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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Der Parlamentarismus, Gambetta und Frankreich.

mochte sich lange zu behaupten, in der Umgebung des Präsidenten wurden
reaktionäre Pläne gesponnen, und im Mai 1877 nahm das Kabinet Broglie
einen Anlauf zur Errichtung eines streng konservativen und zugleich klerikalen
Parteiregiments, wodurch sich im ganzen Lande eine Leidenschaftlichkeit der
Gegensätze entzündete, die sich erst legte, als die Wahlen im Oktober den Re¬
publikanern zur weit überwiegenden Mehrheit in der Deputirtenkammer Ver¬
halten. Damit und mit der Entlassung des Ministeriums, an dessen Stelle
ein Kabinet unter dem gemäßigten Republikaner Dufanre trat, begaun ein
neuer Abschnitt im Leben der Republik. Das Gleichgewicht der Parteien blieb
dadurch gewahrt, daß die obere Hülste der Gesetzgebungsmaschine die untere
von radikalen Arbeiten abhielt, und es walteten ruhige und im wesentlichen be¬
friedigende Zustände ob, bis die Senatvrenwahlen vom 5. Januar 1879 einen
Umschwung herbeiführten. Von jetzt an .herrschten in beiden Kammern die
Fraktionell der Linken. Indeß brauchte das nicht unbedingt zu schaden, wenn die
Republikaner sich in ihrem Glücke z" mäßigen verstanden, uicht ins radikale
Fahrwasser gerieten und dem Volke nicht durch Überstürzung den Glauben
nahmen, die Republik gewährleiste ihm die ersehnte Entwicklung in Ruhe lind
Frieden.

Zunächst schien man diese vorsichtige Politik adoptiren zu wollen. Zwar
wurde der Präsident Mac Mahon, der mit Recht als stiller Gegner der Republik
angesehen wurde, durch Zumutungen, die ihm unerfüllbar schienen, genötigt,
zurückzutreten. Aber der Umschwung vollzog sich ohne Schwierigkeit, und die
Wahl des Nachfolgers Mre Masons schien den rechten Mann getroffen zu
haben. Die Republikaner zeigten sich dabei einig und gemüßigt. Wurde in
gleichem Sinne fortgefahren, so konnte der :lo. Januar 1879 den Anbruch
einer neuen Ära stetiger und gedeihlicher Entwicklung bedeuten. Grevy war
kein Thiers, er war nicht besonders populär und kein solches staatsmäuuisches
Talent wie dieser. Aber er besaß gleich ihm gefunden Menschenverstand, und
man durfte hoffen, daß er die Republik vor der Parteiherrschaft zu schützen
wissen werde. Auch die Ministerkrisis, die der Regiernngskrisis rasch folgte,
hatte keine große Vedentnng. Dnfanre, der dein rechten Zentrum angehörte,
machte Waddington, einem Mitgliede des linken Zentrums, Platz, immerhin
aber befanden sich nnter seinen Kollegen zwei Abgeordnete der republikanischen
Linken, sodaß das neue Kabinet um eine Schattirung fortschrittlicher gefärbt
erschien als das bisherige. Bedenklicher schon war der Satz in der Botschaft,
in welcher Grevy sein politisches System entwickelte, hinfort werde parlamen¬
tarisch regiert werden, und noch mehr Bestürznugen mußte es erwecken, daß der
neue Präsident und seine Minister sich fast in allen Beziehungen zu wenig
entschlossen und zu nachgiebig zeigten, wenn es den Forderungen der Radikalen
entgegenzutreten galt. Namentlich war dies in der Amnestiefrage der Fall.
Der schon seit einigen Jahren als Führer der republikanischen Linken wieder


Der Parlamentarismus, Gambetta und Frankreich.

mochte sich lange zu behaupten, in der Umgebung des Präsidenten wurden
reaktionäre Pläne gesponnen, und im Mai 1877 nahm das Kabinet Broglie
einen Anlauf zur Errichtung eines streng konservativen und zugleich klerikalen
Parteiregiments, wodurch sich im ganzen Lande eine Leidenschaftlichkeit der
Gegensätze entzündete, die sich erst legte, als die Wahlen im Oktober den Re¬
publikanern zur weit überwiegenden Mehrheit in der Deputirtenkammer Ver¬
halten. Damit und mit der Entlassung des Ministeriums, an dessen Stelle
ein Kabinet unter dem gemäßigten Republikaner Dufanre trat, begaun ein
neuer Abschnitt im Leben der Republik. Das Gleichgewicht der Parteien blieb
dadurch gewahrt, daß die obere Hülste der Gesetzgebungsmaschine die untere
von radikalen Arbeiten abhielt, und es walteten ruhige und im wesentlichen be¬
friedigende Zustände ob, bis die Senatvrenwahlen vom 5. Januar 1879 einen
Umschwung herbeiführten. Von jetzt an .herrschten in beiden Kammern die
Fraktionell der Linken. Indeß brauchte das nicht unbedingt zu schaden, wenn die
Republikaner sich in ihrem Glücke z» mäßigen verstanden, uicht ins radikale
Fahrwasser gerieten und dem Volke nicht durch Überstürzung den Glauben
nahmen, die Republik gewährleiste ihm die ersehnte Entwicklung in Ruhe lind
Frieden.

