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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Der Häckelismus auf der Naturforscherversammlung in Lisenach.

dem menschlichen verwandt sein, sonst ist der Kampf eben vollständig unbegreif¬
lich. Nun mag man auch uach dem Vorgang des vulgären Materialismus das
Empfinden, Streben und Wollen als eine mechanische Eigenschaft der Materie
definiren, aber dergleichen Faseleien sind doch wohl heutzutage unter wissen¬
schaftlich gebildeten Männern nicht mehr diskutabel. Erscheinungen im Raum,
wie es alle mechanischen Vorgänge sind, lassen sich mit dein besten Willen nicht
in Erscheinungen, die nur in der Zeit sind, wie es die geistigen sind, umsetzen.
Jeder Versuch dazu ist ein logischer Fehler. So stehen wir wiederum beim
Prinzip der Anpassung vor dem Rätsel, wie man dies Prinzip benutzen kann,
um den Geist aus der Natur wegznerklnren und ein neues Evangelium der
Substanz an die Stelle zu setzen.

Würde Häckel, anstatt die Kritik der ideologischen Urteilskraft einfach für
ein von der Basis an fehlerhaftes Werk zu erklären, mit einigem Respekt vor
dem gewaltig durchdringenden Scharfsinn, der darin waltet, an die Sache heran¬
getreten sein, so würde er gewiß vor manchen Irrtümern, in die er hineinge¬
raten ist, sich haben warnen lassen. Denn alle die phantastischen Anpreisungen
des Monismus als welterlösendes System hat Kant in nüchtern klarer Weise
vorausgesehen und bezeichnet.

Kant unterscheidet unter allen Versuchen, die bisher gemacht worden sind,
um die Zweckmäßigkeit in den Naturprodukten zu erklären, zwei Grundrichtungen,
die eine, welche behauptet, daß die Zwecke, die uus doch in der Bildung eines
jeden Organismus entgegentreten, eigentlich nnr eine Idee von uns seien, die
wir in die Gegenstände der Betrachtung hineinlegen, von denen wir aber gar
nicht nachweisen können, daß sie so gewollt, erstrebt und ausgeführt seien, wie
sie uns erscheinen; die andre, welche eine zweckmäßig wirkende, der menschlichen
Intelligenz analog denkende intelligible Ursache annimmt, welche wirklich Zwecke
sich vorgesetzt und in den Naturprodukten, Pflauzen und Tieren mehr oder we¬
niger vollständig erreicht habe. Die erste Richtung nennt er Idealismus, die
zweite Realismus der Naturzwecke in der organischen Natur.

Jede dieser beide" Richtungen ist wieder durch zwei verschiedne Arten ver¬
treten, eine physische, die dem gewöhnlichen Materialismus auch unsrer Tage
entspricht, und eine hyperphysische, die über die mechanischen Bewegungsgesetze
der Materie hinaus auf eiuen letzten Urgrund der Welt rekurrirt. Der Idealis¬
mus der Naturzwecke ist einmal vertreten als die Ansicht, daß alle Gebilde,
organische wie unorganische, nichts als Produkte der Bewegungsgesetze der
Materie seien, wie Epikur und Demokrit gelehrt haben. Diese rein materia¬
listische Ansicht erscheint Kant mit Recht als so ungereimt, daß es sich nicht
lohne, bei ihr länger zu verweilen. Die zweite Art aber, das System des
Fatalismus, ist nicht so leicht zu widerlegen, weil man es überhaupt nicht ver¬
stehen kann. Der Ursprung wird dem Spinoza zugeschrieben, doch scheint es
schon viel älter zu sein. Es entspricht dem heutigen Monismus und ist nichts


Der Häckelismus auf der Naturforscherversammlung in Lisenach.

dem menschlichen verwandt sein, sonst ist der Kampf eben vollständig unbegreif¬
lich. Nun mag man auch uach dem Vorgang des vulgären Materialismus das
Empfinden, Streben und Wollen als eine mechanische Eigenschaft der Materie
definiren, aber dergleichen Faseleien sind doch wohl heutzutage unter wissen¬
schaftlich gebildeten Männern nicht mehr diskutabel. Erscheinungen im Raum,
wie es alle mechanischen Vorgänge sind, lassen sich mit dein besten Willen nicht
in Erscheinungen, die nur in der Zeit sind, wie es die geistigen sind, umsetzen.
Jeder Versuch dazu ist ein logischer Fehler. So stehen wir wiederum beim
Prinzip der Anpassung vor dem Rätsel, wie man dies Prinzip benutzen kann,
um den Geist aus der Natur wegznerklnren und ein neues Evangelium der
Substanz an die Stelle zu setzen.

Würde Häckel, anstatt die Kritik der ideologischen Urteilskraft einfach für
ein von der Basis an fehlerhaftes Werk zu erklären, mit einigem Respekt vor
dem gewaltig durchdringenden Scharfsinn, der darin waltet, an die Sache heran¬
getreten sein, so würde er gewiß vor manchen Irrtümern, in die er hineinge¬
raten ist, sich haben warnen lassen. Denn alle die phantastischen Anpreisungen
des Monismus als welterlösendes System hat Kant in nüchtern klarer Weise
vorausgesehen und bezeichnet.

