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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Der Häckelismus auf der Natnrfmschervcrsmnmlung ni EisL"ach.

ohne Zweifel vor dem häßlichen Bündnis mit dem Bösen bewahrt worden sein.
Zwar hätte er uns der Wiese "voll Asphodelos," nnter den Schatten, die dort
zwar nicht selig, wie die abergläubigen Menschen sich vorstellen, aber doch
schmerzlos verweilen, einige ganz respektable Herren getroffen, wie Kopernikus,
Newton, Spinoza, Kant und seinen eignen Dichter Goethe, aber keiner hätte
ihm so vollständig alle Zweifel lösen und selbst an die Seite des Erdgeistes
emporheben können wie der Darwinismus oder vielmehr Häckelismus, den er
nnn leider erst zu spät kennen gelernt habe.

In den Anmerkungen weist Häckel die Allgriffe verschiedner Gegner scharf
und schneidig zurück, indem er ihnen als Waffe vorzugsweise den Vorwurf
der Unwissenheit im empirischen Material entgegenhält. Nun kann man ihm
selbst gewiß nicht abstreiten, daß er sein eignes Fach im umfangreichsten Maße
beherrscht und gewiß auch in bemerkenswerter Weise erweitert hat. Aber anders
steht es mit seiner Kenntnis philosophischer Schriften, namentlich Kants, mit deren
Beherrschung er sich gleichwohl oft genug brüstet. Was er gelegentlich über
Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft vorgebracht hat, indem er sie für ein
vom Grund aus irrtümliches Lehrgebäude erklärt, übersteigt geradezu die Grenzen
des erlaubten Mißverständnisses. Den Zweckbegriff aus der Erklärung der
organischen Natur weglassen zu wollen, erklärt Kant für ungereimt. Es handelt
sich ja bei der teleologischen Betrachtung der Natur garnicht um äußere Zwecke.
Der Nutzen, den die Pflanzen den Tieren, ein Tier dem andern, und diese dem
Menschen gewähren, ist längst als unwissenschaftliches Prinzip von allen Natur¬
forschern verlassen. Trotzdem ist dieser Nutzen thatsächlich vorhanden, und es
wäre ungereimt, ihn wegzuleugnen. Aber ebenso ungereimt wäre es, zu leugnen,
daß das Auge von Tier und Menschen zum Sehen eingerichtet, der Magen zum
Verdauen, das Ohr zum Hören, die Glieder zur Bewegung bestimmt seien, daß
also mit dem Ban eines jeden Individuums ein gewisser Zweck erfüllt sei, sodaß
die Teile dem Ganzen sich unterordnen und ihm dienen müssen. Diese Un¬
gereimtheit, alle Zwecke in der Natur zu leugnen, begeht nun Häckel auch nicht.
Aber Kant war darin vorsichtiger, daß er sagte, ein solcher in einem Organismus
ausgeführter Zweck sei nicht aus den mechanischen Eigenschaften der Materie,
ans der der Organismus besteht, zu erklären, während Häckel behauptet, daß
ebeu Darwin die Sache vollständig erklärt habe. Jeder Zweck deutet auf einen
Verstand, ans ein nnserm Verstände ähnlich denkendes Subjekt, welches den
Zweck sich zu erreichen vorsetzt, und ein solches Denken der Materie beizulegen,
dazu haben wir kein Recht. Zu behaupten, daß auch uur ein Grashalm ohne
zweckmäßige Anordnung seiner Teile hervorgebracht sei, wäre ungereimt, und
das sagt auch Häckel nicht. Aber es wäre auch ungereimt zu behaupten, daß
diese Anordnung durch die mechanischen Eigenschaften der Materie, ans der der
Grashalm besteht, zu erklären sei, und das ist eine Ungereimtheit, die Häckel
nicht etwa widerlegt, sondern einfach begeht, indem er mit der siegesfrohesten


Der Häckelismus auf der Natnrfmschervcrsmnmlung ni EisL»ach.

ohne Zweifel vor dem häßlichen Bündnis mit dem Bösen bewahrt worden sein.
Zwar hätte er uns der Wiese „voll Asphodelos," nnter den Schatten, die dort
zwar nicht selig, wie die abergläubigen Menschen sich vorstellen, aber doch
schmerzlos verweilen, einige ganz respektable Herren getroffen, wie Kopernikus,
Newton, Spinoza, Kant und seinen eignen Dichter Goethe, aber keiner hätte
ihm so vollständig alle Zweifel lösen und selbst an die Seite des Erdgeistes
emporheben können wie der Darwinismus oder vielmehr Häckelismus, den er
nnn leider erst zu spät kennen gelernt habe.

