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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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im Innern nach Möglichkeit hinausschob und nach außen zaghaft auftrat. Sehr
viel trugen dazu die Gambettisten bei, die ihr äußerstes thaten, um die Be¬
strebungen Freyeinets zu vereiteln. Ein Beispiel ihres Verfahrens ist folgendes.
Die Negierung legte der Kammer ein Haftpflicht- und ein Unfallversicherungsgesetz
vor, die noch unter Gmnbcttas Regiment (von Faure) nnsgearbeitet waren.
Als sie aber von der neuen Regierung eingebracht wurden, ließ Gambetta seine
Gefolgschaft gegen sie Votiren, damit sein Nachfolger keinen positiven Erfolg
aufzuweisen habe. Man verwarf also Gesetzentwürfe, die man selbst angefertigt,
nur deswegen, weil ein Gegner sie empfahl. Ebenso ließ die Fraktion Gaiu-
bettas Freycinet im Stiche, als er in der ägyptischen Sache eine Geldbewilligung
verlangte, die aus etwas hinauslief, was wenigstens annähernd aus das
hinauslief, was Gambetta als Minister selbst gefordert hatte, und was über¬
dies ein wichtiges Interesse Frankreichs gefordert hätte. So mußte vor dieser
Unfähigkeit der Republikaner, sich zu einige", auch Freycinet abdanken. Er
machte Duelere Raum zu neuen Negieruugsexperimeuteu, die bis jetzt nicht
besser geglückt sind als die seiner Vorgänger im Amte. Derselbe hat sich eifrig
bemüht, zwischen den Gruppen der republikanische Mehrheit den Frieden her-
zustellen, wesentliches aber hat er nicht ausgerichtet.

Blicken wir auf die Arbeit des französischen Parlamentarismus seit 1871
und auf die Früchte der demokratischer! Grundsätze, die in den letzten fünf Jahren
geltend gemacht wurden, zurück, so begegnen wir einer Reihe von Schwankungen
und Widersprüchen, die geradezu erstaunlich ist. In elf Jahren zehnmaliger
Wechsel in der auswärtigen Politik, zwölf Kriegsminister, ebensoviel Justiz¬
minister nacheinander, uicht weniger als zweiundzwanzig Minister des Innern
und so ähnlich in den andern Fächern der Verwaltung. Man vergleiche die
lange Tabelle in der oben augeführten Schrift, deren Verfasser fortfährt: "Eine
Periode der Vorherrschaft klerikaler Tendenzen, welche ein Unterrichtsgesetz wie
dasjenige vom 2. Juli 1875 möglich machte, und fünf Jahre später Unter¬
richtsgesetze, die den Religionsunterricht aus der Volksschule ausschließe"!. . .
Vierjährige saure Arbeit an der Herstellung einer Verfassung, und unmittelbar
darauf heiße Kämpfe um die Umgestaltung des Wahlrechts und um die "Reform"
des Senats (d. h. dessen Demvkratisirung oder Abschaffung). Nach erfochtenen
Siege der republikanischen Partei tätliche Feindschaften zwischen den einzelnen
Fraktionen derselben und noch zahlreichere Ministerwechsel als zur Zeit des
Streites zwischen Republikanern und Monarchisten. Beständige Klagen über
die Abhängigkeit und Gesinnungslosigkeit des mittlern, allen Systemen gleich
dienstbaren Beamtentums und dabei freche Versuche, durch Beseitigung der Un-
absetzbarkeit der Richter die Unabhängigkeit der Magistratnr zu brechen und die
richterliche Gewalt zur Beute des Siegers zu macheu. . . Während man sich in
glänzenden Versprechungen von der Wiederherstellung der dominirenden äußern
Stellung Frankreichs ergeht, wird eine diplomatische Isolirung des Landes zu-


im Innern nach Möglichkeit hinausschob und nach außen zaghaft auftrat. Sehr
viel trugen dazu die Gambettisten bei, die ihr äußerstes thaten, um die Be¬
strebungen Freyeinets zu vereiteln. Ein Beispiel ihres Verfahrens ist folgendes.
Die Negierung legte der Kammer ein Haftpflicht- und ein Unfallversicherungsgesetz
vor, die noch unter Gmnbcttas Regiment (von Faure) nnsgearbeitet waren.
Als sie aber von der neuen Regierung eingebracht wurden, ließ Gambetta seine
Gefolgschaft gegen sie Votiren, damit sein Nachfolger keinen positiven Erfolg
aufzuweisen habe. Man verwarf also Gesetzentwürfe, die man selbst angefertigt,
nur deswegen, weil ein Gegner sie empfahl. Ebenso ließ die Fraktion Gaiu-
bettas Freycinet im Stiche, als er in der ägyptischen Sache eine Geldbewilligung
verlangte, die aus etwas hinauslief, was wenigstens annähernd aus das
hinauslief, was Gambetta als Minister selbst gefordert hatte, und was über¬
dies ein wichtiges Interesse Frankreichs gefordert hätte. So mußte vor dieser
Unfähigkeit der Republikaner, sich zu einige», auch Freycinet abdanken. Er
machte Duelere Raum zu neuen Negieruugsexperimeuteu, die bis jetzt nicht
besser geglückt sind als die seiner Vorgänger im Amte. Derselbe hat sich eifrig
bemüht, zwischen den Gruppen der republikanische Mehrheit den Frieden her-
zustellen, wesentliches aber hat er nicht ausgerichtet.

