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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Etwas von unsern Töchtern.

und Wortaeccnten und ihrer eingeschrumpften Grammatik fallen; scheint doch
ohnehin die ausgedehnte Beschäftigung mit fremden Sprachen beim weiblichen
Geschlechte hie und da deu Mutterwitz zu beeinträchtigen und eine gewisse Säure
der Empfindung zu erzeugen. Sodann schwinde Algebra und Geometrie aus
der Reihe der vorgeschriebenen Fächer, unter der Voraussetzung, daß der Sprach¬
unterricht, der Rechenunterricht und der naturwissenschaftliche Unterricht für die
logische Bildung der Mädchen möglichst nutzbar gemacht werden und der Zeichen¬
unterricht die Formenlehre im elementaren Sinne des Wortes übernimmt. Endlich
kann in untern Klassen der Naturgeschichts-, in mittlern der Geschichtsunterricht
mit dem deutschen Unterricht ohne Stuudenzuwachs für diesen verbunden werden.
Dagegen bedürfen die höhern Mädchenschulen der besten Lehrer und einer ge¬
radezu raffinirten Methode des Unterrichts, welche geeignet ist, das Lernen der
Mädchen zu einem Gegenstande der Frende und des Genusses zu machen.

Aber ist es denn überhaupt nötig oder auch nnr wünschenswert, daß das
heranwachsende Mädchen eine Schule besuche? Ist nicht die Familie die
berufenste, ja einzig entsprechende Erziehungsstätte für das weibliche Geschlecht?
Man hat in den Jahren 1820 bis 1840 nach Raumers und Schleiermachers
Ideen für die "Mutterschule," d. h. für die Gesamterziehung der Mädchen dnrch
die -- höchstens vom Vater unterstützte -- Mutter geschwärmt; andre wollten
den Vater als Erzieher, die Mutter uur als Pflegerin gelten lassen. Aber
"hart im Raume stoßen sich die Sachen." Wie selten sind die Mütter und die
Väter, welche persönlich und gemäß der äußern Verhältnisse, in denen sie leben,
alles für die Erziehung der Töchter in heutigen Tagen notwendige als Lehrer
bieten und als Erzieher im engern Sinne des Wortes leisten können! Da nun
erfahrungsgemäß Privatunterricht von familienfremden Personen, andrer Mi߬
stünde nicht zu gedenken, nicht selten an einer gewissen Jrreellität in didaktischer
wie pädagogischer Beziehung leidet, so bleibt nur die Schule für die notwendige
Ergänzung des von der Familie vollführten Hauptwerth übrig. Hiernach hat
man die Schule als Notbehelf bezeichnet, und wir haben gegen diese Auffassung
nicht eben viel einzuwenden. Vor allem ist es ja wahr, daß die Mädchen, wie
Jean Paul bemerkt hat, in weit höherem Grade als die Knaben eher Fehler als
Vorzüge voneinander annehmen, und der Besuch einer Schule zu dieser Bethätigung
weiblicher Schwäche Anlaß giebt; es ist ferner wahr, daß die individuelle Be¬
handlung, deren das zu erziehende Madchen bedarf, in einer großen Schule in nur ge¬
ringem Maße stattfinden kann. Auf der andern Seite bietet aber die Schule in weit
höherem Grade Anregung und Aufregung zur Selbständigkeit, zum richtigen Erfassen
der Lebensverhältnisse und zur richtige!? Beurteilung der Menschen, als der be¬
schränkte Kreis der Familie. Mag aber immerhin die öffentliche Schule nur
ein Notbehelf sein, die Juteruatsinstitute widersprechen, ganz davon zu schweigen,
daß für manche derselben, namentlich für die engatmigen von wenigen Jahres-
kurscn, der Schein System und die bezahlte Verschönung der Eltern mit Schul-


Etwas von unsern Töchtern.

und Wortaeccnten und ihrer eingeschrumpften Grammatik fallen; scheint doch
ohnehin die ausgedehnte Beschäftigung mit fremden Sprachen beim weiblichen
Geschlechte hie und da deu Mutterwitz zu beeinträchtigen und eine gewisse Säure
der Empfindung zu erzeugen. Sodann schwinde Algebra und Geometrie aus
der Reihe der vorgeschriebenen Fächer, unter der Voraussetzung, daß der Sprach¬
unterricht, der Rechenunterricht und der naturwissenschaftliche Unterricht für die
logische Bildung der Mädchen möglichst nutzbar gemacht werden und der Zeichen¬
unterricht die Formenlehre im elementaren Sinne des Wortes übernimmt. Endlich
kann in untern Klassen der Naturgeschichts-, in mittlern der Geschichtsunterricht
mit dem deutschen Unterricht ohne Stuudenzuwachs für diesen verbunden werden.
Dagegen bedürfen die höhern Mädchenschulen der besten Lehrer und einer ge¬
radezu raffinirten Methode des Unterrichts, welche geeignet ist, das Lernen der
Mädchen zu einem Gegenstande der Frende und des Genusses zu machen.

Aber ist es denn überhaupt nötig oder auch nnr wünschenswert, daß das
heranwachsende Mädchen eine Schule besuche? Ist nicht die Familie die
berufenste, ja einzig entsprechende Erziehungsstätte für das weibliche Geschlecht?
Man hat in den Jahren 1820 bis 1840 nach Raumers und Schleiermachers
Ideen für die „Mutterschule," d. h. für die Gesamterziehung der Mädchen dnrch
die — höchstens vom Vater unterstützte — Mutter geschwärmt; andre wollten
den Vater als Erzieher, die Mutter uur als Pflegerin gelten lassen. Aber
„hart im Raume stoßen sich die Sachen." Wie selten sind die Mütter und die
Väter, welche persönlich und gemäß der äußern Verhältnisse, in denen sie leben,
alles für die Erziehung der Töchter in heutigen Tagen notwendige als Lehrer
bieten und als Erzieher im engern Sinne des Wortes leisten können! Da nun
erfahrungsgemäß Privatunterricht von familienfremden Personen, andrer Mi߬
stünde nicht zu gedenken, nicht selten an einer gewissen Jrreellität in didaktischer
wie pädagogischer Beziehung leidet, so bleibt nur die Schule für die notwendige
Ergänzung des von der Familie vollführten Hauptwerth übrig. Hiernach hat
man die Schule als Notbehelf bezeichnet, und wir haben gegen diese Auffassung
nicht eben viel einzuwenden. Vor allem ist es ja wahr, daß die Mädchen, wie
Jean Paul bemerkt hat, in weit höherem Grade als die Knaben eher Fehler als
Vorzüge voneinander annehmen, und der Besuch einer Schule zu dieser Bethätigung
weiblicher Schwäche Anlaß giebt; es ist ferner wahr, daß die individuelle Be¬
handlung, deren das zu erziehende Madchen bedarf, in einer großen Schule in nur ge¬
ringem Maße stattfinden kann. Auf der andern Seite bietet aber die Schule in weit
höherem Grade Anregung und Aufregung zur Selbständigkeit, zum richtigen Erfassen
der Lebensverhältnisse und zur richtige!? Beurteilung der Menschen, als der be¬
schränkte Kreis der Familie. Mag aber immerhin die öffentliche Schule nur
ein Notbehelf sein, die Juteruatsinstitute widersprechen, ganz davon zu schweigen,
daß für manche derselben, namentlich für die engatmigen von wenigen Jahres-
kurscn, der Schein System und die bezahlte Verschönung der Eltern mit Schul-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/402>, abgerufen am 28.09.2024.