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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Der Parlamentarismus, Gambetta und Frankreich.

livrer, die zusammen nicht sehr viel schwächer waren als die Monarchisten, für
unmöglich hielt, den Bürgerkrieg fernzuhalten. Sein Ideal war Zusammen¬
wirken der Patrioten aller Farben, die Republik sollte eine konservative und,
wie er sich einmal äußerte, "von Nichtrepublikanern regierte" sein, der sich ge¬
mäßigte Konservative und Monarchisten in Anerkennung ihrer Unvermeidlich¬
keit anschließen könnten. Im Strebe" nach Verwirklichung dieses Wunsches
begünstigte er aber ultrmnvntnne Pläne, wodurch er der Linken verhaßt wurde,
und wies das Verlangen der Rechten nach Förderung ihrer Nestaurations-
Projekte zurück, wodurch er sich auch diese Seite des Parlaments entfremdete.
Sicher wäre er schon jetzt gestürzt worden, wenn man seiner nicht zur Ordnung
der Finanzen Frankreichs dringend bedurft hätte. Als diese Rücksicht wegge¬
fallen war, ging die Rechte ohne Verzug an seine Beseitigung durch allerlei
Intriguen und Koalitionen. Es war eine Kommission zur Regelung der Staats¬
gewalten niedergesetzt worden, die jedoch sehr laugsam arbeitete. Im März
beantragte dieselbe: "Die Nationalversammlung wird sich nicht eher trennen, als
bis sie über die Organisation der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt, über
die Errichtung und die Befugnisse einer ersten Kammer und über das Wahl¬
gesetz Beschluß gefaßt hat," und dieser Antrag wurde von Thiers mit Hilfe
der Rechten durchgesetzt. Nicht lange darauf aber zwang die Rechte Grcvy,
den gemäßigt republikanisch gesinnten Präsidenten der Versammlung, zum Rück¬
tritt und ersetzte ihn durch Büffet, und am 23. Mai 1873 brachte sie ein Mi߬
trauensvotum gegen das von Thiers aus dem linken Zentrum, d. h. der Gruppe
der gemäßigten Republikaller, ergänzte Ministerium ein, und dasselbe ging, nach¬
dem Thiers am Tage darauf erklärt hatte, er halte die Monarchie zur Zeit
für unmöglich und die konservative Republik für notwendig, mit 360 gegen 344
Stimmen durch. Die Folge war, daß nicht bloß das Kabinet, sondern auch
Thiers zurücktrat.

Darauf wählte die Rechte (die Linke einhielt sich der Abstimmung) den
Marschall Mac Mahon zum Präsidenten der ausführenden Gewalt, und dieser
umgab sich mit einem ans Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten zusammen¬
gesetzten Kabinette, in welchen: Broglie den Vorsitz übernahm. Dasselbe
begünstigte zunächst die Klerikalen, dann auch die Bonapartisten, deren Wohl¬
wollen er bedurfte, lind die von jetzt an stärker wurden. Sein Programm aber
war Einigkeit der konservativen Parteien und Aufschub endgiltiger Beschlüsse
über die Verfassungsform. Nachdem die Versammlung sich im Juli vertagt
hatte, nahmen die Legitimisten und Orleanisten das Projekt der Fusion wieder
auf, und dasselbe war dein Gelingen nahe, als der Gras Chambord es aber¬
mals zum Scheitern brachte, indem er von um an jedes Zugeständnis an die
modernen Ideen von sich wies. Als die monarchischen Fraktionen sich darauf
zu einer Verlängerung des Provisoriums vereinigten, Mac Mahon aber die
Herstellllng einer Exekutive von mehr Dauer verlangte, beschloß die Nersamm-


Der Parlamentarismus, Gambetta und Frankreich.

livrer, die zusammen nicht sehr viel schwächer waren als die Monarchisten, für
unmöglich hielt, den Bürgerkrieg fernzuhalten. Sein Ideal war Zusammen¬
wirken der Patrioten aller Farben, die Republik sollte eine konservative und,
wie er sich einmal äußerte, „von Nichtrepublikanern regierte" sein, der sich ge¬
mäßigte Konservative und Monarchisten in Anerkennung ihrer Unvermeidlich¬
keit anschließen könnten. Im Strebe» nach Verwirklichung dieses Wunsches
begünstigte er aber ultrmnvntnne Pläne, wodurch er der Linken verhaßt wurde,
und wies das Verlangen der Rechten nach Förderung ihrer Nestaurations-
Projekte zurück, wodurch er sich auch diese Seite des Parlaments entfremdete.
Sicher wäre er schon jetzt gestürzt worden, wenn man seiner nicht zur Ordnung
der Finanzen Frankreichs dringend bedurft hätte. Als diese Rücksicht wegge¬
fallen war, ging die Rechte ohne Verzug an seine Beseitigung durch allerlei
Intriguen und Koalitionen. Es war eine Kommission zur Regelung der Staats¬
gewalten niedergesetzt worden, die jedoch sehr laugsam arbeitete. Im März
beantragte dieselbe: „Die Nationalversammlung wird sich nicht eher trennen, als
bis sie über die Organisation der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt, über
die Errichtung und die Befugnisse einer ersten Kammer und über das Wahl¬
gesetz Beschluß gefaßt hat," und dieser Antrag wurde von Thiers mit Hilfe
der Rechten durchgesetzt. Nicht lange darauf aber zwang die Rechte Grcvy,
den gemäßigt republikanisch gesinnten Präsidenten der Versammlung, zum Rück¬
tritt und ersetzte ihn durch Büffet, und am 23. Mai 1873 brachte sie ein Mi߬
trauensvotum gegen das von Thiers aus dem linken Zentrum, d. h. der Gruppe
der gemäßigten Republikaller, ergänzte Ministerium ein, und dasselbe ging, nach¬
dem Thiers am Tage darauf erklärt hatte, er halte die Monarchie zur Zeit
für unmöglich und die konservative Republik für notwendig, mit 360 gegen 344
Stimmen durch. Die Folge war, daß nicht bloß das Kabinet, sondern auch
Thiers zurücktrat.