Blicken wir auf die Arbeit des französischen Parlamentarismus seit 1871
und auf die Früchte der demokratischer! Grundsätze, die in den letzten fünf Jahren
geltend gemacht wurden, zurück, so begegnen wir einer Reihe von Schwankungen
und Widersprüchen, die geradezu erstaunlich ist. In elf Jahren zehnmaliger
Wechsel in der auswärtigen Politik, zwölf Kriegsminister, ebensoviel Justiz¬
minister nacheinander, uicht weniger als zweiundzwanzig Minister des Innern
und so ähnlich in den andern Fächern der Verwaltung. Man vergleiche die
lange Tabelle in der oben augeführten Schrift, deren Verfasser fortfährt: „Eine
Periode der Vorherrschaft klerikaler Tendenzen, welche ein Unterrichtsgesetz wie
dasjenige vom 2. Juli 1875 möglich machte, und fünf Jahre später Unter¬
richtsgesetze, die den Religionsunterricht aus der Volksschule ausschließe»!. . .
Vierjährige saure Arbeit an der Herstellung einer Verfassung, und unmittelbar
darauf heiße Kämpfe um die Umgestaltung des Wahlrechts und um die »Reform«
des Senats (d. h. dessen Demvkratisirung oder Abschaffung). Nach erfochtenen
Siege der republikanischen Partei tätliche Feindschaften zwischen den einzelnen
Fraktionen derselben und noch zahlreichere Ministerwechsel als zur Zeit des
Streites zwischen Republikanern und Monarchisten. Beständige Klagen über
die Abhängigkeit und Gesinnungslosigkeit des mittlern, allen Systemen gleich
dienstbaren Beamtentums und dabei freche Versuche, durch Beseitigung der Un-
absetzbarkeit der Richter die Unabhängigkeit der Magistratnr zu brechen und die
richterliche Gewalt zur Beute des Siegers zu macheu. . . Während man sich in
glänzenden Versprechungen von der Wiederherstellung der dominirenden äußern
Stellung Frankreichs ergeht, wird eine diplomatische Isolirung des Landes zu-


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[0428] im Innern nach Möglichkeit hinausschob und nach außen zaghaft auftrat. Sehr viel trugen dazu die Gambettisten bei, die ihr äußerstes thaten, um die Be¬ strebungen Freyeinets zu vereiteln. Ein Beispiel ihres Verfahrens ist folgendes. Die Negierung legte der Kammer ein Haftpflicht- und ein Unfallversicherungsgesetz vor, die noch unter Gmnbcttas Regiment (von Faure) nnsgearbeitet waren. Als sie aber von der neuen Regierung eingebracht wurden, ließ Gambetta seine Gefolgschaft gegen sie Votiren, damit sein Nachfolger keinen positiven Erfolg aufzuweisen habe. Man verwarf also Gesetzentwürfe, die man selbst angefertigt, nur deswegen, weil ein Gegner sie empfahl. Ebenso ließ die Fraktion Gaiu- bettas Freycinet im Stiche, als er in der ägyptischen Sache eine Geldbewilligung verlangte, die aus etwas hinauslief, was wenigstens annähernd aus das hinauslief, was Gambetta als Minister selbst gefordert hatte, und was über¬ dies ein wichtiges Interesse Frankreichs gefordert hätte. So mußte vor dieser Unfähigkeit der Republikaner, sich zu einige», auch Freycinet abdanken. Er machte Duelere Raum zu neuen Negieruugsexperimeuteu, die bis jetzt nicht besser geglückt sind als die seiner Vorgänger im Amte. Derselbe hat sich eifrig bemüht, zwischen den Gruppen der republikanische Mehrheit den Frieden her- zustellen, wesentliches aber hat er nicht ausgerichtet. Blicken wir auf die Arbeit des französischen Parlamentarismus seit 1871 und auf die Früchte der demokratischer! Grundsätze, die in den letzten fünf Jahren geltend gemacht wurden, zurück, so begegnen wir einer Reihe von Schwankungen und Widersprüchen, die geradezu erstaunlich ist. In elf Jahren zehnmaliger Wechsel in der auswärtigen Politik, zwölf Kriegsminister, ebensoviel Justiz¬ minister nacheinander, uicht weniger als zweiundzwanzig Minister des Innern und so ähnlich in den andern Fächern der Verwaltung. Man vergleiche die lange Tabelle in der oben augeführten Schrift, deren Verfasser fortfährt: „Eine Periode der Vorherrschaft klerikaler Tendenzen, welche ein Unterrichtsgesetz wie dasjenige vom 2. Juli 1875 möglich machte, und fünf Jahre später Unter¬ richtsgesetze, die den Religionsunterricht aus der Volksschule ausschließe»!. . . Vierjährige saure Arbeit an der Herstellung einer Verfassung, und unmittelbar darauf heiße Kämpfe um die Umgestaltung des Wahlrechts und um die »Reform« des Senats (d. h. dessen Demvkratisirung oder Abschaffung). Nach erfochtenen Siege der republikanischen Partei tätliche Feindschaften zwischen den einzelnen Fraktionen derselben und noch zahlreichere Ministerwechsel als zur Zeit des Streites zwischen Republikanern und Monarchisten. Beständige Klagen über die Abhängigkeit und Gesinnungslosigkeit des mittlern, allen Systemen gleich dienstbaren Beamtentums und dabei freche Versuche, durch Beseitigung der Un- absetzbarkeit der Richter die Unabhängigkeit der Magistratnr zu brechen und die richterliche Gewalt zur Beute des Siegers zu macheu. . . Während man sich in glänzenden Versprechungen von der Wiederherstellung der dominirenden äußern Stellung Frankreichs ergeht, wird eine diplomatische Isolirung des Landes zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/428>, abgerufen am 29.06.2024.