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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

sorge, daß sie immer Nahrung finden." Es waren die letzten Worte, die er
vernehmlich sprach.

Dasselbe Herzensbedürfnis, das ihn an eine innere Wesensgleichheit, ein
gegenseitiges Seelenverständnis mit allem, was lebte, glauben ließ, lag auch
seinem Glauben an Unsterblichkeit zu Grunde. Wir wissen, mit welch schwär¬
merischer Liebe und Verehrung er um seiner Mutter hing, so lange sie am Leben
war, und mit welch unwandelbarer Treue er ihr Andenken bewahrte. Wenn
ihm der Tod nahe trat, in dem Krachen des Schiffbrnchs, im Handgemenge
der Schlacht, sah er seine sürbittende Mutter vor Gott auf den Knien liegen
und "glaubte an die Kraft ihres Gebetes." "Nach ihrem Tode, erzählt er,
habe ich sie oft gesehen, nicht nur im Traume, sondern anch im wachen Zu¬
stande am hellen Mittag, wie sie dastand in ihrem einfachen Kleide und mir
zulächelte mit dein Lächeln der Engel. Und ist dieser immaterielle Verkehr der
Augen mit der Seele nicht ein genügender Beweis der Unsterblichkeit derselben?"

Vom Küstenschisfer, heimatlosen Verschwörer und zum Tode verurteilten
Deserteur zum Eroberer und Diktator Unteritaliens sich erhebend und, ein
zweiter Cincinnatus, wieder als Privatmann ans seine einsame Insel zurückkeh¬
rend, um dort seinen Kohl zu bauen, bald im Orient, bald im Occident hei¬
misch, abwechselnd Handelsmann, Kapitän eines Kaperschiffes, Schulmeister,
Guerillasührer, Admiral, Viehtreiber, General, Lichterzieher, Diktator und Acker¬
bauer, durfte Giuseppe Garibaldi wie kaum irgend ein andrer das rut nuintmi
g. rio -tlikuuin auf sich anwenden. Wie er den Fuß auf den Boden aller Welt¬
teile gesetzt hatte, so gab es keine Schicht der Bevölkerung, keinen Rang der
menschliche" Gesellschaft, denen er nicht vorübergehend angehört hätte, vom
pfennigloscn Bettler bis zum Herrscher über Millionen, bald in einer Bretter¬
oder Reisighütte, bald in Palästen wohnend, auf dem nackten Erdboden und in
den Gemächern der Könige schlafend. Mit vollem Rechte lassen sich auf ihn
die Worte des Dichters anwenden: Alles hat er erfahren: den Ruhm vergrößert
dnrch Gefahre", den Sieg und die Flucht, die Königsburg und die Verbannung,
zweimal im Staube, zweimal auf den Altären/")

So erscheint sein Lebenslauf gleich einer wunderbaren Heldensage der Vor¬
zeit. Schon umspinnt ihn die Volkstradition mit deu schimmernden Füdeu des
Mythus; schon ertönen in den Hütten Unteritaliens und Siziliens die Rhapsodien
einer Garibaldi-Epopöe, in der der Heros zum Halbgott geworden, mit über-



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Duo voies nollu, xolvoro,
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Manzoitt, II 5 fünfte Antistrvphe.
Giuseppe Garibaldi.

sorge, daß sie immer Nahrung finden." Es waren die letzten Worte, die er
vernehmlich sprach.

Dasselbe Herzensbedürfnis, das ihn an eine innere Wesensgleichheit, ein
gegenseitiges Seelenverständnis mit allem, was lebte, glauben ließ, lag auch
seinem Glauben an Unsterblichkeit zu Grunde. Wir wissen, mit welch schwär¬
merischer Liebe und Verehrung er um seiner Mutter hing, so lange sie am Leben
war, und mit welch unwandelbarer Treue er ihr Andenken bewahrte. Wenn
ihm der Tod nahe trat, in dem Krachen des Schiffbrnchs, im Handgemenge
der Schlacht, sah er seine sürbittende Mutter vor Gott auf den Knien liegen
und „glaubte an die Kraft ihres Gebetes." „Nach ihrem Tode, erzählt er,
habe ich sie oft gesehen, nicht nur im Traume, sondern anch im wachen Zu¬
stande am hellen Mittag, wie sie dastand in ihrem einfachen Kleide und mir
zulächelte mit dein Lächeln der Engel. Und ist dieser immaterielle Verkehr der
Augen mit der Seele nicht ein genügender Beweis der Unsterblichkeit derselben?"

