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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garilialdi.

menschlichen Kräften ausgestattet, seine Thaten und Schicksale über den Vereich
des Möglichen hinausgehoben erscheinen. Aber auch den nüchternen Historiker,
der die geschichtlichen Thatsachen sorgfältig von der vergrößernden Sage sondernd,
den Mann, seine Thaten und Schicksale auf ihr wirkliches, natürliches Maß
zurückführt, muß Staunen ergreifen, wenn er den wunderbar verschlungenen
Irrgängen dieses wechselvollen, abenteuerreichen Lebens nachspürt. Und ebenso
wunderbar wie seine Schicksale wird den nachgebornen Geschlechtern die Gestalt
des Helden selbst erscheinen. Dieser unverbesserliche Idealismus, der durch die
Welt geht, sie mit seinen Thaten erfüllend, ohne eine Ahnung von ihrer wirk¬
lichen Beschaffenheit zu haben, diese absolute Selbstverleugnung und Uneigen-
nützigkeit, diese vollständige Nichtachtung des eignen Vorteils, diese glühende
Vaterlands- und Menschenliebe, diese frische lebendige Thatenlust bis ins hohe
Alter, dieser unerschütterliche Mut, diese heitere Tapferkeit, diese Geringschätzig
des eignen Lebens, gepaart mit der höchsten Achtung und Schonung des Fremden,
selbst des Tieres und der Pflanze, diese sich nie verleugnende Herzensgüte, diese
reine Freude an der schönen Natur, diese wunderbare Verquickung einer hohen
Begabung als Soldat, wie als Führer im Kriege, zu Lande und zur See mit
der Naivetät eines Kindes, das unfähig, die realen Verhältnisse zu erkennen
und zu würdigen, das Mögliche von dem Unmöglichen zu scheiden, nach dem
Monde greift und die Sterne herabholen will, endlich diese bescheidene Demut
betreffs seiner eignen Verdienste, die doch, ihm selbst unbewußt, alsbald zu un¬
erträglicher Anmaßung umschlägt, wo es ihm gilt, seine idealen Zwecke und
Chimären zu predigen, zu fördern, gegen Angriffe zu verteidige" -- in welcher
historischen Persönlichkeit der modernen Zeiten finden wir diese Züge nur an¬
nähernd wieder vereinigt? Wohl mag uns Garibcildi oft als 1o Z-raunt mal8,
der große Einfältige, wie ihn Massimo d'Azcgliv nannte, erscheinen; aber in
dieser Einfalt selbst liegt zugleich eine einfache Größe, wie sie der modernen
Welt vollständig abhanden gekommen ist. Nur in der Welt des klassischen
Altertums mögen wir auf ähnliche Charakterköpfe stoßen, wenn auch die Pa¬
rallelen, die man zwischen ihm und Timoleon, dem jüngern Cato u. a. gezogen,
nur sehr teilweise Berechtigung haben.

Es ist klar, daß ein solcher Mann, der in jedem Augenblicke bereit war,
mit seiner ganzen Persönlichkeit, mit allem, was er war und hatte, für die Ver¬
wirklichung seiner Ideale einzutreten, dabei zugleich der Abgott seines Volkes,
in solch ungewöhnlichen Zeiten, wo es zur Neuschöpfung eiues Nationalstaates,
jn man könnte fast sagen, einer Nation auch außergewöhnlicher Männer und
Thaten bedürfte, großes zu verrichte" berufen war. Es ist nicht minder klar,
daß derselbe Mann, sobald geordnete Staatszustände eingetreten waren, eine
große Gefahr, ein bedenkliches Hindernis einer ruhigen stetigen Entwicklung
werden mußte. Sein ungeduldiges Streben erst nach der Vollendung des
nationalen, dann des politischen und sozialen Ideals, wie es ihm vorschwebte,


Giuseppe Garilialdi.

menschlichen Kräften ausgestattet, seine Thaten und Schicksale über den Vereich
des Möglichen hinausgehoben erscheinen. Aber auch den nüchternen Historiker,
der die geschichtlichen Thatsachen sorgfältig von der vergrößernden Sage sondernd,
den Mann, seine Thaten und Schicksale auf ihr wirkliches, natürliches Maß
zurückführt, muß Staunen ergreifen, wenn er den wunderbar verschlungenen
Irrgängen dieses wechselvollen, abenteuerreichen Lebens nachspürt. Und ebenso
wunderbar wie seine Schicksale wird den nachgebornen Geschlechtern die Gestalt
des Helden selbst erscheinen. Dieser unverbesserliche Idealismus, der durch die
Welt geht, sie mit seinen Thaten erfüllend, ohne eine Ahnung von ihrer wirk¬
lichen Beschaffenheit zu haben, diese absolute Selbstverleugnung und Uneigen-
nützigkeit, diese vollständige Nichtachtung des eignen Vorteils, diese glühende
Vaterlands- und Menschenliebe, diese frische lebendige Thatenlust bis ins hohe
Alter, dieser unerschütterliche Mut, diese heitere Tapferkeit, diese Geringschätzig
des eignen Lebens, gepaart mit der höchsten Achtung und Schonung des Fremden,
selbst des Tieres und der Pflanze, diese sich nie verleugnende Herzensgüte, diese
reine Freude an der schönen Natur, diese wunderbare Verquickung einer hohen
Begabung als Soldat, wie als Führer im Kriege, zu Lande und zur See mit
der Naivetät eines Kindes, das unfähig, die realen Verhältnisse zu erkennen
und zu würdigen, das Mögliche von dem Unmöglichen zu scheiden, nach dem
Monde greift und die Sterne herabholen will, endlich diese bescheidene Demut
betreffs seiner eignen Verdienste, die doch, ihm selbst unbewußt, alsbald zu un¬
erträglicher Anmaßung umschlägt, wo es ihm gilt, seine idealen Zwecke und
Chimären zu predigen, zu fördern, gegen Angriffe zu verteidige» — in welcher
historischen Persönlichkeit der modernen Zeiten finden wir diese Züge nur an¬
nähernd wieder vereinigt? Wohl mag uns Garibcildi oft als 1o Z-raunt mal8,
der große Einfältige, wie ihn Massimo d'Azcgliv nannte, erscheinen; aber in
dieser Einfalt selbst liegt zugleich eine einfache Größe, wie sie der modernen
Welt vollständig abhanden gekommen ist. Nur in der Welt des klassischen
Altertums mögen wir auf ähnliche Charakterköpfe stoßen, wenn auch die Pa¬
rallelen, die man zwischen ihm und Timoleon, dem jüngern Cato u. a. gezogen,
nur sehr teilweise Berechtigung haben.

