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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giusexxe Garibaldi.

Zehn Jahre lang blieb er Witwer. Aber sein Blut war heiß und trieb
ihn zu neuer Liebesleidenschaft. Noch lebt in Nizza eine Dame, mit der er in
vertraulichem Verhältnis gestände" und die ihm eine -- im Alter von sechzehn
Jahren 1875 auf Caprera gestorbene -- Tochter Anna geboren hat. Während
des Krieges von 1859 kam die junge Mnrchesina Raimondi, eine stolze Schön¬
heit, in sein Lager am Lcmgeusee gesprengt, um seine Hilfe für die Stadt Como
zu erbitten. Sie erschien ihm, zumal als sie kühnen Mutes herbeieilte, den dnrch ein
plötzliches scheuen seines Pferdes in Lebensgefahr schwebenden zu retten, als
eine Verkörperung weiblicher Ritterlichkeit. Sofort war der Entschluß gefaßt,
um sie zu werben, und nach wenigen Monaten stand er mit ihr am Altar.
Aber noch am Hochzeitstage selbst erhielt er die durch ihr eignes Geständnis
bestätigte Kunde, daß die junge Frau bereits mit Seele und Leib einem andern
und uoch dazu einem Lcmdesfeiude angehört habe. Er sprang anf sein Pferd
und verließ ohne Abschied das Hochzeitsschloß auf Nimmerwiedersehn. Erst
zwanzig Jahre später wurde die Ehe rechtskräftig getrennt, und der 73jährige
Greis konnte die Amme seines Enkelkindes in Genua, Francesca Armosino, die
ihm inzwischen schon drei Kinder geboren, zu seiner rechtmäßigen Gattin er¬
heben.

Wir erkennen hier eine der hervorstechendsten Schwächen des Mannes: die
übergroße Sinnlichkeit, die aus der Kraftfülle seines Körpers hervorging, und
sich mit seiner Bewunderung weiblicher Schönheit wie mit dem Sehnen seines
Herzens nach der Liebe eines weiblichen Wesens zu unwiderstehlicher Leidenschaft
verband. Er selbst hatte des Fehlers kein Hehl, auch hier offen und wahrhaft
wie immer, und die Frauen machten es ihm uur allzu leicht, demselben zu fröhnen.
Dennoch war er kein Don Juan; er sündigte nur aus wirklicher Leidenschaft,
und keine, die er je geliebt, durfte sich über ihn beklagen.

Wenn man Garibaldi einen "von diabolischen Hasse gegen die Religion
erfüllten Menschen" genannt hat,*) so ist das von einem gewisse" Standpunkte
aus, dem Religion und der Glaube an eine übernatürliche Offenbarung, dem vor
allem Religion und unbedingte Unterwerfung unter die römische Hierarchie ein-
und dasselbe sind, begreiflich. Seine Feindschaft gegen den absoluten und des¬
potischen Herrscher des Kirchenstaates als das größte Hindernis der italienischen
Nationaleinheit und Freiheit, sein Haß gegen den die Geister knechtenden "Lucifer
von Rom" und die ganze Hierarchie mit ihrer Herrschsucht, ihrer Heuchelei,
ihrer Vaterlandslosigkeit, ihrer Verfolgungssucht brachte ihn allerdings dahin,
ein Feind der Kirche als Institution zu werden, d. h. der einzigen, die er kannte,
der römischen Priesterkirche. Die ganze Kirchenlehre erschien ihm wie ein zu
Nutz und Frommen der Hierarchie erfundenes Lügengewebe. Der krasse Aber¬
glaube, der ihm zumal während seiner Diktatur in Sizilien und Unteritalien



*) Germnina vom 4. Juni 1882.
Giusexxe Garibaldi.

Zehn Jahre lang blieb er Witwer. Aber sein Blut war heiß und trieb
ihn zu neuer Liebesleidenschaft. Noch lebt in Nizza eine Dame, mit der er in
vertraulichem Verhältnis gestände» und die ihm eine — im Alter von sechzehn
Jahren 1875 auf Caprera gestorbene — Tochter Anna geboren hat. Während
des Krieges von 1859 kam die junge Mnrchesina Raimondi, eine stolze Schön¬
heit, in sein Lager am Lcmgeusee gesprengt, um seine Hilfe für die Stadt Como
zu erbitten. Sie erschien ihm, zumal als sie kühnen Mutes herbeieilte, den dnrch ein
plötzliches scheuen seines Pferdes in Lebensgefahr schwebenden zu retten, als
eine Verkörperung weiblicher Ritterlichkeit. Sofort war der Entschluß gefaßt,
um sie zu werben, und nach wenigen Monaten stand er mit ihr am Altar.
Aber noch am Hochzeitstage selbst erhielt er die durch ihr eignes Geständnis
bestätigte Kunde, daß die junge Frau bereits mit Seele und Leib einem andern
und uoch dazu einem Lcmdesfeiude angehört habe. Er sprang anf sein Pferd
und verließ ohne Abschied das Hochzeitsschloß auf Nimmerwiedersehn. Erst
zwanzig Jahre später wurde die Ehe rechtskräftig getrennt, und der 73jährige
Greis konnte die Amme seines Enkelkindes in Genua, Francesca Armosino, die
ihm inzwischen schon drei Kinder geboren, zu seiner rechtmäßigen Gattin er¬
heben.

