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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Etwas von unsern Töchtern.

seiner Antworten ans unvorhergesehene Fragen der Schülerinnen, durch Ergießung
aller Schleusen seines olympischen Zorns, wenn ein Mädchen durch unfertige
oder versagte Antworten den Beweis erbringt, warum es die Schule besucht --
von phantastischen Aufsatzthemen, Parteilichkeit und Ungerechtigkeit ganz zu ge-
schweigen! Ein vortreffliches Mittel, in den Müdcheu den Sinn für die Wahr¬
heit durch Gewöhnung erstarken zu lassen, liegt gewiß in der Behandlung des
deutschen Aufsatzes, Die Nutzanwendung des bekannten Paradoxons: "Da ich
keine Zeit habe, dir einen kürzen Brief zu schreiben, so schreibe ich dir einen
langen," und die Befolgung der Shakespearescheu Lehre von der Kürze als der
"Seele des Witzes," einer Lehre, zu welcher der "kurzgeschorene, kurzaugebuudene"
Geist der Gegenwart so erfreulich stimmt, werden alles Phrasenhafte in den
Ausarbeitungen der von Natur träumerischen, lauggelockten Mädchen abschneiden;
sodann wühle man bei Mädchen als Themata vorzugsweise Inhaltsangaben,
welche sie ja auf Schritt und Tritt zu einer gewissenhaften Vergleichung ihrer
schriftliche" Aussagen mit den Thatsachen ihres jeweiligen Vorwurfes zwingen.
Durch die Moral des Unterrichts wird ein vortrefflicher Unterricht in der
Moral erteilt.

Wenn in der angedeuteten Weise Schule und Haus die Erziehung zur
Wahrhaftigkeit und Geradheit mit vereinten Kräften betreiben, so wird von der
weiblichen Unjuriftik, die ja uicht in ihrem ganzen Umfange verhängnisvoll ist,
immer noch eine mehr als homöopathische Gabe übrig bleiben, welche völlig
ausreicht, um durch Rücksichtnahme ans andre und Beobachtung der geselligen
Formen der Tugend der Wahrheit den Charakter der Starrheit zu benehmen
und so einen unzweckmäßigen Übergriff in das Gebiet der Anmut zu verhüten.

Soweit die Erfüllung dessen, was wir versprochen. Vom engern Stand¬
punkte der Familie ergeben sich noch manche gewichtige Forderungen an die Er¬
ziehung des weiblichen Geschlechts. Hierher rechnen wir namentlich die der Er¬
ziehung zur Ordnungsliebe, welche, zumal in Gestalt der zeitlichen Pünktlichkeit,
dein Weibe, soweit es sich selbst thätig zu verhalten hat, keineswegs angeboren
zu sein, aber nicht wenig zur Bekämpfung der uujuristischen Natur desselben
beizutragen scheint, sodann die der Sorge für eine dauerhafte Gesundheit und
der frühzeitigen Gewöhnung an die kleinen Geschäfte des Hauses. Daß aus den
zwei letztgenannten Rücksichten eine Entlastung der meisten Klassen unsrer
Töchterschulen bezüglich der Zahl wöchentlicher Unterrichtsstunden erfolgen muß,
behaupten wir umso unverzagter, als unsre allgemeine Betrachtung über die
geistige Erziehung der Mädchen wohl ziemlich deutlich zwischen den Zeilen er¬
kennen läßt, daß die erwähnte Erleichterung füglich eintreten kann; zugleich er¬
füllen wir vielleicht die Erwartung manches Elternherzes, das um schlaffe unsers
Predigtlicdcs die Aro"Lk noto von der Verminderung der Schularbeit ungern
vermißt hätte. Vor allem soll nach unsrer ketzerischen Meinung der obliga¬
torische Unterricht in der englischen Sprache mit ihren muscnentrateuen Lauten


Etwas von unsern Töchtern.

seiner Antworten ans unvorhergesehene Fragen der Schülerinnen, durch Ergießung
aller Schleusen seines olympischen Zorns, wenn ein Mädchen durch unfertige
oder versagte Antworten den Beweis erbringt, warum es die Schule besucht —
von phantastischen Aufsatzthemen, Parteilichkeit und Ungerechtigkeit ganz zu ge-
schweigen! Ein vortreffliches Mittel, in den Müdcheu den Sinn für die Wahr¬
heit durch Gewöhnung erstarken zu lassen, liegt gewiß in der Behandlung des
deutschen Aufsatzes, Die Nutzanwendung des bekannten Paradoxons: „Da ich
keine Zeit habe, dir einen kürzen Brief zu schreiben, so schreibe ich dir einen
langen," und die Befolgung der Shakespearescheu Lehre von der Kürze als der
„Seele des Witzes," einer Lehre, zu welcher der „kurzgeschorene, kurzaugebuudene"
Geist der Gegenwart so erfreulich stimmt, werden alles Phrasenhafte in den
Ausarbeitungen der von Natur träumerischen, lauggelockten Mädchen abschneiden;
sodann wühle man bei Mädchen als Themata vorzugsweise Inhaltsangaben,
welche sie ja auf Schritt und Tritt zu einer gewissenhaften Vergleichung ihrer
schriftliche« Aussagen mit den Thatsachen ihres jeweiligen Vorwurfes zwingen.
Durch die Moral des Unterrichts wird ein vortrefflicher Unterricht in der
Moral erteilt.