Zunächst schien man diese vorsichtige Politik adoptiren zu wollen. Zwar
wurde der Präsident Mac Mahon, der mit Recht als stiller Gegner der Republik
angesehen wurde, durch Zumutungen, die ihm unerfüllbar schienen, genötigt,
zurückzutreten. Aber der Umschwung vollzog sich ohne Schwierigkeit, und die
Wahl des Nachfolgers Mre Masons schien den rechten Mann getroffen zu
haben. Die Republikaner zeigten sich dabei einig und gemüßigt. Wurde in
gleichem Sinne fortgefahren, so konnte der :lo. Januar 1879 den Anbruch
einer neuen Ära stetiger und gedeihlicher Entwicklung bedeuten. Grevy war
kein Thiers, er war nicht besonders populär und kein solches staatsmäuuisches
Talent wie dieser. Aber er besaß gleich ihm gefunden Menschenverstand, und
man durfte hoffen, daß er die Republik vor der Parteiherrschaft zu schützen
wissen werde. Auch die Ministerkrisis, die der Regiernngskrisis rasch folgte,
hatte keine große Vedentnng. Dnfanre, der dein rechten Zentrum angehörte,
machte Waddington, einem Mitgliede des linken Zentrums, Platz, immerhin
aber befanden sich nnter seinen Kollegen zwei Abgeordnete der republikanischen
Linken, sodaß das neue Kabinet um eine Schattirung fortschrittlicher gefärbt
erschien als das bisherige. Bedenklicher schon war der Satz in der Botschaft,
in welcher Grevy sein politisches System entwickelte, hinfort werde parlamen¬
tarisch regiert werden, und noch mehr Bestürznugen mußte es erwecken, daß der
neue Präsident und seine Minister sich fast in allen Beziehungen zu wenig
entschlossen und zu nachgiebig zeigten, wenn es den Forderungen der Radikalen
entgegenzutreten galt. Namentlich war dies in der Amnestiefrage der Fall.
Der schon seit einigen Jahren als Führer der republikanischen Linken wieder


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[0425] Der Parlamentarismus, Gambetta und Frankreich. mochte sich lange zu behaupten, in der Umgebung des Präsidenten wurden reaktionäre Pläne gesponnen, und im Mai 1877 nahm das Kabinet Broglie einen Anlauf zur Errichtung eines streng konservativen und zugleich klerikalen Parteiregiments, wodurch sich im ganzen Lande eine Leidenschaftlichkeit der Gegensätze entzündete, die sich erst legte, als die Wahlen im Oktober den Re¬ publikanern zur weit überwiegenden Mehrheit in der Deputirtenkammer Ver¬ halten. Damit und mit der Entlassung des Ministeriums, an dessen Stelle ein Kabinet unter dem gemäßigten Republikaner Dufanre trat, begaun ein neuer Abschnitt im Leben der Republik. Das Gleichgewicht der Parteien blieb dadurch gewahrt, daß die obere Hülste der Gesetzgebungsmaschine die untere von radikalen Arbeiten abhielt, und es walteten ruhige und im wesentlichen be¬ friedigende Zustände ob, bis die Senatvrenwahlen vom 5. Januar 1879 einen Umschwung herbeiführten. Von jetzt an .herrschten in beiden Kammern die Fraktionell der Linken. Indeß brauchte das nicht unbedingt zu schaden, wenn die Republikaner sich in ihrem Glücke z» mäßigen verstanden, uicht ins radikale Fahrwasser gerieten und dem Volke nicht durch Überstürzung den Glauben nahmen, die Republik gewährleiste ihm die ersehnte Entwicklung in Ruhe lind Frieden. Zunächst schien man diese vorsichtige Politik adoptiren zu wollen. Zwar wurde der Präsident Mac Mahon, der mit Recht als stiller Gegner der Republik angesehen wurde, durch Zumutungen, die ihm unerfüllbar schienen, genötigt, zurückzutreten. Aber der Umschwung vollzog sich ohne Schwierigkeit, und die Wahl des Nachfolgers Mre Masons schien den rechten Mann getroffen zu haben. Die Republikaner zeigten sich dabei einig und gemüßigt. Wurde in gleichem Sinne fortgefahren, so konnte der :lo. Januar 1879 den Anbruch einer neuen Ära stetiger und gedeihlicher Entwicklung bedeuten. Grevy war kein Thiers, er war nicht besonders populär und kein solches staatsmäuuisches Talent wie dieser. Aber er besaß gleich ihm gefunden Menschenverstand, und man durfte hoffen, daß er die Republik vor der Parteiherrschaft zu schützen wissen werde. Auch die Ministerkrisis, die der Regiernngskrisis rasch folgte, hatte keine große Vedentnng. Dnfanre, der dein rechten Zentrum angehörte, machte Waddington, einem Mitgliede des linken Zentrums, Platz, immerhin aber befanden sich nnter seinen Kollegen zwei Abgeordnete der republikanischen Linken, sodaß das neue Kabinet um eine Schattirung fortschrittlicher gefärbt erschien als das bisherige. Bedenklicher schon war der Satz in der Botschaft, in welcher Grevy sein politisches System entwickelte, hinfort werde parlamen¬ tarisch regiert werden, und noch mehr Bestürznugen mußte es erwecken, daß der neue Präsident und seine Minister sich fast in allen Beziehungen zu wenig entschlossen und zu nachgiebig zeigten, wenn es den Forderungen der Radikalen entgegenzutreten galt. Namentlich war dies in der Amnestiefrage der Fall. Der schon seit einigen Jahren als Führer der republikanischen Linken wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/425>, abgerufen am 29.06.2024.