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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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lung im November Verlängerung seines Präsidiums uns sieben Jahre, das so¬
genannte "Septeuunt," und einige Tage nachher wurde das Kabinet, wieder unter
Broglie, neu gebildet. Durch weitere Begünstigung des Ultrnmontanismus von
feiten der Regierung, die zu allerhand Demonstrationen, Wundern und Wall¬
fahrten führte, und durch ihre Ratlosigkeit in Betreff der Zukunft entfremdeten
sich die Legitimisten und Orleanisten einen großen Teil der Bevölkerung, und
es handelte sich bald nur noch um die Frage: ob Wiedernnfrichtnng des Kaiser¬
tums oder definitive Feststellung der Republik. Die Wage neigte sich zunächst
der ersten Alternative zu, indem bei den Nachwahlen im Februar 1874 die
Reihen der Bonapartisten Verstärkung erhielten. Dieselben vereinigten sich mit
den Gruppen der Linken, um ein von Brvglic vorgeschlagenes Wahlgesetz zu
Falle zu bringen, welches das allgemeine Wahlrecht stark beschränkte, und Vroglie
nahm seine Entlassung. Sein Nachfolger Cisscy verfolgte dessen Politik eben¬
falls, und in der Nationalversammlung bewahrten die drei monarchischen Par¬
teien immer noch die Oberhand und vereitelten noch geraume Zeit alle Anträge
auf endgiltige Reorganisation des Staates. Doch Mre Masons Vorschlag,
das Septennnt zu organisiren und nur den endgiltigen Charakter der Regierungs-
form ""entschieden zu lassen, wurde von der Mehrheit abgelehnt, und das Ka¬
binet reichte seine Entlassung ein. Noch während der Ministerkrisis begann am
21. Jannnr 1875 in der Nationalversammlung die Beratung der konstitutio¬
nellen Gesetze, und bei der zweiten Lesung nahm eine Mehrheit, die aus der
Linken und einem Teile des rechten Zentrums (d. h. der Orleanisten) bestand,
ein Amendement Wallons um, welches bestimmte, daß der Präsident "der
Republik" von zwei Kammern ans sieben Jahre zu wählen und dann wieder
wählbar sein sollte (30. Januar). Später verstärkte sich die sehr schwache Ma¬
jorität (353 gegen 352), mit welcher dies beschlossen worden, in der letzten
Woche sand auch das ebenfalls von Wnllon beantragte Gesetz wegen Bildung
einer ersten Kammer (Senat) Annahme, und zwei Tage nachher gingen die ge¬
samten Verfnssnngsgesetze, welche die Republik definitiv feststellten, mit der an¬
sehnlichen Majorität von 436 gegen 262 Stimmen durch. Die monarchischen
Gruppen waren infolge ihrer Uneinigkeit besiegt, das Provisorium war vorüber,
und Mac Mahon mußte sich zur Bildung eines neuen Kabinets bequemen, an
dessen Spitze Büffel stand. Der Thierssche Gedanke schien sich verwirklichen zu
sollen. Die neue Republik wurde zunächst von Männern, die sie nur notge¬
drungen wollten, und teilweise von Gegnern dieser Staatsform verwaltet. Das
hätte nnter günstigen Umständen nützen können. Wie die Dinge aber lagen,
führte es zu Zuständen, welche für die aufrichtigen Republikaner in den ersten
beiden Jahren nicht viel erfreulicher waren als die früheren. Zwar wurde die
Deputirtenkammer dnrch die Wahlen und Nachwahlen mit jeder Session eine
festere Stütze des republikanischen Baues, aber die Gegner desselben hatten
im Senat die große Mehrzahl der Stimmen für sich. Kein Ministerium ver-


lung im November Verlängerung seines Präsidiums uns sieben Jahre, das so¬
genannte „Septeuunt," und einige Tage nachher wurde das Kabinet, wieder unter
Broglie, neu gebildet. Durch weitere Begünstigung des Ultrnmontanismus von
feiten der Regierung, die zu allerhand Demonstrationen, Wundern und Wall¬
fahrten führte, und durch ihre Ratlosigkeit in Betreff der Zukunft entfremdeten
sich die Legitimisten und Orleanisten einen großen Teil der Bevölkerung, und
es handelte sich bald nur noch um die Frage: ob Wiedernnfrichtnng des Kaiser¬
tums oder definitive Feststellung der Republik. Die Wage neigte sich zunächst
der ersten Alternative zu, indem bei den Nachwahlen im Februar 1874 die
Reihen der Bonapartisten Verstärkung erhielten. Dieselben vereinigten sich mit
den Gruppen der Linken, um ein von Brvglic vorgeschlagenes Wahlgesetz zu
Falle zu bringen, welches das allgemeine Wahlrecht stark beschränkte, und Vroglie
nahm seine Entlassung. Sein Nachfolger Cisscy verfolgte dessen Politik eben¬
falls, und in der Nationalversammlung bewahrten die drei monarchischen Par¬
teien immer noch die Oberhand und vereitelten noch geraume Zeit alle Anträge
auf endgiltige Reorganisation des Staates. Doch Mre Masons Vorschlag,
das Septennnt zu organisiren und nur den endgiltigen Charakter der Regierungs-
form »»entschieden zu lassen, wurde von der Mehrheit abgelehnt, und das Ka¬
binet reichte seine Entlassung ein. Noch während der Ministerkrisis begann am
21. Jannnr 1875 in der Nationalversammlung die Beratung der konstitutio¬
