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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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als Phantasie. Dies System setzt einen Urgrund der Welt voraus, der weder
Geist noch Materie sein soll, sondern beides zusammen in einer Einheit, daher
Monismus. Der Urgrund ist selbst nicht Erscheinung, also im Wesen uner¬
kennbar, dennoch versichern die Philosophen, daß er sehr viel Nützliches und
auch Schädliches thue. Er baut die Welt, macht alle Pläne für die organische
Schöpfung, aber unbewußt, ohne Absicht, denn da er kein Geist ist, so kann er
nicht denken und mit Bewußtsein arbeiten. Wer kennt nicht diesen alten Be¬
kannten in den verschiednen Formen wieder? Er ist das Ding an sich der
Kantianer -- nicht Kants, denn sür ihn war das ein völlig leerer Begriff --,
das Absolute, der Wille Schopenhauers, das Unbewußte Hartmanns, die Sub¬
stanz Spinozas u. s. w. Kant warnt zwar oft genug, daß man vorsichtiger-
weise niemals die Grundlage des Erkennbaren bei den Hypothesen der Natur¬
erklärung verlassen solle, weil alsdann die Vernunft notwendig ihren eignen
Erdichtungen zum Opfer falle, aber unsre Philosophen sind nichtsdestoweniger
in dergleichen Dichtungen immer wieder gründlich hineingefallen. Wie ein über¬
sinnlicher Urgrund unbewußt die lebenden Wesen zweckmäßig organisirt, das kann
uns weder Spinoza noch irgend ein andrer spekulativer Kopf, selbst Häckel nicht,
begreiflich machen. Das zu begreifen, reicht der menschliche Verstand eben
"licht aus.

^. Andrerseits finden sich auch bei denen, welche das wirkliche Vorhandensein
erfüllter Zwecke in den Organismen anerkennen, zwei Richtungen vertreten, eine
materialistische und eine theistische oder hyperphysische Ansicht. Erstere nimmt
den Ursprung des Lebens aus lebender Materie an und begeht dadurch einen
Zirkelschluß. Denn lebende Materie kennen wir nnr in lebenden Wesen. Wir
können also wohl annehmen, daß die organisirte Materie ihre eigentümlichen
Eigenschaften durch die Wirkung des Lebens der Organismen erhalte, aber wenn
wir umgekehrt das Leben der Organismen durch die Eigenschaften der lebenden
Materie erklären wollen, so wäre das eine xstitio xrineiM, die eben garnichts
erklärt. Diese Betrachtung wäre auch heutzutage den mehr oder weniger be¬
rühmten Forschern anzuraten, die die Lebenskraft als eigentümliche Kraft aus
mechanischen Prinzipien erklären möchten, z. B. dnrch die intramolekulare Be¬
wegung der Eiweißatome oder dnrch die Mischung gallertiger und flüssiger
Substanzen. Beichte Materie außerhalb der lebenden Wesen, sagt Kant, ist eine
ecmtriiäit-dio in ^es'toto, denn es gehört zu deu Charaktereigenschaften der
Materie, daß sie tot ist.

Was die theistische Erklärung der Schöpfung betrifft, daß also ein denkender
Geist absichtlich Zwecke in der Natur sich vorgesetzt und mit Hilfe der mechanischen
Bewegungsgesetze der Materie mehr oder minder vollkommen erreicht habe, so
ist das allerdings eine Anschauung, die unser Gemüt befriedigt und mit den
Forderungen der Vernunft übereinstimmt, nur dürfen wir sie nicht für eine
wissenschaftliche Erklärung ausgeben. Einem solchen Geiste können wir wohl


GrenzlwKn IV. 1882. 49

als Phantasie. Dies System setzt einen Urgrund der Welt voraus, der weder
Geist noch Materie sein soll, sondern beides zusammen in einer Einheit, daher
Monismus. Der Urgrund ist selbst nicht Erscheinung, also im Wesen uner¬
kennbar, dennoch versichern die Philosophen, daß er sehr viel Nützliches und
auch Schädliches thue. Er baut die Welt, macht alle Pläne für die organische
Schöpfung, aber unbewußt, ohne Absicht, denn da er kein Geist ist, so kann er
nicht denken und mit Bewußtsein arbeiten. Wer kennt nicht diesen alten Be¬
kannten in den verschiednen Formen wieder? Er ist das Ding an sich der
Kantianer — nicht Kants, denn sür ihn war das ein völlig leerer Begriff —,
das Absolute, der Wille Schopenhauers, das Unbewußte Hartmanns, die Sub¬
stanz Spinozas u. s. w. Kant warnt zwar oft genug, daß man vorsichtiger-
weise niemals die Grundlage des Erkennbaren bei den Hypothesen der Natur¬
erklärung verlassen solle, weil alsdann die Vernunft notwendig ihren eignen
Erdichtungen zum Opfer falle, aber unsre Philosophen sind nichtsdestoweniger
in dergleichen Dichtungen immer wieder gründlich hineingefallen. Wie ein über¬
sinnlicher Urgrund unbewußt die lebenden Wesen zweckmäßig organisirt, das kann
uns weder Spinoza noch irgend ein andrer spekulativer Kopf, selbst Häckel nicht,
begreiflich machen. Das zu begreifen, reicht der menschliche Verstand eben
»licht aus.

^. Andrerseits finden sich auch bei denen, welche das wirkliche Vorhandensein
erfüllter Zwecke in den Organismen anerkennen, zwei Richtungen vertreten, eine
materialistische und eine theistische oder hyperphysische Ansicht. Erstere nimmt
den Ursprung des Lebens aus lebender Materie an und begeht dadurch einen
Zirkelschluß. Denn lebende Materie kennen wir nnr in lebenden Wesen. Wir
können also wohl annehmen, daß die organisirte Materie ihre eigentümlichen
Eigenschaften durch die Wirkung des Lebens der Organismen erhalte, aber wenn
wir umgekehrt das Leben der Organismen durch die Eigenschaften der lebenden
Materie erklären wollen, so wäre das eine xstitio xrineiM, die eben garnichts
erklärt. Diese Betrachtung wäre auch heutzutage den mehr oder weniger be¬
rühmten Forschern anzuraten, die die Lebenskraft als eigentümliche Kraft aus
mechanischen Prinzipien erklären möchten, z. B. dnrch die intramolekulare Be¬
wegung der Eiweißatome oder dnrch die Mischung gallertiger und flüssiger
Substanzen. Beichte Materie außerhalb der lebenden Wesen, sagt Kant, ist eine
ecmtriiäit-dio in ^es'toto, denn es gehört zu deu Charaktereigenschaften der
Materie, daß sie tot ist.

Was die theistische Erklärung der Schöpfung betrifft, daß also ein denkender
Geist absichtlich Zwecke in der Natur sich vorgesetzt und mit Hilfe der mechanischen
Bewegungsgesetze der Materie mehr oder minder vollkommen erreicht habe, so
ist das allerdings eine Anschauung, die unser Gemüt befriedigt und mit den
Forderungen der Vernunft übereinstimmt, nur dürfen wir sie nicht für eine
wissenschaftliche Erklärung ausgeben. Einem solchen Geiste können wir wohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/389>, abgerufen am 26.06.2024.