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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

gethan haben möchtet; und: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein
auf den Sünder. Symbol der Brüderlichkeit die erste Lehre, Symbol der Ver¬
gebung die zweite -- Symbole. Vorschriften, Lehren, die, von den Menschen
geübt, jenen Grad von Vollkommenheit und Wohlfahrt darstellen würden, den
zu erreiche" überhaupt möglich ist."

Wir sehen, Garibaldis Religion ist ein vielmehr auf Gefühlsanschauung
und Herzensbedürfnis als auf verständiges Räsonnement gegründeter sentimen¬
taler Pantheismus. "Meine Seele, heißt es in einem I/^nirnÄ überschriebenen
Kapitel seiner Memoiren, ist ein Atom der Seele des Universums, und dieser
Glaube veredelt mich, erhebt mich über den elenden Materialismus, flößt mir
Achtung für die andern Atome als Emanationen Gottes ein, und treibt mich
an, den Beifall aller der Atome zu verdienen, die mir gleichen, und die mehr
durch das Beispiel als durch die Lehre Gutes wirken sollen, weil sie ihrem
Wesen nach (per LWvnW) dem ewigen Wohlthäter angehören." Die Liebe zu
allen lebenden Wesen, die er so im letzten Grnnde als seinesgleichen betrachtete,
war ihm tief in die Seele gepflanzt. Wie er das Pferd liebte, das ihn bei
seinem Nomadenleben in den Grassteppen Südamerikas trug, wie er für das¬
selbe sorgte, ehe er an sich selbst dachte, wie er den treuen Hund Castor, der
den Verbannten an der afrikanischen Küste begleitete und der, als Garibaldi,
nach Amerika segelnd, ihn zurücklassen mußte, vor Kummer um den geliebten
Herrn jede Nahrung zurückwies bis zum Tode, als einen Freund beweinte, so
pflegte er auch mit zartester Sorgfalt seine Pflanzen, und es war ihm, wenn
sie die welkenden Häupter erfrischt wieder aufrichteten, als blickten sie ihn mit
einem dankbaren Lächeln an. "Die Seele der armen Pflanzen stand in
Verkehr mit der meinigen, und wenn ich fern von ihnen auf diesem Meere des
Elends umhergeworfen werde, gedenke ich ihrer und fühle mich wunderbar er¬
leichtert und erhoben (Le>1l"zö-ito)."

Von seiner Liebe und seinem Erbarmen für die Tiere sind uns rührende
Züge aufbewahrt. Einst hörte er, ans dem Schlafe erwachend, mitten in einer
jener rauhen und stürmischen Winternächte, wie sie auf Caprera so häufig waren,
das ängstliche Blöken eines verirrten Lammes. Ohne Besinnen stand er auf,
suchte, des Unwetters uicht achtend, das halberfrorene Geschöpf, trug es in seine
Kammer und bereitete ihm hier ein warmes Lager. Als er aus dem Sterbe¬
bette lag, setzte sich ein munteres Pärchen jener zierlichen schwarzbändiger Gras¬
mücken/") das ihn zu besuchen pflegte, auf deu offenen Balkon, und das Männchen
ließ seinen helltönenden Gesang erschallen. Seine Gattin wollte sie verjagen;
aber der Sterbende sprach mit schwacher Stimme: "Laß sie, es sind vielleicht
die Seelen meiner beiden Mädchen, die mich vor dem Tode noch begrüßen
wollen. Wenn ich nicht mehr bin, empfehle ich sie dir; verlaß sie nicht und



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Giuseppe Garibaldi.

gethan haben möchtet; und: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein
auf den Sünder. Symbol der Brüderlichkeit die erste Lehre, Symbol der Ver¬
gebung die zweite — Symbole. Vorschriften, Lehren, die, von den Menschen
geübt, jenen Grad von Vollkommenheit und Wohlfahrt darstellen würden, den
zu erreiche« überhaupt möglich ist."

Wir sehen, Garibaldis Religion ist ein vielmehr auf Gefühlsanschauung
und Herzensbedürfnis als auf verständiges Räsonnement gegründeter sentimen¬
taler Pantheismus. „Meine Seele, heißt es in einem I/^nirnÄ überschriebenen
Kapitel seiner Memoiren, ist ein Atom der Seele des Universums, und dieser
Glaube veredelt mich, erhebt mich über den elenden Materialismus, flößt mir
Achtung für die andern Atome als Emanationen Gottes ein, und treibt mich
an, den Beifall aller der Atome zu verdienen, die mir gleichen, und die mehr
durch das Beispiel als durch die Lehre Gutes wirken sollen, weil sie ihrem
Wesen nach (per LWvnW) dem ewigen Wohlthäter angehören." Die Liebe zu
allen lebenden Wesen, die er so im letzten Grnnde als seinesgleichen betrachtete,
war ihm tief in die Seele gepflanzt. Wie er das Pferd liebte, das ihn bei
seinem Nomadenleben in den Grassteppen Südamerikas trug, wie er für das¬
selbe sorgte, ehe er an sich selbst dachte, wie er den treuen Hund Castor, der
den Verbannten an der afrikanischen Küste begleitete und der, als Garibaldi,
nach Amerika segelnd, ihn zurücklassen mußte, vor Kummer um den geliebten
Herrn jede Nahrung zurückwies bis zum Tode, als einen Freund beweinte, so
pflegte er auch mit zartester Sorgfalt seine Pflanzen, und es war ihm, wenn
sie die welkenden Häupter erfrischt wieder aufrichteten, als blickten sie ihn mit
einem dankbaren Lächeln an. „Die Seele der armen Pflanzen stand in
Verkehr mit der meinigen, und wenn ich fern von ihnen auf diesem Meere des
Elends umhergeworfen werde, gedenke ich ihrer und fühle mich wunderbar er¬
leichtert und erhoben (Le>1l«zö-ito)."

