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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

Sünde gegen den heiligen Geist. Sie allein vermochte er, der jede persönliche
Beleidigung, jedes ihm Angefügte Unrecht so leicht vergaß, nie zu vergeben.

Wie Garibaldi Idealist in allem war, so war er es natürlich auch in der
Freundschaft. Allzuleicht, wie er uns selbst erzählt, geneigt, Freundschaften auf
den ersten Blick, nach dein ersten Händedruck, beim ersten Begegnen auf der
Straße zu schließen, allzuleicht schönen Worten und Versprechungen Glauben
schenkend, ist er hundertfach von falschen Freunden getäuscht und mißbraucht
wordeu. Während ihm selbst der geschlossene Bund heilig und unverletzlich,
kein Opfer für den Freund zu schwer, die gefährdete Lage desselben ein Grund
mehr war, an ihm festzuhalten, sah er sich mehr als einmal in der Stunde der
Not von denen verlassen, denen er sein volles Vertrauen geschenkt hatte. So
war es nicht zu verwundern, daß in seinen letzten Lebensjahren ein seinem ur¬
sprünglichen Wesen durchaus fremdes Mißtrauen Eingang in sein Gemüt fand.

An den Seinen hing er mit treuester Liebe. Für das materielle und geistige
Wohl seiner Kinder -- er hatte deren sieben von drei verschiednen Müttern,
darunter zwei Töchter, die ihm im Tode vorausgingen -- hat er stets nach
besten Kräften gesorgt, soweit es sein unstetes Leben, das ihn oft lange Zeit
von der Familie getrennt hielt, gestattete. Freilich war er kein Meister in der
Erziehung und hat auch in deu eignen Söhnen manche traurige Erfahrung ge¬
macht. Die Gattin seiner Jugend, die Kreolin Anna, liebte er mit glühende^.
Leidenschaft und mit unveränderlicher Treue bis zu ihrem Tode. Charakteristisch
für ihn ist die Art, wie er sie heimführte. Er hatte in einem Seekampfe und
Schiffbruche an der Küste von Uruguay fast alle seine Freunde verloren. Seine
Seele lechzte nach einem liebenden Herzen, mit dem er alles teilen könnte.
Schon längst hatte er geglaubt, "in den Frauen die vollkommensten Wesen der
Schöpfung zu erkennen."*) Eines Tages erblickte er vom Deck seines Schiffes
auf dem Parana aus am User ein junges Weib von hohem, stolzem Wuchse
mit Zügen von fast männlicher Schönheit. Sie sehen und lieben war eins.
Er sprang ans Ufer. "Mädchen, du mußt mein sein!" flüsterte er ihr zu, und
entführte am folgenden Tage die nicht widerstrebende, gegen ihren Willen von
den Eltern einem andern verlobte aus sein Schiff. Sie hat Gutes und Böses
mit ihm geteilt bei seinem unsteten Wanderleben in Amerika und Enropa, und
er hat sie auf den Händen getragen, bis sie auf dem schrecklichen Rückzüge von
Rom im Sommer 1849 an der adriatischen Küste ihren Leiden und den über¬
mäßigen Strapazen erlag. Ihr Tod erschien dem unglücklichen Manne, der vor
den nahen Verfolgern fliehen mußte, ohne ihrer Hülle die letzte Ehre erzeigen
zu können, als eine göttliche Strafe, weil er sie liebenden Eltern heimlich ent¬
rissen hatte.



Denkwürdigkeiten :c., I, 84.
Giuseppe Garibaldi.

Sünde gegen den heiligen Geist. Sie allein vermochte er, der jede persönliche
Beleidigung, jedes ihm Angefügte Unrecht so leicht vergaß, nie zu vergeben.

Wie Garibaldi Idealist in allem war, so war er es natürlich auch in der
Freundschaft. Allzuleicht, wie er uns selbst erzählt, geneigt, Freundschaften auf
den ersten Blick, nach dein ersten Händedruck, beim ersten Begegnen auf der
Straße zu schließen, allzuleicht schönen Worten und Versprechungen Glauben
schenkend, ist er hundertfach von falschen Freunden getäuscht und mißbraucht
wordeu. Während ihm selbst der geschlossene Bund heilig und unverletzlich,
kein Opfer für den Freund zu schwer, die gefährdete Lage desselben ein Grund
mehr war, an ihm festzuhalten, sah er sich mehr als einmal in der Stunde der
Not von denen verlassen, denen er sein volles Vertrauen geschenkt hatte. So
war es nicht zu verwundern, daß in seinen letzten Lebensjahren ein seinem ur¬
sprünglichen Wesen durchaus fremdes Mißtrauen Eingang in sein Gemüt fand.