Vom Küstenschisfer, heimatlosen Verschwörer und zum Tode verurteilten
Deserteur zum Eroberer und Diktator Unteritaliens sich erhebend und, ein
zweiter Cincinnatus, wieder als Privatmann ans seine einsame Insel zurückkeh¬
rend, um dort seinen Kohl zu bauen, bald im Orient, bald im Occident hei¬
misch, abwechselnd Handelsmann, Kapitän eines Kaperschiffes, Schulmeister,
Guerillasührer, Admiral, Viehtreiber, General, Lichterzieher, Diktator und Acker¬
bauer, durfte Giuseppe Garibaldi wie kaum irgend ein andrer das rut nuintmi
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teile gesetzt hatte, so gab es keine Schicht der Bevölkerung, keinen Rang der
menschliche« Gesellschaft, denen er nicht vorübergehend angehört hätte, vom
pfennigloscn Bettler bis zum Herrscher über Millionen, bald in einer Bretter¬
oder Reisighütte, bald in Palästen wohnend, auf dem nackten Erdboden und in
den Gemächern der Könige schlafend. Mit vollem Rechte lassen sich auf ihn
die Worte des Dichters anwenden: Alles hat er erfahren: den Ruhm vergrößert
dnrch Gefahre», den Sieg und die Flucht, die Königsburg und die Verbannung,
zweimal im Staube, zweimal auf den Altären/")

So erscheint sein Lebenslauf gleich einer wunderbaren Heldensage der Vor¬
zeit. Schon umspinnt ihn die Volkstradition mit deu schimmernden Füdeu des
Mythus; schon ertönen in den Hütten Unteritaliens und Siziliens die Rhapsodien
einer Garibaldi-Epopöe, in der der Heros zum Halbgott geworden, mit über-



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[0378] Giuseppe Garibaldi. sorge, daß sie immer Nahrung finden." Es waren die letzten Worte, die er vernehmlich sprach. Dasselbe Herzensbedürfnis, das ihn an eine innere Wesensgleichheit, ein gegenseitiges Seelenverständnis mit allem, was lebte, glauben ließ, lag auch seinem Glauben an Unsterblichkeit zu Grunde. Wir wissen, mit welch schwär¬ merischer Liebe und Verehrung er um seiner Mutter hing, so lange sie am Leben war, und mit welch unwandelbarer Treue er ihr Andenken bewahrte. Wenn ihm der Tod nahe trat, in dem Krachen des Schiffbrnchs, im Handgemenge der Schlacht, sah er seine sürbittende Mutter vor Gott auf den Knien liegen und „glaubte an die Kraft ihres Gebetes." „Nach ihrem Tode, erzählt er, habe ich sie oft gesehen, nicht nur im Traume, sondern anch im wachen Zu¬ stande am hellen Mittag, wie sie dastand in ihrem einfachen Kleide und mir zulächelte mit dein Lächeln der Engel. Und ist dieser immaterielle Verkehr der Augen mit der Seele nicht ein genügender Beweis der Unsterblichkeit derselben?" Vom Küstenschisfer, heimatlosen Verschwörer und zum Tode verurteilten Deserteur zum Eroberer und Diktator Unteritaliens sich erhebend und, ein zweiter Cincinnatus, wieder als Privatmann ans seine einsame Insel zurückkeh¬ rend, um dort seinen Kohl zu bauen, bald im Orient, bald im Occident hei¬ misch, abwechselnd Handelsmann, Kapitän eines Kaperschiffes, Schulmeister, Guerillasührer, Admiral, Viehtreiber, General, Lichterzieher, Diktator und Acker¬ bauer, durfte Giuseppe Garibaldi wie kaum irgend ein andrer das rut nuintmi g. rio -tlikuuin auf sich anwenden. Wie er den Fuß auf den Boden aller Welt¬ teile gesetzt hatte, so gab es keine Schicht der Bevölkerung, keinen Rang der menschliche« Gesellschaft, denen er nicht vorübergehend angehört hätte, vom pfennigloscn Bettler bis zum Herrscher über Millionen, bald in einer Bretter¬ oder Reisighütte, bald in Palästen wohnend, auf dem nackten Erdboden und in den Gemächern der Könige schlafend. Mit vollem Rechte lassen sich auf ihn die Worte des Dichters anwenden: Alles hat er erfahren: den Ruhm vergrößert dnrch Gefahre», den Sieg und die Flucht, die Königsburg und die Verbannung, zweimal im Staube, zweimal auf den Altären/") So erscheint sein Lebenslauf gleich einer wunderbaren Heldensage der Vor¬ zeit. Schon umspinnt ihn die Volkstradition mit deu schimmernden Füdeu des Mythus; schon ertönen in den Hütten Unteritaliens und Siziliens die Rhapsodien einer Garibaldi-Epopöe, in der der Heros zum Halbgott geworden, mit über- "tutto ol xrovö: I» ^loi'iÄ N^Wior <Ioxo it xoriAlio; Ivg, kng'ii, » 1a vlitoris,, I^i» rsg'g'is. o it iristo osiAlio: Duo voies nollu, xolvoro, I)no voies suM Ältiar. Manzoitt, II 5 fünfte Antistrvphe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/378>, abgerufen am 26.06.2024.