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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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gewählt worden wäre, und wenn um? trotzdem hoffte, er werde viele Mandate
erhalten, so traf das nicht zu. Die Franzosen trauten dem System, bei dem ein
Mann gebietet, nicht mehr so wie bisher, sie waren nicht geneigt, sich die kaum
noch verhüllte Diktatur eines Parteiführers, wie bedeutend dessen Fähigkeiten
auch wnreu, ferner gefallen zu lassen. Dennoch blieb Gambetta der erste Mann
in der durch die Wahlen wesentlich vermehrten republikanische" Majorität der
Deputirtenkammer und deshalb deren Leiter, wenn sie zusammenhielt. Nach
dem parlamentarischen System mußte er infolge dessen Premierminister werden
und zeigen, was er in Verantwortlicher Stellung vermochte. Er zeigte, daß er
trotz seiner Rednergabe, seines Einflusses und seiner vielen Verbindungen wenig
vermochte. Nach außen wie im Innern erweckte er nur Argwohn, in der
ägyptischen Angelegenheit begegneten seine Vorschläge einer Ablehnung von
feiten Englands, zuletzt fiel er durch eine Kammerabstimmnng über sein Lieb¬
lingsprojekt. Als er sein Ministerium gebildet, machte er eine Revision der
Verfassung zur Bedingung seines Verbleibens im Amte, und die Kammer schien
geneigt, ihm ein williges Ohr zu leihen. Aber verstrickt und befangen von dem
Gedanken an das Liftenskrutinium, nahm er dasselbe in die Reihe seiner Ver-
besserungsvorschläge auf und forderte beide Häuser der Volksvertretung auf, es
der Verfnfsuug einzuverleiben. Dieser Vorschlag war eine Überraschung. Er
erweckte nicht bloß Verdruß, sondern zugleich tiefes Mißtrauen, er entflammte
nicht bloß die neugewählten Abgeordneten, welche den Verlust ihrer Malwate
fürchteten, sondern erfüllte auch viele andre mit schweren Bedenken. Mau
glaubte ihm nicht, wenn er versicherte, nicht die Diktatur zu erstreben. Er
ging, nachdem er kaum drei Monate am Ruder gewesen, und am 28. Januar d. I.
erhielt Freycinet vom Präsidenten Grevy den Austrag, ein neues Kabinet zu
bilden.

Es schien mit Gambettas Allmacht zu Ende zu sein. Indeß blieb er bei
der Lage der Dinge immerhin mächtig genug, um keine andre Regierung dauernd
im Besitze der Macht zu lassen. Die Republik schien konsolidirt, aber die
Republikaner wnreu es offenbar nicht. Die Majorität war in drei nicht so
sehr dnrch Grundsätze als durch persönliche und Fraktionsinteresfen anseinander-
gehaltene Gruppen gespalten, und welche von diesen an der Gewalt war, be¬
hauptet sich lediglich durch die gegenseitige Eifersucht der beiden andern. Frey¬
cinet blieb an der Spitze der Verwaltung nicht, weil er der Mehrheit als der
rechte Manu galt, sondern weil die äußerste Rechte und die beiden am weitesten
links stehendem Cliquen der Kammer ihn für ihre Absichten nicht so gefährlich
ansahen als Gmnbettn. Die Deputirten, welche diesen znni Rücktritt von der
Ministerpräfidentschaft nötigten und um? seine Rache zu fürchten hatten,
stimmten auch weiterhin gegen seine Pläne, ohne deshalb die Freyeiuetschen
stark und stetig zu unterstützen, sodaß auch dieses Ministerium schwach blieb
und infolge dessen kein energisches Vorgehen wagte, vielmehr fast alle Reformen


gewählt worden wäre, und wenn um? trotzdem hoffte, er werde viele Mandate
erhalten, so traf das nicht zu. Die Franzosen trauten dem System, bei dem ein
Mann gebietet, nicht mehr so wie bisher, sie waren nicht geneigt, sich die kaum
noch verhüllte Diktatur eines Parteiführers, wie bedeutend dessen Fähigkeiten
auch wnreu, ferner gefallen zu lassen. Dennoch blieb Gambetta der erste Mann
in der durch die Wahlen wesentlich vermehrten republikanische» Majorität der
Deputirtenkammer und deshalb deren Leiter, wenn sie zusammenhielt. Nach
dem parlamentarischen System mußte er infolge dessen Premierminister werden
und zeigen, was er in Verantwortlicher Stellung vermochte. Er zeigte, daß er
trotz seiner Rednergabe, seines Einflusses und seiner vielen Verbindungen wenig
vermochte. Nach außen wie im Innern erweckte er nur Argwohn, in der
ägyptischen Angelegenheit begegneten seine Vorschläge einer Ablehnung von
feiten Englands, zuletzt fiel er durch eine Kammerabstimmnng über sein Lieb¬
lingsprojekt. Als er sein Ministerium gebildet, machte er eine Revision der
Verfassung zur Bedingung seines Verbleibens im Amte, und die Kammer schien
geneigt, ihm ein williges Ohr zu leihen. Aber verstrickt und befangen von dem
Gedanken an das Liftenskrutinium, nahm er dasselbe in die Reihe seiner Ver-
besserungsvorschläge auf und forderte beide Häuser der Volksvertretung auf, es
der Verfnfsuug einzuverleiben. Dieser Vorschlag war eine Überraschung. Er
erweckte nicht bloß Verdruß, sondern zugleich tiefes Mißtrauen, er entflammte
nicht bloß die neugewählten Abgeordneten, welche den Verlust ihrer Malwate
fürchteten, sondern erfüllte auch viele andre mit schweren Bedenken. Mau
glaubte ihm nicht, wenn er versicherte, nicht die Diktatur zu erstreben. Er
ging, nachdem er kaum drei Monate am Ruder gewesen, und am 28. Januar d. I.
erhielt Freycinet vom Präsidenten Grevy den Austrag, ein neues Kabinet zu
bilden.

Es schien mit Gambettas Allmacht zu Ende zu sein. Indeß blieb er bei
der Lage der Dinge immerhin mächtig genug, um keine andre Regierung dauernd
im Besitze der Macht zu lassen. Die Republik schien konsolidirt, aber die
Republikaner wnreu es offenbar nicht. Die Majorität war in drei nicht so
sehr dnrch Grundsätze als durch persönliche und Fraktionsinteresfen anseinander-
gehaltene Gruppen gespalten, und welche von diesen an der Gewalt war, be¬
hauptet sich lediglich durch die gegenseitige Eifersucht der beiden andern. Frey¬
cinet blieb an der Spitze der Verwaltung nicht, weil er der Mehrheit als der
rechte Manu galt, sondern weil die äußerste Rechte und die beiden am weitesten
links stehendem Cliquen der Kammer ihn für ihre Absichten nicht so gefährlich
ansahen als Gmnbettn. Die Deputirten, welche diesen znni Rücktritt von der
Ministerpräfidentschaft nötigten und um? seine Rache zu fürchten hatten,
stimmten auch weiterhin gegen seine Pläne, ohne deshalb die Freyeiuetschen
stark und stetig zu unterstützen, sodaß auch dieses Ministerium schwach blieb
und infolge dessen kein energisches Vorgehen wagte, vielmehr fast alle Reformen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/427>, abgerufen am 29.06.2024.