Es ist klar, daß ein solcher Mann, der in jedem Augenblicke bereit war,
mit seiner ganzen Persönlichkeit, mit allem, was er war und hatte, für die Ver¬
wirklichung seiner Ideale einzutreten, dabei zugleich der Abgott seines Volkes,
in solch ungewöhnlichen Zeiten, wo es zur Neuschöpfung eiues Nationalstaates,
jn man könnte fast sagen, einer Nation auch außergewöhnlicher Männer und
Thaten bedürfte, großes zu verrichte» berufen war. Es ist nicht minder klar,
daß derselbe Mann, sobald geordnete Staatszustände eingetreten waren, eine
große Gefahr, ein bedenkliches Hindernis einer ruhigen stetigen Entwicklung
werden mußte. Sein ungeduldiges Streben erst nach der Vollendung des
nationalen, dann des politischen und sozialen Ideals, wie es ihm vorschwebte,


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[0379] Giuseppe Garilialdi. menschlichen Kräften ausgestattet, seine Thaten und Schicksale über den Vereich des Möglichen hinausgehoben erscheinen. Aber auch den nüchternen Historiker, der die geschichtlichen Thatsachen sorgfältig von der vergrößernden Sage sondernd, den Mann, seine Thaten und Schicksale auf ihr wirkliches, natürliches Maß zurückführt, muß Staunen ergreifen, wenn er den wunderbar verschlungenen Irrgängen dieses wechselvollen, abenteuerreichen Lebens nachspürt. Und ebenso wunderbar wie seine Schicksale wird den nachgebornen Geschlechtern die Gestalt des Helden selbst erscheinen. Dieser unverbesserliche Idealismus, der durch die Welt geht, sie mit seinen Thaten erfüllend, ohne eine Ahnung von ihrer wirk¬ lichen Beschaffenheit zu haben, diese absolute Selbstverleugnung und Uneigen- nützigkeit, diese vollständige Nichtachtung des eignen Vorteils, diese glühende Vaterlands- und Menschenliebe, diese frische lebendige Thatenlust bis ins hohe Alter, dieser unerschütterliche Mut, diese heitere Tapferkeit, diese Geringschätzig des eignen Lebens, gepaart mit der höchsten Achtung und Schonung des Fremden, selbst des Tieres und der Pflanze, diese sich nie verleugnende Herzensgüte, diese reine Freude an der schönen Natur, diese wunderbare Verquickung einer hohen Begabung als Soldat, wie als Führer im Kriege, zu Lande und zur See mit der Naivetät eines Kindes, das unfähig, die realen Verhältnisse zu erkennen und zu würdigen, das Mögliche von dem Unmöglichen zu scheiden, nach dem Monde greift und die Sterne herabholen will, endlich diese bescheidene Demut betreffs seiner eignen Verdienste, die doch, ihm selbst unbewußt, alsbald zu un¬ erträglicher Anmaßung umschlägt, wo es ihm gilt, seine idealen Zwecke und Chimären zu predigen, zu fördern, gegen Angriffe zu verteidige» — in welcher historischen Persönlichkeit der modernen Zeiten finden wir diese Züge nur an¬ nähernd wieder vereinigt? Wohl mag uns Garibcildi oft als 1o Z-raunt mal8, der große Einfältige, wie ihn Massimo d'Azcgliv nannte, erscheinen; aber in dieser Einfalt selbst liegt zugleich eine einfache Größe, wie sie der modernen Welt vollständig abhanden gekommen ist. Nur in der Welt des klassischen Altertums mögen wir auf ähnliche Charakterköpfe stoßen, wenn auch die Pa¬ rallelen, die man zwischen ihm und Timoleon, dem jüngern Cato u. a. gezogen, nur sehr teilweise Berechtigung haben. Es ist klar, daß ein solcher Mann, der in jedem Augenblicke bereit war, mit seiner ganzen Persönlichkeit, mit allem, was er war und hatte, für die Ver¬ wirklichung seiner Ideale einzutreten, dabei zugleich der Abgott seines Volkes, in solch ungewöhnlichen Zeiten, wo es zur Neuschöpfung eiues Nationalstaates, jn man könnte fast sagen, einer Nation auch außergewöhnlicher Männer und Thaten bedürfte, großes zu verrichte» berufen war. Es ist nicht minder klar, daß derselbe Mann, sobald geordnete Staatszustände eingetreten waren, eine große Gefahr, ein bedenkliches Hindernis einer ruhigen stetigen Entwicklung werden mußte. Sein ungeduldiges Streben erst nach der Vollendung des nationalen, dann des politischen und sozialen Ideals, wie es ihm vorschwebte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/379>, abgerufen am 26.06.2024.