Wir erkennen hier eine der hervorstechendsten Schwächen des Mannes: die
übergroße Sinnlichkeit, die aus der Kraftfülle seines Körpers hervorging, und
sich mit seiner Bewunderung weiblicher Schönheit wie mit dem Sehnen seines
Herzens nach der Liebe eines weiblichen Wesens zu unwiderstehlicher Leidenschaft
verband. Er selbst hatte des Fehlers kein Hehl, auch hier offen und wahrhaft
wie immer, und die Frauen machten es ihm uur allzu leicht, demselben zu fröhnen.
Dennoch war er kein Don Juan; er sündigte nur aus wirklicher Leidenschaft,
und keine, die er je geliebt, durfte sich über ihn beklagen.

Wenn man Garibaldi einen „von diabolischen Hasse gegen die Religion
erfüllten Menschen" genannt hat,*) so ist das von einem gewisse» Standpunkte
aus, dem Religion und der Glaube an eine übernatürliche Offenbarung, dem vor
allem Religion und unbedingte Unterwerfung unter die römische Hierarchie ein-
und dasselbe sind, begreiflich. Seine Feindschaft gegen den absoluten und des¬
potischen Herrscher des Kirchenstaates als das größte Hindernis der italienischen
Nationaleinheit und Freiheit, sein Haß gegen den die Geister knechtenden „Lucifer
von Rom" und die ganze Hierarchie mit ihrer Herrschsucht, ihrer Heuchelei,
ihrer Vaterlandslosigkeit, ihrer Verfolgungssucht brachte ihn allerdings dahin,
ein Feind der Kirche als Institution zu werden, d. h. der einzigen, die er kannte,
der römischen Priesterkirche. Die ganze Kirchenlehre erschien ihm wie ein zu
Nutz und Frommen der Hierarchie erfundenes Lügengewebe. Der krasse Aber¬
glaube, der ihm zumal während seiner Diktatur in Sizilien und Unteritalien



*) Germnina vom 4. Juni 1882.
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[0375] Giusexxe Garibaldi. Zehn Jahre lang blieb er Witwer. Aber sein Blut war heiß und trieb ihn zu neuer Liebesleidenschaft. Noch lebt in Nizza eine Dame, mit der er in vertraulichem Verhältnis gestände» und die ihm eine — im Alter von sechzehn Jahren 1875 auf Caprera gestorbene — Tochter Anna geboren hat. Während des Krieges von 1859 kam die junge Mnrchesina Raimondi, eine stolze Schön¬ heit, in sein Lager am Lcmgeusee gesprengt, um seine Hilfe für die Stadt Como zu erbitten. Sie erschien ihm, zumal als sie kühnen Mutes herbeieilte, den dnrch ein plötzliches scheuen seines Pferdes in Lebensgefahr schwebenden zu retten, als eine Verkörperung weiblicher Ritterlichkeit. Sofort war der Entschluß gefaßt, um sie zu werben, und nach wenigen Monaten stand er mit ihr am Altar. Aber noch am Hochzeitstage selbst erhielt er die durch ihr eignes Geständnis bestätigte Kunde, daß die junge Frau bereits mit Seele und Leib einem andern und uoch dazu einem Lcmdesfeiude angehört habe. Er sprang anf sein Pferd und verließ ohne Abschied das Hochzeitsschloß auf Nimmerwiedersehn. Erst zwanzig Jahre später wurde die Ehe rechtskräftig getrennt, und der 73jährige Greis konnte die Amme seines Enkelkindes in Genua, Francesca Armosino, die ihm inzwischen schon drei Kinder geboren, zu seiner rechtmäßigen Gattin er¬ heben. Wir erkennen hier eine der hervorstechendsten Schwächen des Mannes: die übergroße Sinnlichkeit, die aus der Kraftfülle seines Körpers hervorging, und sich mit seiner Bewunderung weiblicher Schönheit wie mit dem Sehnen seines Herzens nach der Liebe eines weiblichen Wesens zu unwiderstehlicher Leidenschaft verband. Er selbst hatte des Fehlers kein Hehl, auch hier offen und wahrhaft wie immer, und die Frauen machten es ihm uur allzu leicht, demselben zu fröhnen. Dennoch war er kein Don Juan; er sündigte nur aus wirklicher Leidenschaft, und keine, die er je geliebt, durfte sich über ihn beklagen. Wenn man Garibaldi einen „von diabolischen Hasse gegen die Religion erfüllten Menschen" genannt hat,*) so ist das von einem gewisse» Standpunkte aus, dem Religion und der Glaube an eine übernatürliche Offenbarung, dem vor allem Religion und unbedingte Unterwerfung unter die römische Hierarchie ein- und dasselbe sind, begreiflich. Seine Feindschaft gegen den absoluten und des¬ potischen Herrscher des Kirchenstaates als das größte Hindernis der italienischen Nationaleinheit und Freiheit, sein Haß gegen den die Geister knechtenden „Lucifer von Rom" und die ganze Hierarchie mit ihrer Herrschsucht, ihrer Heuchelei, ihrer Vaterlandslosigkeit, ihrer Verfolgungssucht brachte ihn allerdings dahin, ein Feind der Kirche als Institution zu werden, d. h. der einzigen, die er kannte, der römischen Priesterkirche. Die ganze Kirchenlehre erschien ihm wie ein zu Nutz und Frommen der Hierarchie erfundenes Lügengewebe. Der krasse Aber¬ glaube, der ihm zumal während seiner Diktatur in Sizilien und Unteritalien *) Germnina vom 4. Juni 1882.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/375>, abgerufen am 26.06.2024.