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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

nur seinen republikanischen Grundsätzen, sondern auch seinem ganzen innern
Wesen zuwider; selbst den höchsten Orden Italiens verschmähte er als "könig¬
lichen Flittertand." Die Ämterjägerei wie das Protektions- und Sinekuren¬
wesen und die Bestechlichkeit, eine weitverbreitete Krankheit in der frühern
italienischen, zumal der neapolitanischen Beamtenwelt, erregten ihm Widerwillen
und Ekel sowie die schwersten Besorgnisse für die Zukunft des Landes.

Durch und durch wahrhaftig, meinte er stets ganz und voll, was er sagte,
und hielt fest und treu an dem gegebnen Worte. Wie sein ganzes Thun nicht
aus verständiger Überlegung und Berechnung hervorging, sondern aus der Fülle
seines innern Wesens mit Naturnotwendigkeit entsprang, so mußte er zugleich
einseitig sein, konnte an den großen Ideen, die ihn bewegten, nie zwei Seiten
unterscheiden, konnte kein Schwanken und Zaudern begreife:,. Alle krummen Wege
waren ihm im tiefsten Innern zuwider. Nie, solange er noch im Vollgefühle
seiner Kraft war, am Siege der guten Sache, nie auch daran zweifelnd, daß
das, was ihm die innere Stimme als solche bezeichnete, die gute Sache sei,
strebte er stets aus geradem Wege dem Ziele entgegen, ohne sich dnrch Hinder¬
nisse und Bedenken irgendeiner Art irre machen zu lassen. Von Natur der
bescheidenste Mensch, war er durch die ungeheuren Erfolge von 1860 zu der
Überzeugung gekommen, daß das Schicksal ihn zu großen Dingen bestimmt habe,
M in gewisser Beziehung zu einem Glauben an die eigne Unfehlbarkeit, der von
Schmeichlern und radikalen Parteimenschen, die ihn zu ihren Zwecken mi߬
brauchen wollten, zu seinem und des Landes Schaden genährt und gefördert
wurde. Wie für ihn nur das natürliche Recht, wie es sich ihm in seinem
Innern offenbarte, unbedingte Geltung hatte, während er dem geschriebnen Gesetz
nur insoweit bindende Kraft zuerkannte, als es nichl mit seinen idealen Zwecken
und den zu ihrer Erreichung notwendigen Mitteln in Widerspruch stand, so war
ihm anch die Politik als Wissenschaft und Kunst ein Buch mit sieben Siegeln;
daher achtete er auch die Staatsmänner von Handwerk gering, ja erblickte in
ihnen oft das schwerste Hindernis für den Sieg der guten Sache. Mit ma߬
voller Gerechtigkeit und Besonnenheit das Für und Wider abzuwägen, mit
kühler Berechnung Erreichbares und Unerreichbares zu scheiden, die Schwierig¬
keiten verwickelter diplomatischer Verhältnisse zu erkennen, zu laviren, mit zäher
Geduld den rechten Moment zur That abzuwarten, war nicht seine Sache. Die
"Fuchspolitik," wie er sie nannte, Ccwours in den Jahren 1859 und 1860 und
die Abtretung seiner Vaterstadt Nizza, die ihm ein Verrat am Vaterlande war
und deren Unvermeidlichkeit er nicht einzusehen vermochte, hat er dem großen
Minister noch auf dem Sterbebette nicht verziehen. Wie Mut, Vaterlandsliebe
und Wahrhaftigkeit ihm die höchsten Mannestugenden waren, so war ihm die
Doppelzüngigkeit in tiefster innerer Seele verhaßt, und der Verrat am Vater¬
lande und die Feigheit im Kampfe für dasselbe erschienen ihm als die wahre


Grenzboten IV. 1882. 47
Giuseppe Garibaldi.

nur seinen republikanischen Grundsätzen, sondern auch seinem ganzen innern
Wesen zuwider; selbst den höchsten Orden Italiens verschmähte er als „könig¬
lichen Flittertand." Die Ämterjägerei wie das Protektions- und Sinekuren¬
wesen und die Bestechlichkeit, eine weitverbreitete Krankheit in der frühern
italienischen, zumal der neapolitanischen Beamtenwelt, erregten ihm Widerwillen
und Ekel sowie die schwersten Besorgnisse für die Zukunft des Landes.

