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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Der Parlamentarismus, Gcnnbetta und Frankreich.

europäischer Stellung gescheitert, und daß endlich die unzweifelhaft großen und
wichtigen Interessen des Landes in Ägypten in einer Weise preisgegeben worden
sind, die in der Geschichte der neuern Zeit beispiellos dasteht." (Aussichten des
deutschen Parlameiitarismns, S, 17 ff.) Wir wollen indeß die Entwicklung
der Dinge mehr ins einzelne verfolgen Sie ist sehr lehrreich.

Die Wahlen zur Nationalversammlung, die im Februar 1371 stattfanden,
ergaben eine starke konservative Majorität, vorzüglich weil das Land Frieden mit
Deutschland wollte, und weil die Radikalen, besonders Gcnnbetta, damals von Tours
aus diktatorisch herrschend, Fortsetzung des Krieges wollten. Nach dem in Bordeaux
erfolgten Zusammentritt der Nationalversammlung legte die Regierung der
nationalen Verteidigung ihr Amt nieder, und jene wählte Thiers, der in nicht
weniger als zwanzig Departements ein Mandat als Volksvertreter erhalten
hatte und sich bald als umsichtiger und geschickter Staatsmann bewähren sollte,
zum Chef der ausführenden Gewalt. Getreu seinem vorläufigen Programm,
welches Waffenstillstand zwischen den verschiedenen Parteien bis zum Frieden
mit den Deutschen forderte, setzte er sein Ministerium aus Männern verschiedener
politischer Richtung zusammen, doch so, daß die gemäßigten Republikaner darin
überwogen. Der Friede war aber kaum geschlossen und die Dynastie Vona¬
parte des Thrones für verlustig erklärt, als die Parteien den innern Kampf
wieder aufnahmen. In der Mehrheit der Nationalversammlung zeigte sich starke
Neigung zur Wiederherstellung der Monarchie. In Paris brach der Aufstand
der Kommunisten und Anarchisten aus. Nach Dämpfung desselben versuchten
es die monarchischen Parteien, dnrch Versöhnung der Bourbonen mit der Fa¬
milie Orleans eine Restauration des Königtums herbeizuführen, das Experiment
wurde aber durch die verblendete Halsstarrigkeit des Grafen Chcunbord ver¬
eitelt, der alle Zugeständnisse an die neue Zeit verweigerte. Andrerseits erwarb
die Thierssche Verwaltung der Republik in der Nationalversammlung und in:
Lande täglich mehr Freunde. Jene wählte Ende August 1871 Thiers auf drei
Jahre zum Präsidenten der Republik und nahm eine Art provisorische Ver¬
fassung an; dieses zog bei deu Nachwahlen vielfach den monarchistischen Kan¬
didaten republikanische vor. Immerhin aber bildeten die Monarchisten in der
Volksvertretung noch die Mehrheit. Wie sie im Juli durch eine der weltlichen
Gewalt des Papstes günstige Tagesordnung Favre zum Rücktritt von: Ministe¬
rium des Äußern gezwungen, so bewirkte sie im August die Auflösung der
Nationalgarde in ganz Frankreich. Nach den Ergänzungswahlen vom Januar
1372 setzte sich die Nntionalversamullung ans 54 legitimistischen Ultras, 90 ge
mäßigem Legitimisten, 200 Orleanisten, 30 Bonapartisten, 170 gemäßigten und
110 entschiedenen Nepnbliknnern und 60 Radikale" nnter Gcnnbetta zusammen.

Thiers war grundsätzlich für die verfassungsmäßig beschränkte Monarchie,
entschied sich aber für die Republik, weil er es angesichts der Spaltung des
Landes in drei monarchische Parteien und eine Anzahl republikanischer Frat-


Der Parlamentarismus, Gcnnbetta und Frankreich.

europäischer Stellung gescheitert, und daß endlich die unzweifelhaft großen und
wichtigen Interessen des Landes in Ägypten in einer Weise preisgegeben worden
sind, die in der Geschichte der neuern Zeit beispiellos dasteht." (Aussichten des
deutschen Parlameiitarismns, S, 17 ff.) Wir wollen indeß die Entwicklung
der Dinge mehr ins einzelne verfolgen Sie ist sehr lehrreich.

