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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Weist auf die Notwendigkeit hin, "den Kopf" des jungen Mädchens "mit guten
Gedanken auszutapezieren" -- wie Maria Theresia in einem Briefe ihrer Tochter
ans Herz legte --, damit die Neugierde auf Edles sich richtend zum glückliche,:
Hange werde und der Unterhaltung um der Unterhaltung willen würdiger Stoff
zufließe; der zweite Gesichtspunkt läßt die Eindämmung der unjuristischen Natur
des Weibes durch Leitung des weiblichen Geistes auf Allgemeines erforderlich
erscheinen. Jenes geschieht durch Erregung höherer Interessen namentlich im
Religions-, deutschen, Geschichts-, Naturgeschichts-, auch Geogrnphieuntcrricht,
wobei überall soldatische, anschauliche, vergleichende und gruppirende Methode und
emsiges Herbeiziehen des wirklichen Lebens von feiten eines mitteilsamen Lehrers
erstaunliches wirken können; dieses aber wird -- vom moralischen Einfluß mittels
Gewöhnung und Beispiel hier noch abgesehen -- durch Erziehung zum klaren,
logischen Denken und zur Wertschätzung des Gesetzlichen in der Methode jedes
Unterrichts, namentlich aber an der Hand der Grammatik, des Aufsatzes, des
Rechnens und eines Teils des naturwissenschaftliche,! Unterrichts gefördert. Der
formale Gewinn des grammatischen Lernens wird ein wesentlich beschränkter sein,
wenn sich dasselbe nur auf die Muttersprache bezieht; wir verlangen deshalb
den ersten grammatischen Betrieb einer fremden Sprache für unsre Töchter,
und hierzu eignet sich die französische, eine der logischsten Sprachen der Welt,
um besten; zugleich steht sie, von Bedürfnisse" der Praxis abgesehen, durch ihren
Wohllaut und die Grazie ihres Stils dem Gesichtspunkte der weiblichen Armut
besonders nahe. Endlich sei hier der Erziehung zur Aufmerksamkeit als einer
segensreichen Vorarbeit für die zur Wahrheitsliebe gedacht. Der Schwerpunkt
aber der Bildung des Wahrhcitssinns liegt in Gewöhnung und Beispiel. Manche
Familie, welche, wenn es sich um den lieben Nächsten handelt, nicht Worte
genug findet, die altägyptische Lügenhaftigkeit zu tadeln, versündigt sich täglich
gegen das altpersische Gebot, die Kinder durch Gewöhnung und Beispiel zur
Wahrhaftigkeit zu erziehen; insbesondre wird die Drastik der "armen Reesa, die
indeß verbrannte! -- sast, fast verbrannte," die Übertreibung, ferner die Ver¬
wendung der Kinder zu elterlichen Lügen und Ränken, endlich die Täuschung
und Empfindlichkeit der Schule gegenüber selten genug ans den Index gesetzt.
Aber auch die Schule, die öffentliche und noch mehr die private, darf angesichts
der Forderung, dnrch Gewöhnung und Beispiel die Mädchen zur Wahrheits¬
liebe, Offenheit und Geradheit zu erziehen, die Hand mit einem nnzg, oulxa an
die Brust legen. Verkehrt ist es, wenn, wie es oft geschieht, Lüge und Ver¬
leumdung als leichte Vergehen und bei andern Bergehen das offne Zugeständ¬
nis nicht als Milderuugsgruud behandelt werden. Und wie viel Scheinwesen
wird großgezogen durch schlechte Vorbereitung des Lehrers, infolge deren er be-
wuszt und unbewußt Unwahres zu Markte trägt, durch sündige Gleichgiltigkeit
desselben gegen den Schwall hoher Rede, welche aus dem Munde oder ans
der Feder der Schülerin an ihn heranstürmt, durch gewissenlose Bestimmtheit


Weist auf die Notwendigkeit hin, „den Kopf" des jungen Mädchens „mit guten
Gedanken auszutapezieren" — wie Maria Theresia in einem Briefe ihrer Tochter
ans Herz legte —, damit die Neugierde auf Edles sich richtend zum glückliche,:
Hange werde und der Unterhaltung um der Unterhaltung willen würdiger Stoff
zufließe; der zweite Gesichtspunkt läßt die Eindämmung der unjuristischen Natur
des Weibes durch Leitung des weiblichen Geistes auf Allgemeines erforderlich
erscheinen. Jenes geschieht durch Erregung höherer Interessen namentlich im
Religions-, deutschen, Geschichts-, Naturgeschichts-, auch Geogrnphieuntcrricht,
wobei überall soldatische, anschauliche, vergleichende und gruppirende Methode und
emsiges Herbeiziehen des wirklichen Lebens von feiten eines mitteilsamen Lehrers
erstaunliches wirken können; dieses aber wird — vom moralischen Einfluß mittels
Gewöhnung und Beispiel hier noch abgesehen — durch Erziehung zum klaren,
logischen Denken und zur Wertschätzung des Gesetzlichen in der Methode jedes
Unterrichts, namentlich aber an der Hand der Grammatik, des Aufsatzes, des
Rechnens und eines Teils des naturwissenschaftliche,! Unterrichts gefördert. Der
formale Gewinn des grammatischen Lernens wird ein wesentlich beschränkter sein,
wenn sich dasselbe nur auf die Muttersprache bezieht; wir verlangen deshalb
den ersten grammatischen Betrieb einer fremden Sprache für unsre Töchter,
und hierzu eignet sich die französische, eine der logischsten Sprachen der Welt,
um besten; zugleich steht sie, von Bedürfnisse» der Praxis abgesehen, durch ihren
Wohllaut und die Grazie ihres Stils dem Gesichtspunkte der weiblichen Armut
besonders nahe. Endlich sei hier der Erziehung zur Aufmerksamkeit als einer
segensreichen Vorarbeit für die zur Wahrheitsliebe gedacht. Der Schwerpunkt
aber der Bildung des Wahrhcitssinns liegt in Gewöhnung und Beispiel. Manche
Familie, welche, wenn es sich um den lieben Nächsten handelt, nicht Worte
genug findet, die altägyptische Lügenhaftigkeit zu tadeln, versündigt sich täglich
gegen das altpersische Gebot, die Kinder durch Gewöhnung und Beispiel zur
Wahrhaftigkeit zu erziehen; insbesondre wird die Drastik der „armen Reesa, die
indeß verbrannte! — sast, fast verbrannte," die Übertreibung, ferner die Ver¬
wendung der Kinder zu elterlichen Lügen und Ränken, endlich die Täuschung
und Empfindlichkeit der Schule gegenüber selten genug ans den Index gesetzt.
Aber auch die Schule, die öffentliche und noch mehr die private, darf angesichts
der Forderung, dnrch Gewöhnung und Beispiel die Mädchen zur Wahrheits¬
liebe, Offenheit und Geradheit zu erziehen, die Hand mit einem nnzg, oulxa an
die Brust legen. Verkehrt ist es, wenn, wie es oft geschieht, Lüge und Ver¬
leumdung als leichte Vergehen und bei andern Bergehen das offne Zugeständ¬
nis nicht als Milderuugsgruud behandelt werden. Und wie viel Scheinwesen
wird großgezogen durch schlechte Vorbereitung des Lehrers, infolge deren er be-
wuszt und unbewußt Unwahres zu Markte trägt, durch sündige Gleichgiltigkeit
desselben gegen den Schwall hoher Rede, welche aus dem Munde oder ans
der Feder der Schülerin an ihn heranstürmt, durch gewissenlose Bestimmtheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/400>, abgerufen am 26.06.2024.