nellen Gesetze, und bei der zweiten Lesung nahm eine Mehrheit, die aus der
Linken und einem Teile des rechten Zentrums (d. h. der Orleanisten) bestand,
ein Amendement Wallons um, welches bestimmte, daß der Präsident „der
Republik" von zwei Kammern ans sieben Jahre zu wählen und dann wieder
wählbar sein sollte (30. Januar). Später verstärkte sich die sehr schwache Ma¬
jorität (353 gegen 352), mit welcher dies beschlossen worden, in der letzten
Woche sand auch das ebenfalls von Wnllon beantragte Gesetz wegen Bildung
einer ersten Kammer (Senat) Annahme, und zwei Tage nachher gingen die ge¬
samten Verfnssnngsgesetze, welche die Republik definitiv feststellten, mit der an¬
sehnlichen Majorität von 436 gegen 262 Stimmen durch. Die monarchischen
Gruppen waren infolge ihrer Uneinigkeit besiegt, das Provisorium war vorüber,
und Mac Mahon mußte sich zur Bildung eines neuen Kabinets bequemen, an
dessen Spitze Büffel stand. Der Thierssche Gedanke schien sich verwirklichen zu
sollen. Die neue Republik wurde zunächst von Männern, die sie nur notge¬
drungen wollten, und teilweise von Gegnern dieser Staatsform verwaltet. Das
hätte nnter günstigen Umständen nützen können. Wie die Dinge aber lagen,
führte es zu Zuständen, welche für die aufrichtigen Republikaner in den ersten
beiden Jahren nicht viel erfreulicher waren als die früheren. Zwar wurde die
Deputirtenkammer dnrch die Wahlen und Nachwahlen mit jeder Session eine
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im Senat die große Mehrzahl der Stimmen für sich. Kein Ministerium ver-


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[0424] lung im November Verlängerung seines Präsidiums uns sieben Jahre, das so¬ genannte „Septeuunt," und einige Tage nachher wurde das Kabinet, wieder unter Broglie, neu gebildet. Durch weitere Begünstigung des Ultrnmontanismus von feiten der Regierung, die zu allerhand Demonstrationen, Wundern und Wall¬ fahrten führte, und durch ihre Ratlosigkeit in Betreff der Zukunft entfremdeten sich die Legitimisten und Orleanisten einen großen Teil der Bevölkerung, und es handelte sich bald nur noch um die Frage: ob Wiedernnfrichtnng des Kaiser¬ tums oder definitive Feststellung der Republik. Die Wage neigte sich zunächst der ersten Alternative zu, indem bei den Nachwahlen im Februar 1874 die Reihen der Bonapartisten Verstärkung erhielten. Dieselben vereinigten sich mit den Gruppen der Linken, um ein von Brvglic vorgeschlagenes Wahlgesetz zu Falle zu bringen, welches das allgemeine Wahlrecht stark beschränkte, und Vroglie nahm seine Entlassung. Sein Nachfolger Cisscy verfolgte dessen Politik eben¬ falls, und in der Nationalversammlung bewahrten die drei monarchischen Par¬ teien immer noch die Oberhand und vereitelten noch geraume Zeit alle Anträge auf endgiltige Reorganisation des Staates. Doch Mre Masons Vorschlag, das Septennnt zu organisiren und nur den endgiltigen Charakter der Regierungs- form »»entschieden zu lassen, wurde von der Mehrheit abgelehnt, und das Ka¬ binet reichte seine Entlassung ein. Noch während der Ministerkrisis begann am 21. Jannnr 1875 in der Nationalversammlung die Beratung der konstitutio¬ nellen Gesetze, und bei der zweiten Lesung nahm eine Mehrheit, die aus der Linken und einem Teile des rechten Zentrums (d. h. der Orleanisten) bestand, ein Amendement Wallons um, welches bestimmte, daß der Präsident „der Republik" von zwei Kammern ans sieben Jahre zu wählen und dann wieder wählbar sein sollte (30. Januar). Später verstärkte sich die sehr schwache Ma¬ jorität (353 gegen 352), mit welcher dies beschlossen worden, in der letzten Woche sand auch das ebenfalls von Wnllon beantragte Gesetz wegen Bildung einer ersten Kammer (Senat) Annahme, und zwei Tage nachher gingen die ge¬ samten Verfnssnngsgesetze, welche die Republik definitiv feststellten, mit der an¬ sehnlichen Majorität von 436 gegen 262 Stimmen durch. Die monarchischen Gruppen waren infolge ihrer Uneinigkeit besiegt, das Provisorium war vorüber, und Mac Mahon mußte sich zur Bildung eines neuen Kabinets bequemen, an dessen Spitze Büffel stand. Der Thierssche Gedanke schien sich verwirklichen zu sollen. Die neue Republik wurde zunächst von Männern, die sie nur notge¬ drungen wollten, und teilweise von Gegnern dieser Staatsform verwaltet. Das hätte nnter günstigen Umständen nützen können. Wie die Dinge aber lagen, führte es zu Zuständen, welche für die aufrichtigen Republikaner in den ersten beiden Jahren nicht viel erfreulicher waren als die früheren. Zwar wurde die Deputirtenkammer dnrch die Wahlen und Nachwahlen mit jeder Session eine festere Stütze des republikanischen Baues, aber die Gegner desselben hatten im Senat die große Mehrzahl der Stimmen für sich. Kein Ministerium ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/424>, abgerufen am 29.06.2024.