An den Seinen hing er mit treuester Liebe. Für das materielle und geistige
Wohl seiner Kinder — er hatte deren sieben von drei verschiednen Müttern,
darunter zwei Töchter, die ihm im Tode vorausgingen — hat er stets nach
besten Kräften gesorgt, soweit es sein unstetes Leben, das ihn oft lange Zeit
von der Familie getrennt hielt, gestattete. Freilich war er kein Meister in der
Erziehung und hat auch in deu eignen Söhnen manche traurige Erfahrung ge¬
macht. Die Gattin seiner Jugend, die Kreolin Anna, liebte er mit glühende^.
Leidenschaft und mit unveränderlicher Treue bis zu ihrem Tode. Charakteristisch
für ihn ist die Art, wie er sie heimführte. Er hatte in einem Seekampfe und
Schiffbruche an der Küste von Uruguay fast alle seine Freunde verloren. Seine
Seele lechzte nach einem liebenden Herzen, mit dem er alles teilen könnte.
Schon längst hatte er geglaubt, „in den Frauen die vollkommensten Wesen der
Schöpfung zu erkennen."*) Eines Tages erblickte er vom Deck seines Schiffes
auf dem Parana aus am User ein junges Weib von hohem, stolzem Wuchse
mit Zügen von fast männlicher Schönheit. Sie sehen und lieben war eins.
Er sprang ans Ufer. „Mädchen, du mußt mein sein!" flüsterte er ihr zu, und
entführte am folgenden Tage die nicht widerstrebende, gegen ihren Willen von
den Eltern einem andern verlobte aus sein Schiff. Sie hat Gutes und Böses
mit ihm geteilt bei seinem unsteten Wanderleben in Amerika und Enropa, und
er hat sie auf den Händen getragen, bis sie auf dem schrecklichen Rückzüge von
Rom im Sommer 1849 an der adriatischen Küste ihren Leiden und den über¬
mäßigen Strapazen erlag. Ihr Tod erschien dem unglücklichen Manne, der vor
den nahen Verfolgern fliehen mußte, ohne ihrer Hülle die letzte Ehre erzeigen
zu können, als eine göttliche Strafe, weil er sie liebenden Eltern heimlich ent¬
rissen hatte.



Denkwürdigkeiten :c., I, 84.
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[0374] Giuseppe Garibaldi. Sünde gegen den heiligen Geist. Sie allein vermochte er, der jede persönliche Beleidigung, jedes ihm Angefügte Unrecht so leicht vergaß, nie zu vergeben. Wie Garibaldi Idealist in allem war, so war er es natürlich auch in der Freundschaft. Allzuleicht, wie er uns selbst erzählt, geneigt, Freundschaften auf den ersten Blick, nach dein ersten Händedruck, beim ersten Begegnen auf der Straße zu schließen, allzuleicht schönen Worten und Versprechungen Glauben schenkend, ist er hundertfach von falschen Freunden getäuscht und mißbraucht wordeu. Während ihm selbst der geschlossene Bund heilig und unverletzlich, kein Opfer für den Freund zu schwer, die gefährdete Lage desselben ein Grund mehr war, an ihm festzuhalten, sah er sich mehr als einmal in der Stunde der Not von denen verlassen, denen er sein volles Vertrauen geschenkt hatte. So war es nicht zu verwundern, daß in seinen letzten Lebensjahren ein seinem ur¬ sprünglichen Wesen durchaus fremdes Mißtrauen Eingang in sein Gemüt fand. An den Seinen hing er mit treuester Liebe. Für das materielle und geistige Wohl seiner Kinder — er hatte deren sieben von drei verschiednen Müttern, darunter zwei Töchter, die ihm im Tode vorausgingen — hat er stets nach besten Kräften gesorgt, soweit es sein unstetes Leben, das ihn oft lange Zeit von der Familie getrennt hielt, gestattete. Freilich war er kein Meister in der Erziehung und hat auch in deu eignen Söhnen manche traurige Erfahrung ge¬ macht. Die Gattin seiner Jugend, die Kreolin Anna, liebte er mit glühende^. Leidenschaft und mit unveränderlicher Treue bis zu ihrem Tode. Charakteristisch für ihn ist die Art, wie er sie heimführte. Er hatte in einem Seekampfe und Schiffbruche an der Küste von Uruguay fast alle seine Freunde verloren. Seine Seele lechzte nach einem liebenden Herzen, mit dem er alles teilen könnte. Schon längst hatte er geglaubt, „in den Frauen die vollkommensten Wesen der Schöpfung zu erkennen."*) Eines Tages erblickte er vom Deck seines Schiffes auf dem Parana aus am User ein junges Weib von hohem, stolzem Wuchse mit Zügen von fast männlicher Schönheit. Sie sehen und lieben war eins. Er sprang ans Ufer. „Mädchen, du mußt mein sein!" flüsterte er ihr zu, und entführte am folgenden Tage die nicht widerstrebende, gegen ihren Willen von den Eltern einem andern verlobte aus sein Schiff. Sie hat Gutes und Böses mit ihm geteilt bei seinem unsteten Wanderleben in Amerika und Enropa, und er hat sie auf den Händen getragen, bis sie auf dem schrecklichen Rückzüge von Rom im Sommer 1849 an der adriatischen Küste ihren Leiden und den über¬ mäßigen Strapazen erlag. Ihr Tod erschien dem unglücklichen Manne, der vor den nahen Verfolgern fliehen mußte, ohne ihrer Hülle die letzte Ehre erzeigen zu können, als eine göttliche Strafe, weil er sie liebenden Eltern heimlich ent¬ rissen hatte. Denkwürdigkeiten :c., I, 84.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/374>, abgerufen am 26.06.2024.