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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Der Häckelismus auf der Naturforscherversammlung in Lisenach.

kein angenehmer Name, und er sucht ihn sichtlich zu vermeiden. Aber es lohnt'
zu untersuchen, ob sein Monismus etwas wesentlich andres sei.

Auf den ersten Blick erscheint es allerdings etwas ganz anderes, ob man
behauptet, daß die chemischen und Physikalischen Eigenschaften der Materie
Ursache aller geistigen Thätigkeiten seien, oder ob man mit Hückel sagt, daß die
Materie von vornherein nicht mir mechanische, sondern auch geistige Eigenschaften
habe; die Atome und Moleküle bei ihm haben bekanntlich eine Seele, und na¬
mentlich den Molekülen der organischen Materie wird der Besitz eines Gedächt¬
nisses zugeschrieben. Auf diese Weise ist also in dem System des Monismus
wenigstens der spezifische Unterschied zwischen mechanischen und geistigen Pro¬
zessen aufrecht erhalten. Wenn die Moleküle durch einen glücklichen Zufall zu
einer Gehirnsubstanz zusammengetreten sind, so kann sich aus ihrer Gedächtnis¬
fähigkeit ja vielleicht auch die Fähigkeit zu empfinden und zu denken entwickeln,
und das letztere wird doch nicht ohne weiteres mit dem mechanischen Hergang
einer Drüsenabsonderung identifizirt oder in Parallele gestellt, wie das der ge¬
meine Materialismus thut. Nun ist aber ein Gedächtnis nicht möglich ohne
einen Inhalt, dessen eben gedacht wird in der Erinnerung. Ein solcher Inhalt
kann aber nur durch Empfindung gegeben werden, also müssen die Moleküle,
wenn sie Gedächtnis haben sollen, jedenfalls mich Empfindung bilden. Auf
'Empfindung kann man aber nur dann schließen, wenn empfindliche Organe nach¬
zuweisen sind, diese sind wieder nicht ohne Bewegung möglich und nachweislich,
und so kommt es denn am Ende dahin, daß die kühne Erdichtung, die Mole¬
küle der organischen Materie hätten Gedächtnis, noch eine Menge weiterer Er¬
dichtungen zur Folge haben muß; entweder haben sie den ganzen transcenden¬
talen Apparat mit den Formen der Anschauung und des Denkens, den Kant
entdeckt hat, oder sie haben anch kein Gedächtnis. Denn wenn sie sich auch nur
des eignen Zustandes erinnern sollen, so können sie das nicht, ohne ihn em¬
pfunden zu haben.

Häckel nennt um zwar seine Naturphilosophie die kritische und glaubt ohne
Zweifel in Bezug auf den Urgrund der Welt mit Kant in Übereinstimmung zu
sein. Das ist aber ein großer Irrtum. Kant hat allerdings den Lehrbegriff
vom Ding an sich so formulirt, daß man sagen kumm, er habe es für unerkenn¬
bar erklärt. Aber er hat es niemals für den letzten Urgrund aller Dinge er¬
klärt, auch nicht für die Ursache aller Erscheinungen oder Empfindungen, sondern
er hat nur gesagt, daß wir es denken müssen, ohne jemals beweisen zu können,
daß es wirklich existire. Er hat es für einen gänzlich leeren Begriff erklärt,
nach dem in der Erfahrung niemals gefragt wird, und hat sich die größte Mühe
gegeben, zu zeigen, daß darin der Hauptfehler der dogmatischen Denkweise liegt,
daß wir immer geneigt sind, die Gegenstände der Erfahrung für Dinge an sich
zu halten, während die kritische Philosophie eben darin sich unterscheidet, daß
sie weiß, daß wir mir Erscheinungen erfahren können, und daß die Zergliede-


Der Häckelismus auf der Naturforscherversammlung in Lisenach.

kein angenehmer Name, und er sucht ihn sichtlich zu vermeiden. Aber es lohnt'
zu untersuchen, ob sein Monismus etwas wesentlich andres sei.

Auf den ersten Blick erscheint es allerdings etwas ganz anderes, ob man
behauptet, daß die chemischen und Physikalischen Eigenschaften der Materie
Ursache aller geistigen Thätigkeiten seien, oder ob man mit Hückel sagt, daß die
Materie von vornherein nicht mir mechanische, sondern auch geistige Eigenschaften
habe; die Atome und Moleküle bei ihm haben bekanntlich eine Seele, und na¬
mentlich den Molekülen der organischen Materie wird der Besitz eines Gedächt¬
nisses zugeschrieben. Auf diese Weise ist also in dem System des Monismus
wenigstens der spezifische Unterschied zwischen mechanischen und geistigen Pro¬
zessen aufrecht erhalten. Wenn die Moleküle durch einen glücklichen Zufall zu
einer Gehirnsubstanz zusammengetreten sind, so kann sich aus ihrer Gedächtnis¬
fähigkeit ja vielleicht auch die Fähigkeit zu empfinden und zu denken entwickeln,
und das letztere wird doch nicht ohne weiteres mit dem mechanischen Hergang
einer Drüsenabsonderung identifizirt oder in Parallele gestellt, wie das der ge¬
meine Materialismus thut. Nun ist aber ein Gedächtnis nicht möglich ohne
einen Inhalt, dessen eben gedacht wird in der Erinnerung. Ein solcher Inhalt
kann aber nur durch Empfindung gegeben werden, also müssen die Moleküle,
wenn sie Gedächtnis haben sollen, jedenfalls mich Empfindung bilden. Auf
'Empfindung kann man aber nur dann schließen, wenn empfindliche Organe nach¬
zuweisen sind, diese sind wieder nicht ohne Bewegung möglich und nachweislich,
und so kommt es denn am Ende dahin, daß die kühne Erdichtung, die Mole¬
küle der organischen Materie hätten Gedächtnis, noch eine Menge weiterer Er¬
dichtungen zur Folge haben muß; entweder haben sie den ganzen transcenden¬
talen Apparat mit den Formen der Anschauung und des Denkens, den Kant
entdeckt hat, oder sie haben anch kein Gedächtnis. Denn wenn sie sich auch nur
des eignen Zustandes erinnern sollen, so können sie das nicht, ohne ihn em¬
pfunden zu haben.