Durch und durch wahrhaftig, meinte er stets ganz und voll, was er sagte,
und hielt fest und treu an dem gegebnen Worte. Wie sein ganzes Thun nicht
aus verständiger Überlegung und Berechnung hervorging, sondern aus der Fülle
seines innern Wesens mit Naturnotwendigkeit entsprang, so mußte er zugleich
einseitig sein, konnte an den großen Ideen, die ihn bewegten, nie zwei Seiten
unterscheiden, konnte kein Schwanken und Zaudern begreife:,. Alle krummen Wege
waren ihm im tiefsten Innern zuwider. Nie, solange er noch im Vollgefühle
seiner Kraft war, am Siege der guten Sache, nie auch daran zweifelnd, daß
das, was ihm die innere Stimme als solche bezeichnete, die gute Sache sei,
strebte er stets aus geradem Wege dem Ziele entgegen, ohne sich dnrch Hinder¬
nisse und Bedenken irgendeiner Art irre machen zu lassen. Von Natur der
bescheidenste Mensch, war er durch die ungeheuren Erfolge von 1860 zu der
Überzeugung gekommen, daß das Schicksal ihn zu großen Dingen bestimmt habe,
M in gewisser Beziehung zu einem Glauben an die eigne Unfehlbarkeit, der von
Schmeichlern und radikalen Parteimenschen, die ihn zu ihren Zwecken mi߬
brauchen wollten, zu seinem und des Landes Schaden genährt und gefördert
wurde. Wie für ihn nur das natürliche Recht, wie es sich ihm in seinem
Innern offenbarte, unbedingte Geltung hatte, während er dem geschriebnen Gesetz
nur insoweit bindende Kraft zuerkannte, als es nichl mit seinen idealen Zwecken
und den zu ihrer Erreichung notwendigen Mitteln in Widerspruch stand, so war
ihm anch die Politik als Wissenschaft und Kunst ein Buch mit sieben Siegeln;
daher achtete er auch die Staatsmänner von Handwerk gering, ja erblickte in
ihnen oft das schwerste Hindernis für den Sieg der guten Sache. Mit ma߬
voller Gerechtigkeit und Besonnenheit das Für und Wider abzuwägen, mit
kühler Berechnung Erreichbares und Unerreichbares zu scheiden, die Schwierig¬
keiten verwickelter diplomatischer Verhältnisse zu erkennen, zu laviren, mit zäher
Geduld den rechten Moment zur That abzuwarten, war nicht seine Sache. Die
„Fuchspolitik," wie er sie nannte, Ccwours in den Jahren 1859 und 1860 und
die Abtretung seiner Vaterstadt Nizza, die ihm ein Verrat am Vaterlande war
und deren Unvermeidlichkeit er nicht einzusehen vermochte, hat er dem großen
Minister noch auf dem Sterbebette nicht verziehen. Wie Mut, Vaterlandsliebe
und Wahrhaftigkeit ihm die höchsten Mannestugenden waren, so war ihm die
Doppelzüngigkeit in tiefster innerer Seele verhaßt, und der Verrat am Vater¬
lande und die Feigheit im Kampfe für dasselbe erschienen ihm als die wahre


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[0373] Giuseppe Garibaldi. nur seinen republikanischen Grundsätzen, sondern auch seinem ganzen innern Wesen zuwider; selbst den höchsten Orden Italiens verschmähte er als „könig¬ lichen Flittertand." Die Ämterjägerei wie das Protektions- und Sinekuren¬ wesen und die Bestechlichkeit, eine weitverbreitete Krankheit in der frühern italienischen, zumal der neapolitanischen Beamtenwelt, erregten ihm Widerwillen und Ekel sowie die schwersten Besorgnisse für die Zukunft des Landes. Durch und durch wahrhaftig, meinte er stets ganz und voll, was er sagte, und hielt fest und treu an dem gegebnen Worte. Wie sein ganzes Thun nicht aus verständiger Überlegung und Berechnung hervorging, sondern aus der Fülle seines innern Wesens mit Naturnotwendigkeit entsprang, so mußte er zugleich einseitig sein, konnte an den großen Ideen, die ihn bewegten, nie zwei Seiten unterscheiden, konnte kein Schwanken und Zaudern begreife:,. Alle krummen Wege waren ihm im tiefsten Innern zuwider. Nie, solange er noch im Vollgefühle seiner Kraft war, am Siege der guten Sache, nie auch daran zweifelnd, daß das, was ihm die innere Stimme als solche bezeichnete, die gute Sache sei, strebte er stets aus geradem Wege dem Ziele entgegen, ohne sich dnrch Hinder¬ nisse und Bedenken irgendeiner Art irre machen zu lassen. Von Natur der bescheidenste Mensch, war er durch die ungeheuren Erfolge von 1860 zu der Überzeugung gekommen, daß das Schicksal ihn zu großen Dingen bestimmt habe, M in gewisser Beziehung zu einem Glauben an die eigne Unfehlbarkeit, der von Schmeichlern und radikalen Parteimenschen, die ihn zu ihren Zwecken mi߬ brauchen wollten, zu seinem und des Landes Schaden genährt und gefördert wurde. Wie für ihn nur das natürliche Recht, wie es sich ihm in seinem Innern offenbarte, unbedingte Geltung hatte, während er dem geschriebnen Gesetz nur insoweit bindende Kraft zuerkannte, als es nichl mit seinen idealen Zwecken und den zu ihrer Erreichung notwendigen Mitteln in Widerspruch stand, so war ihm anch die Politik als Wissenschaft und Kunst ein Buch mit sieben Siegeln; daher achtete er auch die Staatsmänner von Handwerk gering, ja erblickte in ihnen oft das schwerste Hindernis für den Sieg der guten Sache. Mit ma߬ voller Gerechtigkeit und Besonnenheit das Für und Wider abzuwägen, mit kühler Berechnung Erreichbares und Unerreichbares zu scheiden, die Schwierig¬ keiten verwickelter diplomatischer Verhältnisse zu erkennen, zu laviren, mit zäher Geduld den rechten Moment zur That abzuwarten, war nicht seine Sache. Die „Fuchspolitik," wie er sie nannte, Ccwours in den Jahren 1859 und 1860 und die Abtretung seiner Vaterstadt Nizza, die ihm ein Verrat am Vaterlande war und deren Unvermeidlichkeit er nicht einzusehen vermochte, hat er dem großen Minister noch auf dem Sterbebette nicht verziehen. Wie Mut, Vaterlandsliebe und Wahrhaftigkeit ihm die höchsten Mannestugenden waren, so war ihm die Doppelzüngigkeit in tiefster innerer Seele verhaßt, und der Verrat am Vater¬ lande und die Feigheit im Kampfe für dasselbe erschienen ihm als die wahre Grenzboten IV. 1882. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/373>, abgerufen am 26.06.2024.