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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

auf Schritt und Tritt entgegentrat, ein Wahnglaube, der ihn selbst bald als
guten, bald als bösen Dämon zu einem übermenschlichen Wesen stempeln wollte,
dem er selbst, wollte er nicht allen Einfluß auf die Bevölkerung einbüßen, zähne¬
knirschend Konzessionen zu machen gewnngeu war, erregte seine tiefste und hef¬
tigste Empörung: "Der Aberglaube, dieses Ungeheuer der Hölle, schwebt noch
über dieser Welt, und gleich der alten Hydra wird er immer von neuem auf¬
erweckt in der scheußlichen Bude des Priesters."^)

Wenn wir aber schon von vornherein voraussetzen dürfen, daß ein Mensch,
dessen ganzes inneres und äußeres Leben von einem idealen Geiste beseelt und
erfüllt ist, der die ganze Menschheit mit inniger Liebe umfaßt, der die uneigen-
uützigste Opferwilligkeit besitzt, der seine Armut mit den Armen teilt, der stets
bereit ist, sein Leben für ein fremdes in die Schanze zu schlagen, nicht irreligiös
sein kann, so bestätigt uns das, außer vielen andern von ihm bewahrten Äuße¬
rungen in Wort und Schrift, ein von seinem Biographen Guerzoui überliefertes
Fragment seiner Memoiren über die wahre Religion, welches beweist, wie sich
in ihm pantheistische Ideen mit den Grundanschauungen der christlichen Ethik
verbanden.

"Wer ist Gott?" heißt es darin. "Ich weiß davon soviel wie ein Priester,
aber als ein Apostel der Wahrheit antworte ich: Ich weiß es nicht. . . . Wer
ist Gott? Der Regierer der Welt ... ja, jene unendliche Intelligenz, die"
jeder, der den Blick in den Weltraum wirft und die staunenswerte Harmonie
betrachtet, die dort herrscht, bekennen muß." Und nun setzt er seine Auffassung
des Verhältnisses der eignen Individualität zur Gottheit auseinander. "Mein
Körper ist beseelt, wie die Millionen von Wesen beseelt sind, die auf dem Lande,
im Wasser, im unendlichen Raume wohnen. Mit allen diesen Wesen bin ich
also mit einer gewissen Intelligenz begabt, und wenn die universelle Intelligenz,
die das Ganze beseelt, Gott wäre, so besäße ich also einen beseelenden Funken,
einen Ausfluß Gottes, und wäre also zwar nur ein unendlich kleiner Teil
der Gottheit, aber doch ein Teil. Diese Idee erhebt mich; sie befriedigt mich,
sie macht Etwas aus meinem Nichts und trägt dazu bei, mich in der Erbärm¬
lichkeit dieses Daseins aufrecht zu halten..... Einfach, schön, erhaben ist die
wahre Religion (1^ rkli^lone ciel v"zro); es ist die Religion Christi, denn die
ganze Lehre Christi stützt sich auf die ewige Wahrheit: der Mensch ist dem
Menschen gleich von Geburt. Daher: Thut uicht andern, was ihr euch nicht



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Aus einem Gedicht an Victor Hugo (datirt von Caprera, Dezember 1867) als Erwiederung
auf dessen Voix an> duvrnssoy.
Giuseppe Garibaldi.

auf Schritt und Tritt entgegentrat, ein Wahnglaube, der ihn selbst bald als
guten, bald als bösen Dämon zu einem übermenschlichen Wesen stempeln wollte,
dem er selbst, wollte er nicht allen Einfluß auf die Bevölkerung einbüßen, zähne¬
knirschend Konzessionen zu machen gewnngeu war, erregte seine tiefste und hef¬
tigste Empörung: „Der Aberglaube, dieses Ungeheuer der Hölle, schwebt noch
über dieser Welt, und gleich der alten Hydra wird er immer von neuem auf¬
erweckt in der scheußlichen Bude des Priesters."^)

Wenn wir aber schon von vornherein voraussetzen dürfen, daß ein Mensch,
dessen ganzes inneres und äußeres Leben von einem idealen Geiste beseelt und
erfüllt ist, der die ganze Menschheit mit inniger Liebe umfaßt, der die uneigen-
uützigste Opferwilligkeit besitzt, der seine Armut mit den Armen teilt, der stets
bereit ist, sein Leben für ein fremdes in die Schanze zu schlagen, nicht irreligiös
sein kann, so bestätigt uns das, außer vielen andern von ihm bewahrten Äuße¬
rungen in Wort und Schrift, ein von seinem Biographen Guerzoui überliefertes
Fragment seiner Memoiren über die wahre Religion, welches beweist, wie sich
in ihm pantheistische Ideen mit den Grundanschauungen der christlichen Ethik
verbanden.