Häckel nennt um zwar seine Naturphilosophie die kritische und glaubt ohne
Zweifel in Bezug auf den Urgrund der Welt mit Kant in Übereinstimmung zu
sein. Das ist aber ein großer Irrtum. Kant hat allerdings den Lehrbegriff
vom Ding an sich so formulirt, daß man sagen kumm, er habe es für unerkenn¬
bar erklärt. Aber er hat es niemals für den letzten Urgrund aller Dinge er¬
klärt, auch nicht für die Ursache aller Erscheinungen oder Empfindungen, sondern
er hat nur gesagt, daß wir es denken müssen, ohne jemals beweisen zu können,
daß es wirklich existire. Er hat es für einen gänzlich leeren Begriff erklärt,
nach dem in der Erfahrung niemals gefragt wird, und hat sich die größte Mühe
gegeben, zu zeigen, daß darin der Hauptfehler der dogmatischen Denkweise liegt,
daß wir immer geneigt sind, die Gegenstände der Erfahrung für Dinge an sich
zu halten, während die kritische Philosophie eben darin sich unterscheidet, daß
sie weiß, daß wir mir Erscheinungen erfahren können, und daß die Zergliede-


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[0383] Der Häckelismus auf der Naturforscherversammlung in Lisenach. kein angenehmer Name, und er sucht ihn sichtlich zu vermeiden. Aber es lohnt' zu untersuchen, ob sein Monismus etwas wesentlich andres sei. Auf den ersten Blick erscheint es allerdings etwas ganz anderes, ob man behauptet, daß die chemischen und Physikalischen Eigenschaften der Materie Ursache aller geistigen Thätigkeiten seien, oder ob man mit Hückel sagt, daß die Materie von vornherein nicht mir mechanische, sondern auch geistige Eigenschaften habe; die Atome und Moleküle bei ihm haben bekanntlich eine Seele, und na¬ mentlich den Molekülen der organischen Materie wird der Besitz eines Gedächt¬ nisses zugeschrieben. Auf diese Weise ist also in dem System des Monismus wenigstens der spezifische Unterschied zwischen mechanischen und geistigen Pro¬ zessen aufrecht erhalten. Wenn die Moleküle durch einen glücklichen Zufall zu einer Gehirnsubstanz zusammengetreten sind, so kann sich aus ihrer Gedächtnis¬ fähigkeit ja vielleicht auch die Fähigkeit zu empfinden und zu denken entwickeln, und das letztere wird doch nicht ohne weiteres mit dem mechanischen Hergang einer Drüsenabsonderung identifizirt oder in Parallele gestellt, wie das der ge¬ meine Materialismus thut. Nun ist aber ein Gedächtnis nicht möglich ohne einen Inhalt, dessen eben gedacht wird in der Erinnerung. Ein solcher Inhalt kann aber nur durch Empfindung gegeben werden, also müssen die Moleküle, wenn sie Gedächtnis haben sollen, jedenfalls mich Empfindung bilden. Auf 'Empfindung kann man aber nur dann schließen, wenn empfindliche Organe nach¬ zuweisen sind, diese sind wieder nicht ohne Bewegung möglich und nachweislich, und so kommt es denn am Ende dahin, daß die kühne Erdichtung, die Mole¬ küle der organischen Materie hätten Gedächtnis, noch eine Menge weiterer Er¬ dichtungen zur Folge haben muß; entweder haben sie den ganzen transcenden¬ talen Apparat mit den Formen der Anschauung und des Denkens, den Kant entdeckt hat, oder sie haben anch kein Gedächtnis. Denn wenn sie sich auch nur des eignen Zustandes erinnern sollen, so können sie das nicht, ohne ihn em¬ pfunden zu haben. Häckel nennt um zwar seine Naturphilosophie die kritische und glaubt ohne Zweifel in Bezug auf den Urgrund der Welt mit Kant in Übereinstimmung zu sein. Das ist aber ein großer Irrtum. Kant hat allerdings den Lehrbegriff vom Ding an sich so formulirt, daß man sagen kumm, er habe es für unerkenn¬ bar erklärt. Aber er hat es niemals für den letzten Urgrund aller Dinge er¬ klärt, auch nicht für die Ursache aller Erscheinungen oder Empfindungen, sondern er hat nur gesagt, daß wir es denken müssen, ohne jemals beweisen zu können, daß es wirklich existire. Er hat es für einen gänzlich leeren Begriff erklärt, nach dem in der Erfahrung niemals gefragt wird, und hat sich die größte Mühe gegeben, zu zeigen, daß darin der Hauptfehler der dogmatischen Denkweise liegt, daß wir immer geneigt sind, die Gegenstände der Erfahrung für Dinge an sich zu halten, während die kritische Philosophie eben darin sich unterscheidet, daß sie weiß, daß wir mir Erscheinungen erfahren können, und daß die Zergliede-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/383>, abgerufen am 26.06.2024.