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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Schulen und Mädchenerziehungsanstalten geltend, die Begönnernng und Beschö¬
nigung von seiten der Lehrer spielt dn eine nicht unerhebliche Rolle, und die
Disziplin poltert hier oft mit lärmenden Worten und drückt ein Auge und mehr
zu, statt von wahrem Wohlwollen geleitet in der Sache Strenge -- nicht Härte! --
und Folgerichtigkeit, in der Form aber Milde und lautersten Takt zu üben.
Bedauerlicherweise unterliegt nach dieser Seite hin manche, namentlich kleinstäd¬
tische öffentliche Schule um ihrer Selbsterhaltung willen dem Einfluß des Pu¬
blikums, dem ein notdürftig verdeckter Schulschlendrian unglaublich zuzusagen
scheint. Auch die an manchen Mädchenschulen so beliebten -- in der Tagespresse
gewissenhaft verzeichneten -- Massenausflüge, welche schon als solche erziehlich
uicht fruchtbar gemacht werden können und gesundheitlich sehr oft fehlgreifen,
sind im Gründe nichts als eine wenig löbliche og,MMo o"n6vol"nemo, ein Werben
um Wohlwollen bei Schülerinnen und Eltern dieses Jahrhunderts der Ver¬
gnügungseisenbahnzüge. Namentlich aber gefährdet die Schule die Bescheiden¬
heit der Mädchen, wenn sie nicht bei allen Gelegenheiten -- und deren giebt
es im Unterrichte unzählige -- den Vorzug der sittlichen Eigenschaften vor den
intellektuellen und das Dienstverhältnis dieser zu jenen als förmliche Glaubens¬
sätze allgemein und besonders in Behandlung der einzelnen Schülerinnen ans
Licht stellt: I'ssxrit sert ", Wut, lini8 it us 3rMt, Q rign. Auf diese weit ver¬
breitete Unterlassungssünde ist teilweise der Ungehorsam und das redekühne Ge-
bahren von Mädchen gegen ihre Mütter zurückzuführen; wenn auch im einzelnen
Falle die 15--16jährige Tochter über ein größeres Maß von Gedächtnis- und
Verstandesbildung verfügen mag als ihre Mutter, so ist doch, falls weder die
Schule noch das Haus den durchaus unweiblichen Gescheitheit^- und Wissens¬
stolz großzieht und die Mutter ihre Pflicht als solche wirklich erfüllt, erfahrungs¬
gemäß für das Ansehen des geheimnisvoll gewaltigen Mutterherzens keine Be-
einträchtigung zu fürchten.

Wenn demnach in der Erziehung zur Bescheidenheit die Rollen zwischen Hans
und Schule nicht so ungleich verteilt erscheinen, als man gewöhnlich behauptet,
so ist allerdings die Erziehung der Mädchen zur Zucht (im engern Sinne des
Wortes) wesentlich ans die Schultern der Familie gelegt. Leider üben Eltern
und überhaupt Ältere bei ihren Gesprächen in Gegenwart von Kindern nicht
immer die nötige Sorgfalt; und viele Eltern oder Stellvertreter derselben führen
10--8jährige Kinder in Theatervorstellungen oder jüngere und ältere Mädchen
zu andern Schaustellungen, welche hie und da einen Erwachsenen selbst von
feinerer Empfindung sittlich verstimmen; ja manche Mutter glaubt den Aus-
spruch jenes Engländers: "Das eine Geheimnis bei der Erziehung ist, daß man
wisse, weise die Zeit zu verlieren," nicht praktischer befolgen zu können, als
wenn sie mit weitausspähendem Blicke auf die künftige Ehe ihrer vierzehn¬
jährigen Tochter dem trivialen Sport des Straßenflnnirens in stiller und schlecht
verdeckter Freude Vorschub leistet. Verkehrt, kleinlich und innerlich unwahr aber


Schulen und Mädchenerziehungsanstalten geltend, die Begönnernng und Beschö¬
nigung von seiten der Lehrer spielt dn eine nicht unerhebliche Rolle, und die
Disziplin poltert hier oft mit lärmenden Worten und drückt ein Auge und mehr
zu, statt von wahrem Wohlwollen geleitet in der Sache Strenge — nicht Härte! —
und Folgerichtigkeit, in der Form aber Milde und lautersten Takt zu üben.
Bedauerlicherweise unterliegt nach dieser Seite hin manche, namentlich kleinstäd¬
tische öffentliche Schule um ihrer Selbsterhaltung willen dem Einfluß des Pu¬
blikums, dem ein notdürftig verdeckter Schulschlendrian unglaublich zuzusagen
scheint. Auch die an manchen Mädchenschulen so beliebten — in der Tagespresse
gewissenhaft verzeichneten — Massenausflüge, welche schon als solche erziehlich
uicht fruchtbar gemacht werden können und gesundheitlich sehr oft fehlgreifen,
sind im Gründe nichts als eine wenig löbliche og,MMo o«n6vol«nemo, ein Werben
um Wohlwollen bei Schülerinnen und Eltern dieses Jahrhunderts der Ver¬
gnügungseisenbahnzüge. Namentlich aber gefährdet die Schule die Bescheiden¬
heit der Mädchen, wenn sie nicht bei allen Gelegenheiten — und deren giebt
es im Unterrichte unzählige — den Vorzug der sittlichen Eigenschaften vor den
intellektuellen und das Dienstverhältnis dieser zu jenen als förmliche Glaubens¬
sätze allgemein und besonders in Behandlung der einzelnen Schülerinnen ans
Licht stellt: I'ssxrit sert », Wut, lini8 it us 3rMt, Q rign. Auf diese weit ver¬
breitete Unterlassungssünde ist teilweise der Ungehorsam und das redekühne Ge-
bahren von Mädchen gegen ihre Mütter zurückzuführen; wenn auch im einzelnen
Falle die 15—16jährige Tochter über ein größeres Maß von Gedächtnis- und
Verstandesbildung verfügen mag als ihre Mutter, so ist doch, falls weder die
Schule noch das Haus den durchaus unweiblichen Gescheitheit^- und Wissens¬
stolz großzieht und die Mutter ihre Pflicht als solche wirklich erfüllt, erfahrungs¬
gemäß für das Ansehen des geheimnisvoll gewaltigen Mutterherzens keine Be-
einträchtigung zu fürchten.

