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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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stark hervorgetretene, jetzt zum Präsidenten der Deputirtenkammer erwählte
Gambetta suchte durch eifriges Wirken fiir die Begnadigung der deportirten
Kvnunuuardeu die noch weiter links als er stehenden Elemente an sich zu
ziehen und ferner der Gesetzgebung eine Richtung zu geben, welche die radikalen
Demokraten befriedigen und die gemäßigte Partei zurückdrängen >ab von den
Konservativen trennen sollte. Diese Absicht wurde so vollständig erreicht, das;
von den fünf Ministerien, die während der Dauer des zweiten Parlaments
amtirten (Dufaure, Waddiugton, Freycinet, Ferry und Freycinet abermals), sich
kein einziges länger als einige Monate zu behaupten vermochte. Man nahm
an, Festigkeit werde erst in die Regierung kommen, wenn Gambetta selbst als
Premier die Leitung der öffentlichen Geschäfte in die Hand nähme. Indeß
scheiterte sein Versuch, durch Veränderung des Wahlsystems (Einführung des
Listenskrntiniums) eine Grundlage zur Befestigung seiner Stellung gegenüber
der Volksvertretung zu gewinnen, indem nur die Deputirten und auch diese
nur mit schwacher Mehrheit darauf eingingen. Darauf folgte sofort die Aus¬
losung der bisherigen Deputirtenkammer, und die Augnstwnhlen von 1881
ergaben eine Kammer, mit welcher Gambetta, wie es schien, zufrieden sein konnte.
Sie waren ein Verdikt, das die Zufriedenheit des französischen Volkes mit der
republikanischen Regierungsform ausdrückte, für welche er seit Jahren mit allen
Mitteln gekämpft hatte. Unzweifelhaft hatte er dabei auch persönliche Zwecke
im Auge gehabt, Macht, vielleicht eine verhüllte Alleinherrschaft; gefördert hatte
er die Sache der Republik aber doch, und so mußte es ihn mit Genugthuung
erfüllen, als er seine Politik jetzt zum zweitenmal durch eine überwältigende
Mehrheit der Franzosen gutgeheißen sah. Es waren nur 90 Monarchisten
gewählt. Doch fehlte dem Bilde auch der Schatten nicht: die Radikalen, denen
Gambetta sich in so vielen Dingen genähert hatte, waren keineswegs versöhnt,
sondern im Gegenteil entschlossen, ihm, dem Führer der bürgerlichen Demo¬
kratie, bis aufs äußerste Opposition zu machen, und sie gewannen namentlich
in Paris und andern großen Städten fortwährend mehr Anhang. Wollte
Gambetta Kontrole der Geistlichkeit, Umgestaltung des Senats und Modifikation
der Aushebung für das Heer, so verlangte Clemeneeau und seine Partei völlige
Trennung des Staates von der Kirche, Abschaffung der ersten Kammer, Er¬
setzung der Armee dnrch eine Nationalmiliz und Wahl der Richter durch das
Volk. Ferner hatten die Wahlen zwar die Republik gestärkt, nicht aber Gam-
bettas persönliche Stellung. Als die Deputirtenkammer sein Listenskrntininm
schließlich trotz der Abneigung Grevys angenommen hatte, war er nach seiner
Vaterstadt Cahors gegangen und dort beinahe mit fürstlichen Ehren empfangen
worden. Dieser Triumph mußte ihm aber schaden, er verstimmte viele auf¬
richtige Republikaner und erweckte Eifersucht, Neid und schlimme Befürchtungen.
Das bestätigte sich bei den Wahlen. Der Senat hatte das Listenflrutiuinm
verworfen, bei dein Gambetta sicher, wie einst Thiers, in zwanzig Departements