Wenn in der angedeuteten Weise Schule und Haus die Erziehung zur
Wahrhaftigkeit und Geradheit mit vereinten Kräften betreiben, so wird von der
weiblichen Unjuriftik, die ja uicht in ihrem ganzen Umfange verhängnisvoll ist,
immer noch eine mehr als homöopathische Gabe übrig bleiben, welche völlig
ausreicht, um durch Rücksichtnahme ans andre und Beobachtung der geselligen
Formen der Tugend der Wahrheit den Charakter der Starrheit zu benehmen
und so einen unzweckmäßigen Übergriff in das Gebiet der Anmut zu verhüten.

Soweit die Erfüllung dessen, was wir versprochen. Vom engern Stand¬
punkte der Familie ergeben sich noch manche gewichtige Forderungen an die Er¬
ziehung des weiblichen Geschlechts. Hierher rechnen wir namentlich die der Er¬
ziehung zur Ordnungsliebe, welche, zumal in Gestalt der zeitlichen Pünktlichkeit,
dein Weibe, soweit es sich selbst thätig zu verhalten hat, keineswegs angeboren
zu sein, aber nicht wenig zur Bekämpfung der uujuristischen Natur desselben
beizutragen scheint, sodann die der Sorge für eine dauerhafte Gesundheit und
der frühzeitigen Gewöhnung an die kleinen Geschäfte des Hauses. Daß aus den
zwei letztgenannten Rücksichten eine Entlastung der meisten Klassen unsrer
Töchterschulen bezüglich der Zahl wöchentlicher Unterrichtsstunden erfolgen muß,
behaupten wir umso unverzagter, als unsre allgemeine Betrachtung über die
geistige Erziehung der Mädchen wohl ziemlich deutlich zwischen den Zeilen er¬
kennen läßt, daß die erwähnte Erleichterung füglich eintreten kann; zugleich er¬
füllen wir vielleicht die Erwartung manches Elternherzes, das um schlaffe unsers
Predigtlicdcs die Aro«Lk noto von der Verminderung der Schularbeit ungern
vermißt hätte. Vor allem soll nach unsrer ketzerischen Meinung der obliga¬
torische Unterricht in der englischen Sprache mit ihren muscnentrateuen Lauten


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[0401] Etwas von unsern Töchtern. seiner Antworten ans unvorhergesehene Fragen der Schülerinnen, durch Ergießung aller Schleusen seines olympischen Zorns, wenn ein Mädchen durch unfertige oder versagte Antworten den Beweis erbringt, warum es die Schule besucht — von phantastischen Aufsatzthemen, Parteilichkeit und Ungerechtigkeit ganz zu ge- schweigen! Ein vortreffliches Mittel, in den Müdcheu den Sinn für die Wahr¬ heit durch Gewöhnung erstarken zu lassen, liegt gewiß in der Behandlung des deutschen Aufsatzes, Die Nutzanwendung des bekannten Paradoxons: „Da ich keine Zeit habe, dir einen kürzen Brief zu schreiben, so schreibe ich dir einen langen," und die Befolgung der Shakespearescheu Lehre von der Kürze als der „Seele des Witzes," einer Lehre, zu welcher der „kurzgeschorene, kurzaugebuudene" Geist der Gegenwart so erfreulich stimmt, werden alles Phrasenhafte in den Ausarbeitungen der von Natur träumerischen, lauggelockten Mädchen abschneiden; sodann wühle man bei Mädchen als Themata vorzugsweise Inhaltsangaben, welche sie ja auf Schritt und Tritt zu einer gewissenhaften Vergleichung ihrer schriftliche« Aussagen mit den Thatsachen ihres jeweiligen Vorwurfes zwingen. Durch die Moral des Unterrichts wird ein vortrefflicher Unterricht in der Moral erteilt. Wenn in der angedeuteten Weise Schule und Haus die Erziehung zur Wahrhaftigkeit und Geradheit mit vereinten Kräften betreiben, so wird von der weiblichen Unjuriftik, die ja uicht in ihrem ganzen Umfange verhängnisvoll ist, immer noch eine mehr als homöopathische Gabe übrig bleiben, welche völlig ausreicht, um durch Rücksichtnahme ans andre und Beobachtung der geselligen Formen der Tugend der Wahrheit den Charakter der Starrheit zu benehmen und so einen unzweckmäßigen Übergriff in das Gebiet der Anmut zu verhüten. Soweit die Erfüllung dessen, was wir versprochen. Vom engern Stand¬ punkte der Familie ergeben sich noch manche gewichtige Forderungen an die Er¬ ziehung des weiblichen Geschlechts. Hierher rechnen wir namentlich die der Er¬ ziehung zur Ordnungsliebe, welche, zumal in Gestalt der zeitlichen Pünktlichkeit, dein Weibe, soweit es sich selbst thätig zu verhalten hat, keineswegs angeboren zu sein, aber nicht wenig zur Bekämpfung der uujuristischen Natur desselben beizutragen scheint, sodann die der Sorge für eine dauerhafte Gesundheit und der frühzeitigen Gewöhnung an die kleinen Geschäfte des Hauses. Daß aus den zwei letztgenannten Rücksichten eine Entlastung der meisten Klassen unsrer Töchterschulen bezüglich der Zahl wöchentlicher Unterrichtsstunden erfolgen muß, behaupten wir umso unverzagter, als unsre allgemeine Betrachtung über die geistige Erziehung der Mädchen wohl ziemlich deutlich zwischen den Zeilen er¬ kennen läßt, daß die erwähnte Erleichterung füglich eintreten kann; zugleich er¬ füllen wir vielleicht die Erwartung manches Elternherzes, das um schlaffe unsers Predigtlicdcs die Aro«Lk noto von der Verminderung der Schularbeit ungern vermißt hätte. Vor allem soll nach unsrer ketzerischen Meinung der obliga¬ torische Unterricht in der englischen Sprache mit ihren muscnentrateuen Lauten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/401>, abgerufen am 29.06.2024.