Die Wahlen zur Nationalversammlung, die im Februar 1371 stattfanden,
ergaben eine starke konservative Majorität, vorzüglich weil das Land Frieden mit
Deutschland wollte, und weil die Radikalen, besonders Gcnnbetta, damals von Tours
aus diktatorisch herrschend, Fortsetzung des Krieges wollten. Nach dem in Bordeaux
erfolgten Zusammentritt der Nationalversammlung legte die Regierung der
nationalen Verteidigung ihr Amt nieder, und jene wählte Thiers, der in nicht
weniger als zwanzig Departements ein Mandat als Volksvertreter erhalten
hatte und sich bald als umsichtiger und geschickter Staatsmann bewähren sollte,
zum Chef der ausführenden Gewalt. Getreu seinem vorläufigen Programm,
welches Waffenstillstand zwischen den verschiedenen Parteien bis zum Frieden
mit den Deutschen forderte, setzte er sein Ministerium aus Männern verschiedener
politischer Richtung zusammen, doch so, daß die gemäßigten Republikaner darin
überwogen. Der Friede war aber kaum geschlossen und die Dynastie Vona¬
parte des Thrones für verlustig erklärt, als die Parteien den innern Kampf
wieder aufnahmen. In der Mehrheit der Nationalversammlung zeigte sich starke
Neigung zur Wiederherstellung der Monarchie. In Paris brach der Aufstand
der Kommunisten und Anarchisten aus. Nach Dämpfung desselben versuchten
es die monarchischen Parteien, dnrch Versöhnung der Bourbonen mit der Fa¬
milie Orleans eine Restauration des Königtums herbeizuführen, das Experiment
wurde aber durch die verblendete Halsstarrigkeit des Grafen Chcunbord ver¬
eitelt, der alle Zugeständnisse an die neue Zeit verweigerte. Andrerseits erwarb
die Thierssche Verwaltung der Republik in der Nationalversammlung und in:
Lande täglich mehr Freunde. Jene wählte Ende August 1871 Thiers auf drei
Jahre zum Präsidenten der Republik und nahm eine Art provisorische Ver¬
fassung an; dieses zog bei deu Nachwahlen vielfach den monarchistischen Kan¬
didaten republikanische vor. Immerhin aber bildeten die Monarchisten in der
Volksvertretung noch die Mehrheit. Wie sie im Juli durch eine der weltlichen
Gewalt des Papstes günstige Tagesordnung Favre zum Rücktritt von: Ministe¬
rium des Äußern gezwungen, so bewirkte sie im August die Auflösung der
Nationalgarde in ganz Frankreich. Nach den Ergänzungswahlen vom Januar
1372 setzte sich die Nntionalversamullung ans 54 legitimistischen Ultras, 90 ge
mäßigem Legitimisten, 200 Orleanisten, 30 Bonapartisten, 170 gemäßigten und
110 entschiedenen Nepnbliknnern und 60 Radikale» nnter Gcnnbetta zusammen.

Thiers war grundsätzlich für die verfassungsmäßig beschränkte Monarchie,
entschied sich aber für die Republik, weil er es angesichts der Spaltung des
Landes in drei monarchische Parteien und eine Anzahl republikanischer Frat-


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[0422] Der Parlamentarismus, Gcnnbetta und Frankreich. europäischer Stellung gescheitert, und daß endlich die unzweifelhaft großen und wichtigen Interessen des Landes in Ägypten in einer Weise preisgegeben worden sind, die in der Geschichte der neuern Zeit beispiellos dasteht." (Aussichten des deutschen Parlameiitarismns, S, 17 ff.) Wir wollen indeß die Entwicklung der Dinge mehr ins einzelne verfolgen Sie ist sehr lehrreich. Die Wahlen zur Nationalversammlung, die im Februar 1371 stattfanden, ergaben eine starke konservative Majorität, vorzüglich weil das Land Frieden mit Deutschland wollte, und weil die Radikalen, besonders Gcnnbetta, damals von Tours aus diktatorisch herrschend, Fortsetzung des Krieges wollten. Nach dem in Bordeaux erfolgten Zusammentritt der Nationalversammlung legte die Regierung der nationalen Verteidigung ihr Amt nieder, und jene wählte Thiers, der in nicht weniger als zwanzig Departements ein Mandat als Volksvertreter erhalten hatte und sich bald als umsichtiger und geschickter Staatsmann bewähren sollte, zum Chef der ausführenden Gewalt. Getreu seinem vorläufigen Programm, welches Waffenstillstand zwischen den verschiedenen Parteien bis zum Frieden mit den Deutschen forderte, setzte er sein Ministerium aus Männern verschiedener politischer Richtung zusammen, doch so, daß die gemäßigten Republikaner darin überwogen. Der Friede war aber kaum geschlossen und die Dynastie Vona¬ parte des Thrones für verlustig erklärt, als die Parteien den innern Kampf wieder aufnahmen. In der Mehrheit der Nationalversammlung zeigte sich starke Neigung zur Wiederherstellung der Monarchie. In Paris brach der Aufstand der Kommunisten und Anarchisten aus. Nach Dämpfung desselben versuchten es die monarchischen Parteien, dnrch Versöhnung der Bourbonen mit der Fa¬ milie Orleans eine Restauration des Königtums herbeizuführen, das Experiment wurde aber durch die verblendete Halsstarrigkeit des Grafen Chcunbord ver¬ eitelt, der alle Zugeständnisse an die neue Zeit verweigerte. Andrerseits erwarb die Thierssche Verwaltung der Republik in der Nationalversammlung und in: Lande täglich mehr Freunde. Jene wählte Ende August 1871 Thiers auf drei Jahre zum Präsidenten der Republik und nahm eine Art provisorische Ver¬ fassung an; dieses zog bei deu Nachwahlen vielfach den monarchistischen Kan¬ didaten republikanische vor. Immerhin aber bildeten die Monarchisten in der Volksvertretung noch die Mehrheit. Wie sie im Juli durch eine der weltlichen Gewalt des Papstes günstige Tagesordnung Favre zum Rücktritt von: Ministe¬ rium des Äußern gezwungen, so bewirkte sie im August die Auflösung der Nationalgarde in ganz Frankreich. Nach den Ergänzungswahlen vom Januar 1372 setzte sich die Nntionalversamullung ans 54 legitimistischen Ultras, 90 ge mäßigem Legitimisten, 200 Orleanisten, 30 Bonapartisten, 170 gemäßigten und 110 entschiedenen Nepnbliknnern und 60 Radikale» nnter Gcnnbetta zusammen. Thiers war grundsätzlich für die verfassungsmäßig beschränkte Monarchie, entschied sich aber für die Republik, weil er es angesichts der Spaltung des Landes in drei monarchische Parteien und eine Anzahl republikanischer Frat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/422>, abgerufen am 29.06.2024.