Frage. Wege gebracht, die dasselbe nicht nur von jedem Einflüsse auf die gesmnmtenro- päische Politik, sondern von der Verfolgung seiner nächsten vitalsten Interessen ausschließt. Die erfolgreich in Angriff genommene Reorganisation der Armee endlich erlahmt immer wieder, weil ihre Grundlage bei jedem Systemwechsel in Frage gestellt wird." Es Ware ein Wunder, wenn diese Beobachtungen spurlos an den Fran¬ zosen vorübergegangen wären. Die unaufhörlichen Ministerkrisen, die Aus¬ schließung Frankreichs von fernerem Einfluß auf die Ordnung der Dinge in Ägypten und die Erbitterung der Konservative» und der Sozialdemokraten über das bisherige Regiment beginnen ihre Früchte zu tragen. Ermutigt durch die unheilbare Zerfahrenheit der Kammermajorität haben die letztern ihr Haupt er¬ hoben und die herrschende Klasse dnrch Drohungen und Gewaltthaten "aller Art erschreckt. Die Konservativen, mit Recht voll Zorn über das letzte Uuterrichts- gesetz und die beabsichtigte Herabsetzung des Nichterstandes, reden offen davon, daß die Republik abgewirtschaftet habe, und auch in andern Kreisen scheint diese Meinung überHand zu nehmen. Es sieht ans, als ob nur Unterwerfung unter Gmnbettn die Einigkeit unter den Republikanern herstellen könne, aber zahlreiche von deu letztern nehmen Anstand, diesen Preis zu zahlen, weil sie davon neue Zugeständnisse an die Radikalen und eine gefährliche auswärtige Politik zu fürchten haben. Kurz, die Zersetzung, welche der Parlamentarismus und die demokratischen Neigungen sowohl Grevys als Gambettas, sowie die egoistische Politik des letztern über Frankreich gebracht haben, ist soweit vorgeschritten, daß es außerordentlicher Anstrengungen bedürfen wird, um große Erschütte¬ rungen und eine baldige Katastrophe zu vermeiden, und zuletzt wird sich das Thierssche Wort bewähren: „Die Republik wird konservativ sein, oder sie wird nicht sein." Debatten über die soziale Frage. el den zahlreichen Versammlungen, welche im Laufe des ver¬ flossenen Sommers und Herbstes a» verschiedenen Orten Deutsch¬ lands getagt haben und welche eine mehr als vorübergehende Bedeutuug beanspruchen, waren nur wenige, welche sich vou einem Eingehen auf die soziale Bewegung fern hielten, wenigstens streiften sie dieselbe; wurde doch selbst dem Anthropologischen Kongreß zu Frankfurt auf einem spätern Kongresse das Verdienst zugeschrieben, er habe die Darwinsche Dcseendenztheorie begraben. Und die Darwinsche Deseendenzthevrie hat sicher Grnizbowi IV. 1882. S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/429>, abgerufen am 29.06.2024.