Kant unterscheidet unter allen Versuchen, die bisher gemacht worden sind,
um die Zweckmäßigkeit in den Naturprodukten zu erklären, zwei Grundrichtungen,
die eine, welche behauptet, daß die Zwecke, die uus doch in der Bildung eines
jeden Organismus entgegentreten, eigentlich nnr eine Idee von uns seien, die
wir in die Gegenstände der Betrachtung hineinlegen, von denen wir aber gar
nicht nachweisen können, daß sie so gewollt, erstrebt und ausgeführt seien, wie
sie uns erscheinen; die andre, welche eine zweckmäßig wirkende, der menschlichen
Intelligenz analog denkende intelligible Ursache annimmt, welche wirklich Zwecke
sich vorgesetzt und in den Naturprodukten, Pflauzen und Tieren mehr oder we¬
niger vollständig erreicht habe. Die erste Richtung nennt er Idealismus, die
zweite Realismus der Naturzwecke in der organischen Natur.

Jede dieser beide» Richtungen ist wieder durch zwei verschiedne Arten ver¬
treten, eine physische, die dem gewöhnlichen Materialismus auch unsrer Tage
entspricht, und eine hyperphysische, die über die mechanischen Bewegungsgesetze
der Materie hinaus auf eiuen letzten Urgrund der Welt rekurrirt. Der Idealis¬
mus der Naturzwecke ist einmal vertreten als die Ansicht, daß alle Gebilde,
organische wie unorganische, nichts als Produkte der Bewegungsgesetze der
Materie seien, wie Epikur und Demokrit gelehrt haben. Diese rein materia¬
listische Ansicht erscheint Kant mit Recht als so ungereimt, daß es sich nicht
lohne, bei ihr länger zu verweilen. Die zweite Art aber, das System des
Fatalismus, ist nicht so leicht zu widerlegen, weil man es überhaupt nicht ver¬
stehen kann. Der Ursprung wird dem Spinoza zugeschrieben, doch scheint es
schon viel älter zu sein. Es entspricht dem heutigen Monismus und ist nichts


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[0388] Der Häckelismus auf der Naturforscherversammlung in Lisenach. dem menschlichen verwandt sein, sonst ist der Kampf eben vollständig unbegreif¬ lich. Nun mag man auch uach dem Vorgang des vulgären Materialismus das Empfinden, Streben und Wollen als eine mechanische Eigenschaft der Materie definiren, aber dergleichen Faseleien sind doch wohl heutzutage unter wissen¬ schaftlich gebildeten Männern nicht mehr diskutabel. Erscheinungen im Raum, wie es alle mechanischen Vorgänge sind, lassen sich mit dein besten Willen nicht in Erscheinungen, die nur in der Zeit sind, wie es die geistigen sind, umsetzen. Jeder Versuch dazu ist ein logischer Fehler. So stehen wir wiederum beim Prinzip der Anpassung vor dem Rätsel, wie man dies Prinzip benutzen kann, um den Geist aus der Natur wegznerklnren und ein neues Evangelium der Substanz an die Stelle zu setzen. Würde Häckel, anstatt die Kritik der ideologischen Urteilskraft einfach für ein von der Basis an fehlerhaftes Werk zu erklären, mit einigem Respekt vor dem gewaltig durchdringenden Scharfsinn, der darin waltet, an die Sache heran¬ getreten sein, so würde er gewiß vor manchen Irrtümern, in die er hineinge¬ raten ist, sich haben warnen lassen. Denn alle die phantastischen Anpreisungen des Monismus als welterlösendes System hat Kant in nüchtern klarer Weise vorausgesehen und bezeichnet. Kant unterscheidet unter allen Versuchen, die bisher gemacht worden sind, um die Zweckmäßigkeit in den Naturprodukten zu erklären, zwei Grundrichtungen, die eine, welche behauptet, daß die Zwecke, die uus doch in der Bildung eines jeden Organismus entgegentreten, eigentlich nnr eine Idee von uns seien, die wir in die Gegenstände der Betrachtung hineinlegen, von denen wir aber gar nicht nachweisen können, daß sie so gewollt, erstrebt und ausgeführt seien, wie sie uns erscheinen; die andre, welche eine zweckmäßig wirkende, der menschlichen Intelligenz analog denkende intelligible Ursache annimmt, welche wirklich Zwecke sich vorgesetzt und in den Naturprodukten, Pflauzen und Tieren mehr oder we¬ niger vollständig erreicht habe. Die erste Richtung nennt er Idealismus, die zweite Realismus der Naturzwecke in der organischen Natur. Jede dieser beide» Richtungen ist wieder durch zwei verschiedne Arten ver¬ treten, eine physische, die dem gewöhnlichen Materialismus auch unsrer Tage entspricht, und eine hyperphysische, die über die mechanischen Bewegungsgesetze der Materie hinaus auf eiuen letzten Urgrund der Welt rekurrirt. Der Idealis¬ mus der Naturzwecke ist einmal vertreten als die Ansicht, daß alle Gebilde, organische wie unorganische, nichts als Produkte der Bewegungsgesetze der Materie seien, wie Epikur und Demokrit gelehrt haben. Diese rein materia¬ listische Ansicht erscheint Kant mit Recht als so ungereimt, daß es sich nicht lohne, bei ihr länger zu verweilen. Die zweite Art aber, das System des Fatalismus, ist nicht so leicht zu widerlegen, weil man es überhaupt nicht ver¬ stehen kann. Der Ursprung wird dem Spinoza zugeschrieben, doch scheint es schon viel älter zu sein. Es entspricht dem heutigen Monismus und ist nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/388>, abgerufen am 26.06.2024.