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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

ließ ihm keine Ruhe auf seiner Insel. Sein ungeheurer Einfluß auf die Jugend
und die Masse des Volkes wurde oft arg mißbraucht von schlauen Demagogen,
deren Einflüsterungen er voll naiven Glaubens an die Reinheit und Uneigen-
ntttzigkeit ihrer Absichten allzu vertrauensvoll sein Ohr lieh. Es ist fast ein
psychologisches Rätsel, wie der Mann, der im Kriege die versteckten Absichten
und Schachzüge des Gegners so trefflich zu durchschauen und zunichte zu machen
wußte, so leicht und so oft in die seiner Loyalität gestellte Falle ging. Als
er unter schweren Körperleiden allmählich darniedersank, mußte noch seine per¬
sönliche Gegenwart, wenn auch vom Krankenstuhle aus, oder doch wenigstens
der Zauber seines Namens dazu dienen, die Interessen der nationalen und inter¬
nationalen Demokratie zu fördern. Er selbst hatte, als die Zeit der Thaten
für ihn vorüber war, nur allzusehr die Neigung, in offenen Briefen und Mani¬
festen aller Art seinen Klagen, seinen getäuschten Hoffnungen, seinem Haß und
seiner Liebe Luft zu machen, und während er seine Ideale feierte, die Gegner
mit den heftigsten Angriffen in deu maßlosesten Ausdrücken zu verfolgen. Wohl
mögen wir diese Thorheiten, zu denen bittere Enttäuschungen den kranken Greis
hinrissen, als häßliche Flecken auf diesem Heldenbilde, wohl mögen wir es über¬
haupt beklagen, daß nicht eine der Chassepotkugeln bei Mendana ihn dahinraffte,
ehe die Schwächen und Leiden des Alters die Blüte seines Ruhmes knickten
und den Zeitgenossen das traurige Bild des 86rex Hu"zru1u8 zeigten. Sein
Schicksal war ein tragisches. Seine Ideale waren nicht die seiner Zeit und
seines Landes. Er war Republikaner und Freidenker, sein Land war monarchisch
und katholisch. Seine Vorstellungen von der sozialen Neugestaltung der Welt,
von den Verständige" als Hirngespinnst belächelt und verhöhnt, traten ihm in
den Bestrebungen der Sozialdemokraten und Kommnnarden in häßlich verzerrtem
Bilde entgegen, von dem er sich empört abwandte. So bemächtigte sich seiner
in den letzten Jahren immer mehr jene verdüsterte, pessimistische Stimmung, in
der ihm die ganze Welt als eine unverbesserlich verderbte, das eigue Leben als
ein vergebliches und verfehltes erschien.

Aber nicht in dieser traurigen Gestalt des geistig und körperlich gelähmten,
entmutigten Greises wird Giuseppe Garibaldi der Nachwelt erscheinen. In
seinein Volke, dem er Jahrzehnte lang der klassische Ausdruck, der verkörperte
Typus aller seiner edelsten Bestrebungen, Hoffnungen und Wünsche war, wird
er nur als der Held von Marsala fortleben. Wie sich jetzt in allen Gemeinden
seines Vaterlandes von den Alpen bis zum Ätna hin sein idealisirtes Bildnis
in Erz und Stein erhebt, so werden auch in der Erinnerung der kommenden
Generationen die Schwächen des Menschen von ihm abgefallen sein, die Flecken
von dem Bilde verschwinden. Ein Geschlecht wird dem andern in Lied und Ge¬
schichte von den wunderbaren Thaten des Nationalheros berichten, und auf
Jahrhunderte hinaus wird er der Jugend seines Volkes als ein begeisterndes,
zu großen Thaten spornendes Vorbild patriotischen Heldentums vorleuchten.


(Otto Sxeyer.
Giuseppe Garibaldi.

ließ ihm keine Ruhe auf seiner Insel. Sein ungeheurer Einfluß auf die Jugend
und die Masse des Volkes wurde oft arg mißbraucht von schlauen Demagogen,
deren Einflüsterungen er voll naiven Glaubens an die Reinheit und Uneigen-
ntttzigkeit ihrer Absichten allzu vertrauensvoll sein Ohr lieh. Es ist fast ein
psychologisches Rätsel, wie der Mann, der im Kriege die versteckten Absichten
und Schachzüge des Gegners so trefflich zu durchschauen und zunichte zu machen
wußte, so leicht und so oft in die seiner Loyalität gestellte Falle ging. Als
er unter schweren Körperleiden allmählich darniedersank, mußte noch seine per¬
sönliche Gegenwart, wenn auch vom Krankenstuhle aus, oder doch wenigstens
der Zauber seines Namens dazu dienen, die Interessen der nationalen und inter¬
nationalen Demokratie zu fördern. Er selbst hatte, als die Zeit der Thaten
für ihn vorüber war, nur allzusehr die Neigung, in offenen Briefen und Mani¬
festen aller Art seinen Klagen, seinen getäuschten Hoffnungen, seinem Haß und
seiner Liebe Luft zu machen, und während er seine Ideale feierte, die Gegner
mit den heftigsten Angriffen in deu maßlosesten Ausdrücken zu verfolgen. Wohl
mögen wir diese Thorheiten, zu denen bittere Enttäuschungen den kranken Greis
hinrissen, als häßliche Flecken auf diesem Heldenbilde, wohl mögen wir es über¬
haupt beklagen, daß nicht eine der Chassepotkugeln bei Mendana ihn dahinraffte,
ehe die Schwächen und Leiden des Alters die Blüte seines Ruhmes knickten
und den Zeitgenossen das traurige Bild des 86rex Hu«zru1u8 zeigten. Sein
Schicksal war ein tragisches. Seine Ideale waren nicht die seiner Zeit und
seines Landes. Er war Republikaner und Freidenker, sein Land war monarchisch
und katholisch. Seine Vorstellungen von der sozialen Neugestaltung der Welt,
von den Verständige» als Hirngespinnst belächelt und verhöhnt, traten ihm in
den Bestrebungen der Sozialdemokraten und Kommnnarden in häßlich verzerrtem
Bilde entgegen, von dem er sich empört abwandte. So bemächtigte sich seiner
in den letzten Jahren immer mehr jene verdüsterte, pessimistische Stimmung, in
der ihm die ganze Welt als eine unverbesserlich verderbte, das eigue Leben als
ein vergebliches und verfehltes erschien.