In den Anmerkungen weist Häckel die Allgriffe verschiedner Gegner scharf
und schneidig zurück, indem er ihnen als Waffe vorzugsweise den Vorwurf
der Unwissenheit im empirischen Material entgegenhält. Nun kann man ihm
selbst gewiß nicht abstreiten, daß er sein eignes Fach im umfangreichsten Maße
beherrscht und gewiß auch in bemerkenswerter Weise erweitert hat. Aber anders
steht es mit seiner Kenntnis philosophischer Schriften, namentlich Kants, mit deren
Beherrschung er sich gleichwohl oft genug brüstet. Was er gelegentlich über
Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft vorgebracht hat, indem er sie für ein
vom Grund aus irrtümliches Lehrgebäude erklärt, übersteigt geradezu die Grenzen
des erlaubten Mißverständnisses. Den Zweckbegriff aus der Erklärung der
organischen Natur weglassen zu wollen, erklärt Kant für ungereimt. Es handelt
sich ja bei der teleologischen Betrachtung der Natur garnicht um äußere Zwecke.
Der Nutzen, den die Pflanzen den Tieren, ein Tier dem andern, und diese dem
Menschen gewähren, ist längst als unwissenschaftliches Prinzip von allen Natur¬
forschern verlassen. Trotzdem ist dieser Nutzen thatsächlich vorhanden, und es
wäre ungereimt, ihn wegzuleugnen. Aber ebenso ungereimt wäre es, zu leugnen,
daß das Auge von Tier und Menschen zum Sehen eingerichtet, der Magen zum
Verdauen, das Ohr zum Hören, die Glieder zur Bewegung bestimmt seien, daß
also mit dem Ban eines jeden Individuums ein gewisser Zweck erfüllt sei, sodaß
die Teile dem Ganzen sich unterordnen und ihm dienen müssen. Diese Un¬
gereimtheit, alle Zwecke in der Natur zu leugnen, begeht nun Häckel auch nicht.
Aber Kant war darin vorsichtiger, daß er sagte, ein solcher in einem Organismus
ausgeführter Zweck sei nicht aus den mechanischen Eigenschaften der Materie,
ans der der Organismus besteht, zu erklären, während Häckel behauptet, daß
ebeu Darwin die Sache vollständig erklärt habe. Jeder Zweck deutet auf einen
Verstand, ans ein nnserm Verstände ähnlich denkendes Subjekt, welches den
Zweck sich zu erreichen vorsetzt, und ein solches Denken der Materie beizulegen,
dazu haben wir kein Recht. Zu behaupten, daß auch uur ein Grashalm ohne
zweckmäßige Anordnung seiner Teile hervorgebracht sei, wäre ungereimt, und
das sagt auch Häckel nicht. Aber es wäre auch ungereimt zu behaupten, daß
diese Anordnung durch die mechanischen Eigenschaften der Materie, ans der der
Grashalm besteht, zu erklären sei, und das ist eine Ungereimtheit, die Häckel
nicht etwa widerlegt, sondern einfach begeht, indem er mit der siegesfrohesten


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[0385] Der Häckelismus auf der Natnrfmschervcrsmnmlung ni EisL»ach. ohne Zweifel vor dem häßlichen Bündnis mit dem Bösen bewahrt worden sein. Zwar hätte er uns der Wiese „voll Asphodelos," nnter den Schatten, die dort zwar nicht selig, wie die abergläubigen Menschen sich vorstellen, aber doch schmerzlos verweilen, einige ganz respektable Herren getroffen, wie Kopernikus, Newton, Spinoza, Kant und seinen eignen Dichter Goethe, aber keiner hätte ihm so vollständig alle Zweifel lösen und selbst an die Seite des Erdgeistes emporheben können wie der Darwinismus oder vielmehr Häckelismus, den er nnn leider erst zu spät kennen gelernt habe. In den Anmerkungen weist Häckel die Allgriffe verschiedner Gegner scharf und schneidig zurück, indem er ihnen als Waffe vorzugsweise den Vorwurf der Unwissenheit im empirischen Material entgegenhält. Nun kann man ihm selbst gewiß nicht abstreiten, daß er sein eignes Fach im umfangreichsten Maße beherrscht und gewiß auch in bemerkenswerter Weise erweitert hat. Aber anders steht es mit seiner Kenntnis philosophischer Schriften, namentlich Kants, mit deren Beherrschung er sich gleichwohl oft genug brüstet. Was er gelegentlich über Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft vorgebracht hat, indem er sie für ein vom Grund aus irrtümliches Lehrgebäude erklärt, übersteigt geradezu die Grenzen des erlaubten Mißverständnisses. Den Zweckbegriff aus der Erklärung der organischen Natur weglassen zu wollen, erklärt Kant für ungereimt. Es handelt sich ja bei der teleologischen Betrachtung der Natur garnicht um äußere Zwecke. Der Nutzen, den die Pflanzen den Tieren, ein Tier dem andern, und diese dem Menschen gewähren, ist längst als unwissenschaftliches Prinzip von allen Natur¬ forschern verlassen. Trotzdem ist dieser Nutzen thatsächlich vorhanden, und es wäre ungereimt, ihn wegzuleugnen. Aber ebenso ungereimt wäre es, zu leugnen, daß das Auge von Tier und Menschen zum Sehen eingerichtet, der Magen zum Verdauen, das Ohr zum Hören, die Glieder zur Bewegung bestimmt seien, daß also mit dem Ban eines jeden Individuums ein gewisser Zweck erfüllt sei, sodaß die Teile dem Ganzen sich unterordnen und ihm dienen müssen. Diese Un¬ gereimtheit, alle Zwecke in der Natur zu leugnen, begeht nun Häckel auch nicht. Aber Kant war darin vorsichtiger, daß er sagte, ein solcher in einem Organismus ausgeführter Zweck sei nicht aus den mechanischen Eigenschaften der Materie, ans der der Organismus besteht, zu erklären, während Häckel behauptet, daß ebeu Darwin die Sache vollständig erklärt habe. Jeder Zweck deutet auf einen Verstand, ans ein nnserm Verstände ähnlich denkendes Subjekt, welches den Zweck sich zu erreichen vorsetzt, und ein solches Denken der Materie beizulegen, dazu haben wir kein Recht. Zu behaupten, daß auch uur ein Grashalm ohne zweckmäßige Anordnung seiner Teile hervorgebracht sei, wäre ungereimt, und das sagt auch Häckel nicht. Aber es wäre auch ungereimt zu behaupten, daß diese Anordnung durch die mechanischen Eigenschaften der Materie, ans der der Grashalm besteht, zu erklären sei, und das ist eine Ungereimtheit, die Häckel nicht etwa widerlegt, sondern einfach begeht, indem er mit der siegesfrohesten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/385>, abgerufen am 26.06.2024.