„Wer ist Gott?" heißt es darin. „Ich weiß davon soviel wie ein Priester,
aber als ein Apostel der Wahrheit antworte ich: Ich weiß es nicht. . . . Wer
ist Gott? Der Regierer der Welt ... ja, jene unendliche Intelligenz, die"
jeder, der den Blick in den Weltraum wirft und die staunenswerte Harmonie
betrachtet, die dort herrscht, bekennen muß." Und nun setzt er seine Auffassung
des Verhältnisses der eignen Individualität zur Gottheit auseinander. „Mein
Körper ist beseelt, wie die Millionen von Wesen beseelt sind, die auf dem Lande,
im Wasser, im unendlichen Raume wohnen. Mit allen diesen Wesen bin ich
also mit einer gewissen Intelligenz begabt, und wenn die universelle Intelligenz,
die das Ganze beseelt, Gott wäre, so besäße ich also einen beseelenden Funken,
einen Ausfluß Gottes, und wäre also zwar nur ein unendlich kleiner Teil
der Gottheit, aber doch ein Teil. Diese Idee erhebt mich; sie befriedigt mich,
sie macht Etwas aus meinem Nichts und trägt dazu bei, mich in der Erbärm¬
lichkeit dieses Daseins aufrecht zu halten..... Einfach, schön, erhaben ist die
wahre Religion (1^ rkli^lone ciel v«zro); es ist die Religion Christi, denn die
ganze Lehre Christi stützt sich auf die ewige Wahrheit: der Mensch ist dem
Menschen gleich von Geburt. Daher: Thut uicht andern, was ihr euch nicht



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[0376] Giuseppe Garibaldi. auf Schritt und Tritt entgegentrat, ein Wahnglaube, der ihn selbst bald als guten, bald als bösen Dämon zu einem übermenschlichen Wesen stempeln wollte, dem er selbst, wollte er nicht allen Einfluß auf die Bevölkerung einbüßen, zähne¬ knirschend Konzessionen zu machen gewnngeu war, erregte seine tiefste und hef¬ tigste Empörung: „Der Aberglaube, dieses Ungeheuer der Hölle, schwebt noch über dieser Welt, und gleich der alten Hydra wird er immer von neuem auf¬ erweckt in der scheußlichen Bude des Priesters."^) Wenn wir aber schon von vornherein voraussetzen dürfen, daß ein Mensch, dessen ganzes inneres und äußeres Leben von einem idealen Geiste beseelt und erfüllt ist, der die ganze Menschheit mit inniger Liebe umfaßt, der die uneigen- uützigste Opferwilligkeit besitzt, der seine Armut mit den Armen teilt, der stets bereit ist, sein Leben für ein fremdes in die Schanze zu schlagen, nicht irreligiös sein kann, so bestätigt uns das, außer vielen andern von ihm bewahrten Äuße¬ rungen in Wort und Schrift, ein von seinem Biographen Guerzoui überliefertes Fragment seiner Memoiren über die wahre Religion, welches beweist, wie sich in ihm pantheistische Ideen mit den Grundanschauungen der christlichen Ethik verbanden. „Wer ist Gott?" heißt es darin. „Ich weiß davon soviel wie ein Priester, aber als ein Apostel der Wahrheit antworte ich: Ich weiß es nicht. . . . Wer ist Gott? Der Regierer der Welt ... ja, jene unendliche Intelligenz, die" jeder, der den Blick in den Weltraum wirft und die staunenswerte Harmonie betrachtet, die dort herrscht, bekennen muß." Und nun setzt er seine Auffassung des Verhältnisses der eignen Individualität zur Gottheit auseinander. „Mein Körper ist beseelt, wie die Millionen von Wesen beseelt sind, die auf dem Lande, im Wasser, im unendlichen Raume wohnen. Mit allen diesen Wesen bin ich also mit einer gewissen Intelligenz begabt, und wenn die universelle Intelligenz, die das Ganze beseelt, Gott wäre, so besäße ich also einen beseelenden Funken, einen Ausfluß Gottes, und wäre also zwar nur ein unendlich kleiner Teil der Gottheit, aber doch ein Teil. Diese Idee erhebt mich; sie befriedigt mich, sie macht Etwas aus meinem Nichts und trägt dazu bei, mich in der Erbärm¬ lichkeit dieses Daseins aufrecht zu halten..... Einfach, schön, erhaben ist die wahre Religion (1^ rkli^lone ciel v«zro); es ist die Religion Christi, denn die ganze Lehre Christi stützt sich auf die ewige Wahrheit: der Mensch ist dem Menschen gleich von Geburt. Daher: Thut uicht andern, was ihr euch nicht Dir snxizrstition, of inoustrs «los onkors, onooro sur <zö inouäv, >Zi oouiinv anticzne. Nossusoit« ton^ours ÄMS 1'Mronso doaii«tuo Du xrvtrs..... Aus einem Gedicht an Victor Hugo (datirt von Caprera, Dezember 1867) als Erwiederung auf dessen Voix an> duvrnssoy.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/376>, abgerufen am 26.06.2024.