stark hervorgetretene, jetzt zum Präsidenten der Deputirtenkammer erwählte
Gambetta suchte durch eifriges Wirken fiir die Begnadigung der deportirten
Kvnunuuardeu die noch weiter links als er stehenden Elemente an sich zu
ziehen und ferner der Gesetzgebung eine Richtung zu geben, welche die radikalen
Demokraten befriedigen und die gemäßigte Partei zurückdrängen >ab von den
Konservativen trennen sollte. Diese Absicht wurde so vollständig erreicht, das;
von den fünf Ministerien, die während der Dauer des zweiten Parlaments
amtirten (Dufaure, Waddiugton, Freycinet, Ferry und Freycinet abermals), sich
kein einziges länger als einige Monate zu behaupten vermochte. Man nahm
an, Festigkeit werde erst in die Regierung kommen, wenn Gambetta selbst als
Premier die Leitung der öffentlichen Geschäfte in die Hand nähme. Indeß
scheiterte sein Versuch, durch Veränderung des Wahlsystems (Einführung des
Listenskrntiniums) eine Grundlage zur Befestigung seiner Stellung gegenüber
der Volksvertretung zu gewinnen, indem nur die Deputirten und auch diese
nur mit schwacher Mehrheit darauf eingingen. Darauf folgte sofort die Aus¬
losung der bisherigen Deputirtenkammer, und die Augnstwnhlen von 1881
ergaben eine Kammer, mit welcher Gambetta, wie es schien, zufrieden sein konnte.
Sie waren ein Verdikt, das die Zufriedenheit des französischen Volkes mit der
republikanischen Regierungsform ausdrückte, für welche er seit Jahren mit allen
Mitteln gekämpft hatte. Unzweifelhaft hatte er dabei auch persönliche Zwecke
im Auge gehabt, Macht, vielleicht eine verhüllte Alleinherrschaft; gefördert hatte
er die Sache der Republik aber doch, und so mußte es ihn mit Genugthuung
erfüllen, als er seine Politik jetzt zum zweitenmal durch eine überwältigende
Mehrheit der Franzosen gutgeheißen sah. Es waren nur 90 Monarchisten
gewählt. Doch fehlte dem Bilde auch der Schatten nicht: die Radikalen, denen
Gambetta sich in so vielen Dingen genähert hatte, waren keineswegs versöhnt,
sondern im Gegenteil entschlossen, ihm, dem Führer der bürgerlichen Demo¬
kratie, bis aufs äußerste Opposition zu machen, und sie gewannen namentlich
in Paris und andern großen Städten fortwährend mehr Anhang. Wollte
Gambetta Kontrole der Geistlichkeit, Umgestaltung des Senats und Modifikation
der Aushebung für das Heer, so verlangte Clemeneeau und seine Partei völlige
Trennung des Staates von der Kirche, Abschaffung der ersten Kammer, Er¬
setzung der Armee dnrch eine Nationalmiliz und Wahl der Richter durch das
Volk. Ferner hatten die Wahlen zwar die Republik gestärkt, nicht aber Gam-
bettas persönliche Stellung. Als die Deputirtenkammer sein Listenskrntininm
schließlich trotz der Abneigung Grevys angenommen hatte, war er nach seiner
Vaterstadt Cahors gegangen und dort beinahe mit fürstlichen Ehren empfangen
worden. Dieser Triumph mußte ihm aber schaden, er verstimmte viele auf¬
richtige Republikaner und erweckte Eifersucht, Neid und schlimme Befürchtungen.
Das bestätigte sich bei den Wahlen. Der Senat hatte das Listenflrutiuinm
verworfen, bei dein Gambetta sicher, wie einst Thiers, in zwanzig Departements


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[0426] stark hervorgetretene, jetzt zum Präsidenten der Deputirtenkammer erwählte Gambetta suchte durch eifriges Wirken fiir die Begnadigung der deportirten Kvnunuuardeu die noch weiter links als er stehenden Elemente an sich zu ziehen und ferner der Gesetzgebung eine Richtung zu geben, welche die radikalen Demokraten befriedigen und die gemäßigte Partei zurückdrängen >ab von den Konservativen trennen sollte. Diese Absicht wurde so vollständig erreicht, das; von den fünf Ministerien, die während der Dauer des zweiten Parlaments amtirten (Dufaure, Waddiugton, Freycinet, Ferry und Freycinet abermals), sich kein einziges länger als einige Monate zu behaupten vermochte. Man nahm an, Festigkeit werde erst in die Regierung kommen, wenn Gambetta selbst als Premier die Leitung der öffentlichen Geschäfte in die Hand nähme. Indeß scheiterte sein Versuch, durch Veränderung des Wahlsystems (Einführung des Listenskrntiniums) eine Grundlage zur Befestigung seiner Stellung gegenüber der Volksvertretung zu gewinnen, indem nur die Deputirten und auch diese nur mit schwacher Mehrheit darauf eingingen. Darauf folgte sofort die Aus¬ losung der bisherigen Deputirtenkammer, und die Augnstwnhlen von 1881 ergaben eine Kammer, mit welcher Gambetta, wie es schien, zufrieden sein konnte. Sie waren ein Verdikt, das die Zufriedenheit des französischen Volkes mit der republikanischen Regierungsform ausdrückte, für welche er seit Jahren mit allen Mitteln gekämpft hatte. Unzweifelhaft hatte er dabei auch persönliche Zwecke im Auge gehabt, Macht, vielleicht eine verhüllte Alleinherrschaft; gefördert hatte er die Sache der Republik aber doch, und so mußte es ihn mit Genugthuung erfüllen, als er seine Politik jetzt zum zweitenmal durch eine überwältigende Mehrheit der Franzosen gutgeheißen sah. Es waren nur 90 Monarchisten gewählt. Doch fehlte dem Bilde auch der Schatten nicht: die Radikalen, denen Gambetta sich in so vielen Dingen genähert hatte, waren keineswegs versöhnt, sondern im Gegenteil entschlossen, ihm, dem Führer der bürgerlichen Demo¬ kratie, bis aufs äußerste Opposition zu machen, und sie gewannen namentlich in Paris und andern großen Städten fortwährend mehr Anhang. Wollte Gambetta Kontrole der Geistlichkeit, Umgestaltung des Senats und Modifikation der Aushebung für das Heer, so verlangte Clemeneeau und seine Partei völlige Trennung des Staates von der Kirche, Abschaffung der ersten Kammer, Er¬ setzung der Armee dnrch eine Nationalmiliz und Wahl der Richter durch das Volk. Ferner hatten die Wahlen zwar die Republik gestärkt, nicht aber Gam- bettas persönliche Stellung. Als die Deputirtenkammer sein Listenskrntininm schließlich trotz der Abneigung Grevys angenommen hatte, war er nach seiner Vaterstadt Cahors gegangen und dort beinahe mit fürstlichen Ehren empfangen worden. Dieser Triumph mußte ihm aber schaden, er verstimmte viele auf¬ richtige Republikaner und erweckte Eifersucht, Neid und schlimme Befürchtungen. Das bestätigte sich bei den Wahlen. Der Senat hatte das Listenflrutiuinm verworfen, bei dein Gambetta sicher, wie einst Thiers, in zwanzig Departements

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/426>, abgerufen am 29.06.2024.