Aber nicht in dieser traurigen Gestalt des geistig und körperlich gelähmten,
entmutigten Greises wird Giuseppe Garibaldi der Nachwelt erscheinen. In
seinein Volke, dem er Jahrzehnte lang der klassische Ausdruck, der verkörperte
Typus aller seiner edelsten Bestrebungen, Hoffnungen und Wünsche war, wird
er nur als der Held von Marsala fortleben. Wie sich jetzt in allen Gemeinden
seines Vaterlandes von den Alpen bis zum Ätna hin sein idealisirtes Bildnis
in Erz und Stein erhebt, so werden auch in der Erinnerung der kommenden
Generationen die Schwächen des Menschen von ihm abgefallen sein, die Flecken
von dem Bilde verschwinden. Ein Geschlecht wird dem andern in Lied und Ge¬
schichte von den wunderbaren Thaten des Nationalheros berichten, und auf
Jahrhunderte hinaus wird er der Jugend seines Volkes als ein begeisterndes,
zu großen Thaten spornendes Vorbild patriotischen Heldentums vorleuchten.


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[0380] Giuseppe Garibaldi. ließ ihm keine Ruhe auf seiner Insel. Sein ungeheurer Einfluß auf die Jugend und die Masse des Volkes wurde oft arg mißbraucht von schlauen Demagogen, deren Einflüsterungen er voll naiven Glaubens an die Reinheit und Uneigen- ntttzigkeit ihrer Absichten allzu vertrauensvoll sein Ohr lieh. Es ist fast ein psychologisches Rätsel, wie der Mann, der im Kriege die versteckten Absichten und Schachzüge des Gegners so trefflich zu durchschauen und zunichte zu machen wußte, so leicht und so oft in die seiner Loyalität gestellte Falle ging. Als er unter schweren Körperleiden allmählich darniedersank, mußte noch seine per¬ sönliche Gegenwart, wenn auch vom Krankenstuhle aus, oder doch wenigstens der Zauber seines Namens dazu dienen, die Interessen der nationalen und inter¬ nationalen Demokratie zu fördern. Er selbst hatte, als die Zeit der Thaten für ihn vorüber war, nur allzusehr die Neigung, in offenen Briefen und Mani¬ festen aller Art seinen Klagen, seinen getäuschten Hoffnungen, seinem Haß und seiner Liebe Luft zu machen, und während er seine Ideale feierte, die Gegner mit den heftigsten Angriffen in deu maßlosesten Ausdrücken zu verfolgen. Wohl mögen wir diese Thorheiten, zu denen bittere Enttäuschungen den kranken Greis hinrissen, als häßliche Flecken auf diesem Heldenbilde, wohl mögen wir es über¬ haupt beklagen, daß nicht eine der Chassepotkugeln bei Mendana ihn dahinraffte, ehe die Schwächen und Leiden des Alters die Blüte seines Ruhmes knickten und den Zeitgenossen das traurige Bild des 86rex Hu«zru1u8 zeigten. Sein Schicksal war ein tragisches. Seine Ideale waren nicht die seiner Zeit und seines Landes. Er war Republikaner und Freidenker, sein Land war monarchisch und katholisch. Seine Vorstellungen von der sozialen Neugestaltung der Welt, von den Verständige» als Hirngespinnst belächelt und verhöhnt, traten ihm in den Bestrebungen der Sozialdemokraten und Kommnnarden in häßlich verzerrtem Bilde entgegen, von dem er sich empört abwandte. So bemächtigte sich seiner in den letzten Jahren immer mehr jene verdüsterte, pessimistische Stimmung, in der ihm die ganze Welt als eine unverbesserlich verderbte, das eigue Leben als ein vergebliches und verfehltes erschien. Aber nicht in dieser traurigen Gestalt des geistig und körperlich gelähmten, entmutigten Greises wird Giuseppe Garibaldi der Nachwelt erscheinen. In seinein Volke, dem er Jahrzehnte lang der klassische Ausdruck, der verkörperte Typus aller seiner edelsten Bestrebungen, Hoffnungen und Wünsche war, wird er nur als der Held von Marsala fortleben. Wie sich jetzt in allen Gemeinden seines Vaterlandes von den Alpen bis zum Ätna hin sein idealisirtes Bildnis in Erz und Stein erhebt, so werden auch in der Erinnerung der kommenden Generationen die Schwächen des Menschen von ihm abgefallen sein, die Flecken von dem Bilde verschwinden. Ein Geschlecht wird dem andern in Lied und Ge¬ schichte von den wunderbaren Thaten des Nationalheros berichten, und auf Jahrhunderte hinaus wird er der Jugend seines Volkes als ein begeisterndes, zu großen Thaten spornendes Vorbild patriotischen Heldentums vorleuchten. (Otto Sxeyer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/380>, abgerufen am 26.06.2024.