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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Vor ^äcklüisiuus auf der Naturforscherversammlung in Eisencich.

rung der Erscheinungen ins sogenannte Innere der Natur hineindringt. Der
letzte Grund der Einheit der Erscheinungen ist nicht das Ding an sich, sondern
die transcendentale Form unsers Erkenntnisvermögens.

Sehen wir uns endlich noch die großen unermeßlichen Vorteile etwas näher
an, die angeblich für unsre Erkenntnis entspringen, wenn wir die organischen
Pflanzen- und Tierformen ohne alle zweckmäßig wirkende Ursache, ein zweck¬
mäßig konstruirtes Gebäude ohne einen denkenden Baumeister sich entwickeln
lassen, Kant hatte gesagt: Man kann jeden Organismus für eine zweckmäßig
koustruirte Maschine erklären. Die Wirksamkeit derselben, die Äußerungen der
Thätigkeit aller Organe und auch die Beschaffenheit der Organe selbst können
nur nach mechanischen Prinzipien begreifen. Chemie, Physik und Mechanik bieten
uus die Hilfsmittel, die uns darüber aufklären. Aber durch welche Ursache
die Maschine gerade so konstruirt ist, warum die anorganischen Stoffe gerade
in diese Verbindung getreten sind, wie sie dem Zweck des Ganzen dienen, das
werden wir durch keine Zergliederung der Erscheinungen, dnrch keine wissen¬
schaftliche Forschung überhaupt erfahren, denn ein Zweck -- mag er nun voll¬
kommen oder unvollkommen erreicht sein -- dentet immer auf eine Intelligenz
hin, welche diesen Zweck sich vorgesetzt hat; ein Zweck erklärt sich nie ans mecha¬
nischen Prinzipien, die nnr solche Wirkungen erklären können, deren Ursachen
vorausgegangen send, nicht aber solche, deren Ursache als zukünftiges Ziel er-.,
strebt wird. Ein solches Streben nach einem Ziel kennen wir mit Sicherheit
nur in unserm eignen Intellekt, und wenn wir Grund haben, etwas ähnliches
in andern Wesen anzunehmen, so können wir nur sagen, daß in ihnen auch
eine Kraft wirksam sein müsse, die mit unserm eignen Intellekt Ähnlichkeit haben
muß. Da dieselbe aber nicht selbst Erscheinung wird, so bleibt sie für uns nur
immer ein ^"v^e,^^, und damit unerkennbar. Jeder Organismus ist also
unserm wissenschaftlichen Erkennen soweit zugänglich, als er mechanischen Ge¬
setzen unterworfen ist. Auch die Form des Ganzen ist insoweit begreiflich, als
sie von ihrem Inhalt, d. i. den Stoffen, aus deuen sie gebildet ist, abhängt.
Aber es bleibt ein Grund, vou dem anch die Form abhängt, unerklärlich, näm¬
lich der Grund, aus welchem die Teile gerade so zusammengetreten und gemischt
sind, daß alle dem Zweck des Ganzen dienen müssen. Wenn wir trotz dieses
unerklärten Wesens in der Entstehung doch die Formen der organischen Wesen
vorzugsweise benutzen, um das ganze Reich der Pflanzen und Tiere in eine
systematische Ordnung und Übersicht zu bringen, so haben wir daran nnr ein
regulatives Prinzip der Erkenntnis, kein konstitutives, welches uns alles bis
ans deu letzte" Rest erklüreu mußte.

Besondre Beachtung verdient noch das dem Vortrage vorangedruckte poetische
Vorwort von Arthur Fitger, in welchem der Schatten Fausts Charles Darwin
zum siebzigsten Geburtstag (12. Februar 1879) gratulire. Er bedauert lebhaft,
daß er Darwin nicht bei Lebzeiten schon gekannt habe, denn er würde durch ihn


Vor ^äcklüisiuus auf der Naturforscherversammlung in Eisencich.

rung der Erscheinungen ins sogenannte Innere der Natur hineindringt. Der
letzte Grund der Einheit der Erscheinungen ist nicht das Ding an sich, sondern
die transcendentale Form unsers Erkenntnisvermögens.

Sehen wir uns endlich noch die großen unermeßlichen Vorteile etwas näher
an, die angeblich für unsre Erkenntnis entspringen, wenn wir die organischen
Pflanzen- und Tierformen ohne alle zweckmäßig wirkende Ursache, ein zweck¬
mäßig konstruirtes Gebäude ohne einen denkenden Baumeister sich entwickeln
lassen, Kant hatte gesagt: Man kann jeden Organismus für eine zweckmäßig
koustruirte Maschine erklären. Die Wirksamkeit derselben, die Äußerungen der
Thätigkeit aller Organe und auch die Beschaffenheit der Organe selbst können
nur nach mechanischen Prinzipien begreifen. Chemie, Physik und Mechanik bieten
uus die Hilfsmittel, die uns darüber aufklären. Aber durch welche Ursache
die Maschine gerade so konstruirt ist, warum die anorganischen Stoffe gerade
in diese Verbindung getreten sind, wie sie dem Zweck des Ganzen dienen, das
werden wir durch keine Zergliederung der Erscheinungen, dnrch keine wissen¬
schaftliche Forschung überhaupt erfahren, denn ein Zweck — mag er nun voll¬
kommen oder unvollkommen erreicht sein — dentet immer auf eine Intelligenz
hin, welche diesen Zweck sich vorgesetzt hat; ein Zweck erklärt sich nie ans mecha¬
nischen Prinzipien, die nnr solche Wirkungen erklären können, deren Ursachen
vorausgegangen send, nicht aber solche, deren Ursache als zukünftiges Ziel er-.,
strebt wird. Ein solches Streben nach einem Ziel kennen wir mit Sicherheit
nur in unserm eignen Intellekt, und wenn wir Grund haben, etwas ähnliches
in andern Wesen anzunehmen, so können wir nur sagen, daß in ihnen auch
eine Kraft wirksam sein müsse, die mit unserm eignen Intellekt Ähnlichkeit haben
muß. Da dieselbe aber nicht selbst Erscheinung wird, so bleibt sie für uns nur
immer ein ^»v^e,^^, und damit unerkennbar. Jeder Organismus ist also
unserm wissenschaftlichen Erkennen soweit zugänglich, als er mechanischen Ge¬
setzen unterworfen ist. Auch die Form des Ganzen ist insoweit begreiflich, als
sie von ihrem Inhalt, d. i. den Stoffen, aus deuen sie gebildet ist, abhängt.
Aber es bleibt ein Grund, vou dem anch die Form abhängt, unerklärlich, näm¬
lich der Grund, aus welchem die Teile gerade so zusammengetreten und gemischt
sind, daß alle dem Zweck des Ganzen dienen müssen. Wenn wir trotz dieses
unerklärten Wesens in der Entstehung doch die Formen der organischen Wesen
vorzugsweise benutzen, um das ganze Reich der Pflanzen und Tiere in eine
systematische Ordnung und Übersicht zu bringen, so haben wir daran nnr ein
regulatives Prinzip der Erkenntnis, kein konstitutives, welches uns alles bis
ans deu letzte« Rest erklüreu mußte.