Darauf wählte die Rechte (die Linke einhielt sich der Abstimmung) den
Marschall Mac Mahon zum Präsidenten der ausführenden Gewalt, und dieser
umgab sich mit einem ans Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten zusammen¬
gesetzten Kabinette, in welchen: Broglie den Vorsitz übernahm. Dasselbe
begünstigte zunächst die Klerikalen, dann auch die Bonapartisten, deren Wohl¬
wollen er bedurfte, lind die von jetzt an stärker wurden. Sein Programm aber
war Einigkeit der konservativen Parteien und Aufschub endgiltiger Beschlüsse
über die Verfassungsform. Nachdem die Versammlung sich im Juli vertagt
hatte, nahmen die Legitimisten und Orleanisten das Projekt der Fusion wieder
auf, und dasselbe war dein Gelingen nahe, als der Gras Chambord es aber¬
mals zum Scheitern brachte, indem er von um an jedes Zugeständnis an die
modernen Ideen von sich wies. Als die monarchischen Fraktionen sich darauf
zu einer Verlängerung des Provisoriums vereinigten, Mac Mahon aber die
Herstellllng einer Exekutive von mehr Dauer verlangte, beschloß die Nersamm-


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[0423] Der Parlamentarismus, Gambetta und Frankreich. livrer, die zusammen nicht sehr viel schwächer waren als die Monarchisten, für unmöglich hielt, den Bürgerkrieg fernzuhalten. Sein Ideal war Zusammen¬ wirken der Patrioten aller Farben, die Republik sollte eine konservative und, wie er sich einmal äußerte, „von Nichtrepublikanern regierte" sein, der sich ge¬ mäßigte Konservative und Monarchisten in Anerkennung ihrer Unvermeidlich¬ keit anschließen könnten. Im Strebe» nach Verwirklichung dieses Wunsches begünstigte er aber ultrmnvntnne Pläne, wodurch er der Linken verhaßt wurde, und wies das Verlangen der Rechten nach Förderung ihrer Nestaurations- Projekte zurück, wodurch er sich auch diese Seite des Parlaments entfremdete. Sicher wäre er schon jetzt gestürzt worden, wenn man seiner nicht zur Ordnung der Finanzen Frankreichs dringend bedurft hätte. Als diese Rücksicht wegge¬ fallen war, ging die Rechte ohne Verzug an seine Beseitigung durch allerlei Intriguen und Koalitionen. Es war eine Kommission zur Regelung der Staats¬ gewalten niedergesetzt worden, die jedoch sehr laugsam arbeitete. Im März beantragte dieselbe: „Die Nationalversammlung wird sich nicht eher trennen, als bis sie über die Organisation der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt, über die Errichtung und die Befugnisse einer ersten Kammer und über das Wahl¬ gesetz Beschluß gefaßt hat," und dieser Antrag wurde von Thiers mit Hilfe der Rechten durchgesetzt. Nicht lange darauf aber zwang die Rechte Grcvy, den gemäßigt republikanisch gesinnten Präsidenten der Versammlung, zum Rück¬ tritt und ersetzte ihn durch Büffet, und am 23. Mai 1873 brachte sie ein Mi߬ trauensvotum gegen das von Thiers aus dem linken Zentrum, d. h. der Gruppe der gemäßigten Republikaller, ergänzte Ministerium ein, und dasselbe ging, nach¬ dem Thiers am Tage darauf erklärt hatte, er halte die Monarchie zur Zeit für unmöglich und die konservative Republik für notwendig, mit 360 gegen 344 Stimmen durch. Die Folge war, daß nicht bloß das Kabinet, sondern auch Thiers zurücktrat. Darauf wählte die Rechte (die Linke einhielt sich der Abstimmung) den Marschall Mac Mahon zum Präsidenten der ausführenden Gewalt, und dieser umgab sich mit einem ans Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten zusammen¬ gesetzten Kabinette, in welchen: Broglie den Vorsitz übernahm. Dasselbe begünstigte zunächst die Klerikalen, dann auch die Bonapartisten, deren Wohl¬ wollen er bedurfte, lind die von jetzt an stärker wurden. Sein Programm aber war Einigkeit der konservativen Parteien und Aufschub endgiltiger Beschlüsse über die Verfassungsform. Nachdem die Versammlung sich im Juli vertagt hatte, nahmen die Legitimisten und Orleanisten das Projekt der Fusion wieder auf, und dasselbe war dein Gelingen nahe, als der Gras Chambord es aber¬ mals zum Scheitern brachte, indem er von um an jedes Zugeständnis an die modernen Ideen von sich wies. Als die monarchischen Fraktionen sich darauf zu einer Verlängerung des Provisoriums vereinigten, Mac Mahon aber die Herstellllng einer Exekutive von mehr Dauer verlangte, beschloß die Nersamm-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/423>, abgerufen am 29.06.2024.