Von seiner Liebe und seinem Erbarmen für die Tiere sind uns rührende
Züge aufbewahrt. Einst hörte er, ans dem Schlafe erwachend, mitten in einer
jener rauhen und stürmischen Winternächte, wie sie auf Caprera so häufig waren,
das ängstliche Blöken eines verirrten Lammes. Ohne Besinnen stand er auf,
suchte, des Unwetters uicht achtend, das halberfrorene Geschöpf, trug es in seine
Kammer und bereitete ihm hier ein warmes Lager. Als er aus dem Sterbe¬
bette lag, setzte sich ein munteres Pärchen jener zierlichen schwarzbändiger Gras¬
mücken/") das ihn zu besuchen pflegte, auf deu offenen Balkon, und das Männchen
ließ seinen helltönenden Gesang erschallen. Seine Gattin wollte sie verjagen;
aber der Sterbende sprach mit schwacher Stimme: „Laß sie, es sind vielleicht
die Seelen meiner beiden Mädchen, die mich vor dem Tode noch begrüßen
wollen. Wenn ich nicht mehr bin, empfehle ich sie dir; verlaß sie nicht und



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[0377] Giuseppe Garibaldi. gethan haben möchtet; und: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf den Sünder. Symbol der Brüderlichkeit die erste Lehre, Symbol der Ver¬ gebung die zweite — Symbole. Vorschriften, Lehren, die, von den Menschen geübt, jenen Grad von Vollkommenheit und Wohlfahrt darstellen würden, den zu erreiche« überhaupt möglich ist." Wir sehen, Garibaldis Religion ist ein vielmehr auf Gefühlsanschauung und Herzensbedürfnis als auf verständiges Räsonnement gegründeter sentimen¬ taler Pantheismus. „Meine Seele, heißt es in einem I/^nirnÄ überschriebenen Kapitel seiner Memoiren, ist ein Atom der Seele des Universums, und dieser Glaube veredelt mich, erhebt mich über den elenden Materialismus, flößt mir Achtung für die andern Atome als Emanationen Gottes ein, und treibt mich an, den Beifall aller der Atome zu verdienen, die mir gleichen, und die mehr durch das Beispiel als durch die Lehre Gutes wirken sollen, weil sie ihrem Wesen nach (per LWvnW) dem ewigen Wohlthäter angehören." Die Liebe zu allen lebenden Wesen, die er so im letzten Grnnde als seinesgleichen betrachtete, war ihm tief in die Seele gepflanzt. Wie er das Pferd liebte, das ihn bei seinem Nomadenleben in den Grassteppen Südamerikas trug, wie er für das¬ selbe sorgte, ehe er an sich selbst dachte, wie er den treuen Hund Castor, der den Verbannten an der afrikanischen Küste begleitete und der, als Garibaldi, nach Amerika segelnd, ihn zurücklassen mußte, vor Kummer um den geliebten Herrn jede Nahrung zurückwies bis zum Tode, als einen Freund beweinte, so pflegte er auch mit zartester Sorgfalt seine Pflanzen, und es war ihm, wenn sie die welkenden Häupter erfrischt wieder aufrichteten, als blickten sie ihn mit einem dankbaren Lächeln an. „Die Seele der armen Pflanzen stand in Verkehr mit der meinigen, und wenn ich fern von ihnen auf diesem Meere des Elends umhergeworfen werde, gedenke ich ihrer und fühle mich wunderbar er¬ leichtert und erhoben (Le>1l«zö-ito)." Von seiner Liebe und seinem Erbarmen für die Tiere sind uns rührende Züge aufbewahrt. Einst hörte er, ans dem Schlafe erwachend, mitten in einer jener rauhen und stürmischen Winternächte, wie sie auf Caprera so häufig waren, das ängstliche Blöken eines verirrten Lammes. Ohne Besinnen stand er auf, suchte, des Unwetters uicht achtend, das halberfrorene Geschöpf, trug es in seine Kammer und bereitete ihm hier ein warmes Lager. Als er aus dem Sterbe¬ bette lag, setzte sich ein munteres Pärchen jener zierlichen schwarzbändiger Gras¬ mücken/") das ihn zu besuchen pflegte, auf deu offenen Balkon, und das Männchen ließ seinen helltönenden Gesang erschallen. Seine Gattin wollte sie verjagen; aber der Sterbende sprach mit schwacher Stimme: „Laß sie, es sind vielleicht die Seelen meiner beiden Mädchen, die mich vor dem Tode noch begrüßen wollen. Wenn ich nicht mehr bin, empfehle ich sie dir; verlaß sie nicht und Lylvik -».trivÄxill» I,.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/377>, abgerufen am 26.06.2024.