Besondre Beachtung verdient noch das dem Vortrage vorangedruckte poetische
Vorwort von Arthur Fitger, in welchem der Schatten Fausts Charles Darwin
zum siebzigsten Geburtstag (12. Februar 1879) gratulire. Er bedauert lebhaft,
daß er Darwin nicht bei Lebzeiten schon gekannt habe, denn er würde durch ihn


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[0384] Vor ^äcklüisiuus auf der Naturforscherversammlung in Eisencich. rung der Erscheinungen ins sogenannte Innere der Natur hineindringt. Der letzte Grund der Einheit der Erscheinungen ist nicht das Ding an sich, sondern die transcendentale Form unsers Erkenntnisvermögens. Sehen wir uns endlich noch die großen unermeßlichen Vorteile etwas näher an, die angeblich für unsre Erkenntnis entspringen, wenn wir die organischen Pflanzen- und Tierformen ohne alle zweckmäßig wirkende Ursache, ein zweck¬ mäßig konstruirtes Gebäude ohne einen denkenden Baumeister sich entwickeln lassen, Kant hatte gesagt: Man kann jeden Organismus für eine zweckmäßig koustruirte Maschine erklären. Die Wirksamkeit derselben, die Äußerungen der Thätigkeit aller Organe und auch die Beschaffenheit der Organe selbst können nur nach mechanischen Prinzipien begreifen. Chemie, Physik und Mechanik bieten uus die Hilfsmittel, die uns darüber aufklären. Aber durch welche Ursache die Maschine gerade so konstruirt ist, warum die anorganischen Stoffe gerade in diese Verbindung getreten sind, wie sie dem Zweck des Ganzen dienen, das werden wir durch keine Zergliederung der Erscheinungen, dnrch keine wissen¬ schaftliche Forschung überhaupt erfahren, denn ein Zweck — mag er nun voll¬ kommen oder unvollkommen erreicht sein — dentet immer auf eine Intelligenz hin, welche diesen Zweck sich vorgesetzt hat; ein Zweck erklärt sich nie ans mecha¬ nischen Prinzipien, die nnr solche Wirkungen erklären können, deren Ursachen vorausgegangen send, nicht aber solche, deren Ursache als zukünftiges Ziel er-., strebt wird. Ein solches Streben nach einem Ziel kennen wir mit Sicherheit nur in unserm eignen Intellekt, und wenn wir Grund haben, etwas ähnliches in andern Wesen anzunehmen, so können wir nur sagen, daß in ihnen auch eine Kraft wirksam sein müsse, die mit unserm eignen Intellekt Ähnlichkeit haben muß. Da dieselbe aber nicht selbst Erscheinung wird, so bleibt sie für uns nur immer ein ^»v^e,^^, und damit unerkennbar. Jeder Organismus ist also unserm wissenschaftlichen Erkennen soweit zugänglich, als er mechanischen Ge¬ setzen unterworfen ist. Auch die Form des Ganzen ist insoweit begreiflich, als sie von ihrem Inhalt, d. i. den Stoffen, aus deuen sie gebildet ist, abhängt. Aber es bleibt ein Grund, vou dem anch die Form abhängt, unerklärlich, näm¬ lich der Grund, aus welchem die Teile gerade so zusammengetreten und gemischt sind, daß alle dem Zweck des Ganzen dienen müssen. Wenn wir trotz dieses unerklärten Wesens in der Entstehung doch die Formen der organischen Wesen vorzugsweise benutzen, um das ganze Reich der Pflanzen und Tiere in eine systematische Ordnung und Übersicht zu bringen, so haben wir daran nnr ein regulatives Prinzip der Erkenntnis, kein konstitutives, welches uns alles bis ans deu letzte« Rest erklüreu mußte. Besondre Beachtung verdient noch das dem Vortrage vorangedruckte poetische Vorwort von Arthur Fitger, in welchem der Schatten Fausts Charles Darwin zum siebzigsten Geburtstag (12. Februar 1879) gratulire. Er bedauert lebhaft, daß er Darwin nicht bei Lebzeiten schon gekannt habe, denn er würde durch ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/384>, abgerufen am 26.06.2024.