Wenn demnach in der Erziehung zur Bescheidenheit die Rollen zwischen Hans
und Schule nicht so ungleich verteilt erscheinen, als man gewöhnlich behauptet,
so ist allerdings die Erziehung der Mädchen zur Zucht (im engern Sinne des
Wortes) wesentlich ans die Schultern der Familie gelegt. Leider üben Eltern
und überhaupt Ältere bei ihren Gesprächen in Gegenwart von Kindern nicht
immer die nötige Sorgfalt; und viele Eltern oder Stellvertreter derselben führen
10—8jährige Kinder in Theatervorstellungen oder jüngere und ältere Mädchen
zu andern Schaustellungen, welche hie und da einen Erwachsenen selbst von
feinerer Empfindung sittlich verstimmen; ja manche Mutter glaubt den Aus-
spruch jenes Engländers: „Das eine Geheimnis bei der Erziehung ist, daß man
wisse, weise die Zeit zu verlieren," nicht praktischer befolgen zu können, als
wenn sie mit weitausspähendem Blicke auf die künftige Ehe ihrer vierzehn¬
jährigen Tochter dem trivialen Sport des Straßenflnnirens in stiller und schlecht
verdeckter Freude Vorschub leistet. Verkehrt, kleinlich und innerlich unwahr aber


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[0398] Schulen und Mädchenerziehungsanstalten geltend, die Begönnernng und Beschö¬ nigung von seiten der Lehrer spielt dn eine nicht unerhebliche Rolle, und die Disziplin poltert hier oft mit lärmenden Worten und drückt ein Auge und mehr zu, statt von wahrem Wohlwollen geleitet in der Sache Strenge — nicht Härte! — und Folgerichtigkeit, in der Form aber Milde und lautersten Takt zu üben. Bedauerlicherweise unterliegt nach dieser Seite hin manche, namentlich kleinstäd¬ tische öffentliche Schule um ihrer Selbsterhaltung willen dem Einfluß des Pu¬ blikums, dem ein notdürftig verdeckter Schulschlendrian unglaublich zuzusagen scheint. Auch die an manchen Mädchenschulen so beliebten — in der Tagespresse gewissenhaft verzeichneten — Massenausflüge, welche schon als solche erziehlich uicht fruchtbar gemacht werden können und gesundheitlich sehr oft fehlgreifen, sind im Gründe nichts als eine wenig löbliche og,MMo o«n6vol«nemo, ein Werben um Wohlwollen bei Schülerinnen und Eltern dieses Jahrhunderts der Ver¬ gnügungseisenbahnzüge. Namentlich aber gefährdet die Schule die Bescheiden¬ heit der Mädchen, wenn sie nicht bei allen Gelegenheiten — und deren giebt es im Unterrichte unzählige — den Vorzug der sittlichen Eigenschaften vor den intellektuellen und das Dienstverhältnis dieser zu jenen als förmliche Glaubens¬ sätze allgemein und besonders in Behandlung der einzelnen Schülerinnen ans Licht stellt: I'ssxrit sert », Wut, lini8 it us 3rMt, Q rign. Auf diese weit ver¬ breitete Unterlassungssünde ist teilweise der Ungehorsam und das redekühne Ge- bahren von Mädchen gegen ihre Mütter zurückzuführen; wenn auch im einzelnen Falle die 15—16jährige Tochter über ein größeres Maß von Gedächtnis- und Verstandesbildung verfügen mag als ihre Mutter, so ist doch, falls weder die Schule noch das Haus den durchaus unweiblichen Gescheitheit^- und Wissens¬ stolz großzieht und die Mutter ihre Pflicht als solche wirklich erfüllt, erfahrungs¬ gemäß für das Ansehen des geheimnisvoll gewaltigen Mutterherzens keine Be- einträchtigung zu fürchten. Wenn demnach in der Erziehung zur Bescheidenheit die Rollen zwischen Hans und Schule nicht so ungleich verteilt erscheinen, als man gewöhnlich behauptet, so ist allerdings die Erziehung der Mädchen zur Zucht (im engern Sinne des Wortes) wesentlich ans die Schultern der Familie gelegt. Leider üben Eltern und überhaupt Ältere bei ihren Gesprächen in Gegenwart von Kindern nicht immer die nötige Sorgfalt; und viele Eltern oder Stellvertreter derselben führen 10—8jährige Kinder in Theatervorstellungen oder jüngere und ältere Mädchen zu andern Schaustellungen, welche hie und da einen Erwachsenen selbst von feinerer Empfindung sittlich verstimmen; ja manche Mutter glaubt den Aus- spruch jenes Engländers: „Das eine Geheimnis bei der Erziehung ist, daß man wisse, weise die Zeit zu verlieren," nicht praktischer befolgen zu können, als wenn sie mit weitausspähendem Blicke auf die künftige Ehe ihrer vierzehn¬ jährigen Tochter dem trivialen Sport des Straßenflnnirens in stiller und schlecht verdeckter Freude Vorschub leistet. Verkehrt, kleinlich und innerlich unwahr aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/398>, abgerufen am 26.06.2024.