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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Parlament und Politik in Frankreich.

zusammengefaßt und durch kleine Cliquen verstärkt, geben eine bunte Opposition
von etwa zweihundert Köpfen, die lediglich in ihrer Abneigung gegen die reine
demokratische Republik einig sind. Der Rest, die Mehrheit der Kammer, ist
nicht so sehr durch Grundsätze als durch Verwaltungsfragen und persönliche
Streitigkeiten getrennt. Die meisten werden noch immer als Gambettisten be¬
zeichnet, aber selbst in der Fraktion, die sich selbst so nennt, herrscht nicht durch-
gehends fester Zusammenhang, und so vermag gegenwärtig niemand mit Be¬
stimmtheit zu sagen, was eines Tages Passiren kann. Eine Versöhnung der
Parteien wird gewiß nicht stattfinden, keine wird darauf verzichten, ihre Prin¬
zipien zur Geltung und ihre Führer an die Spitze der öffentlichen Geschäfte
zu bringen, wo sie den Parteigenossen Anstellungen, Protektion und Bevor¬
zugung bei Staatsunternehmungen und andre gute Dinge zuwenden können, und
darüber wird das Ministerium Dnelere mit der Zeit fallen, mag es sich an eine
bestimmte Partei anlehnen oder parteilos zu sein versuchen. Heute befindet man
sich noch in einer Notlage, welche die Erhaltung der jetzigen Minister auf ihrem
Posten dringend empfiehlt; sobald man aber die Verlegenheit hinter sich hat,
sind die Tage des Kabinets gezählt. Auch der Zustand der französischen
Finanzen, die in diesen Tagen im ^ourng.1 av8 Il^dö-W eine herbe Kritik er¬
fuhren, wird dazu beitragen, die Stellung Ducleres und seiner Kollegen sehr
unsicher zu machen. Die Thatsache, daß er in seiner obenerwähnten Rede den
Wunsch ausspricht, das Budget zuerst beraten zu sehen, läßt seine Befürchtungen
in dieser Richtung erkennen. Die Finanzen der Republik sind nicht bloß in
übler Verfassung, sondern es giebt ein nicht unerhebliches Defizit.

Das Hauptpferd aber, das alle Schattirungen der Opposition wahrscheinlich
reiten werden, ist der sichtliche Niedergang des französischen Einflusses in
Ägypten, und doch ist weder Freycinet noch Dnclere für diese Entwicklung der
Dinge verantwortlich zu machen. Frankreich hätte sich an der englischen Aktion
um Nil beteiligen sollen, wäre es auch nur mit einigen Regimentern und
Batterien gewesen, aber die Mehrheit der Volksvertretung lehnte es ab, Frey¬
cinet die Mittel dazu zu bewilligen. Wollte die Kammer deshalb das gegen¬
wärtige Kabinet stürzen, so würde das nnr ein weiterer Beitrag zu den vielen
Sonderbarkeiten sein, welche die Annalen dieser Körperschaft aufweisen. Es
wäre eine Selbstvernrteilung, und man würde angesichts eines verdrießlichen
Ergebnisses der Politik der Regierung deren Mangel an Glück verdammen, weil
sich ihr keine schlechten Absichten nachweisen ließen. Die Anklage gegen Duelere
würde laute", er habe sich im Amte befunden, als Frankreich in Ägypten schwere
Einbuße erlitten. Blicken wir aber zurück, so haben die Kabinette, die sich in
diesem Jahre in Paris folgten, zur Erhaltung der unsichern Stellung, die Frank¬
reich am Nil einnahm, alle möglichen Mittel angewendet, nnr keinen Krieg
gewagt. Gcunbetta bestrebte sich, Italien und die andern nichtfranzösischen
Mächte des Festlandes von der Sache fernzuhalten, und dies gelang eine Weile,


Parlament und Politik in Frankreich.

zusammengefaßt und durch kleine Cliquen verstärkt, geben eine bunte Opposition
von etwa zweihundert Köpfen, die lediglich in ihrer Abneigung gegen die reine
demokratische Republik einig sind. Der Rest, die Mehrheit der Kammer, ist
nicht so sehr durch Grundsätze als durch Verwaltungsfragen und persönliche
Streitigkeiten getrennt. Die meisten werden noch immer als Gambettisten be¬
zeichnet, aber selbst in der Fraktion, die sich selbst so nennt, herrscht nicht durch-
gehends fester Zusammenhang, und so vermag gegenwärtig niemand mit Be¬
stimmtheit zu sagen, was eines Tages Passiren kann. Eine Versöhnung der
Parteien wird gewiß nicht stattfinden, keine wird darauf verzichten, ihre Prin¬
zipien zur Geltung und ihre Führer an die Spitze der öffentlichen Geschäfte
zu bringen, wo sie den Parteigenossen Anstellungen, Protektion und Bevor¬
zugung bei Staatsunternehmungen und andre gute Dinge zuwenden können, und
darüber wird das Ministerium Dnelere mit der Zeit fallen, mag es sich an eine
bestimmte Partei anlehnen oder parteilos zu sein versuchen. Heute befindet man
sich noch in einer Notlage, welche die Erhaltung der jetzigen Minister auf ihrem
Posten dringend empfiehlt; sobald man aber die Verlegenheit hinter sich hat,
sind die Tage des Kabinets gezählt. Auch der Zustand der französischen
Finanzen, die in diesen Tagen im ^ourng.1 av8 Il^dö-W eine herbe Kritik er¬
fuhren, wird dazu beitragen, die Stellung Ducleres und seiner Kollegen sehr
unsicher zu machen. Die Thatsache, daß er in seiner obenerwähnten Rede den
Wunsch ausspricht, das Budget zuerst beraten zu sehen, läßt seine Befürchtungen
in dieser Richtung erkennen. Die Finanzen der Republik sind nicht bloß in
übler Verfassung, sondern es giebt ein nicht unerhebliches Defizit.

Das Hauptpferd aber, das alle Schattirungen der Opposition wahrscheinlich
reiten werden, ist der sichtliche Niedergang des französischen Einflusses in
Ägypten, und doch ist weder Freycinet noch Dnclere für diese Entwicklung der
Dinge verantwortlich zu machen. Frankreich hätte sich an der englischen Aktion
um Nil beteiligen sollen, wäre es auch nur mit einigen Regimentern und
Batterien gewesen, aber die Mehrheit der Volksvertretung lehnte es ab, Frey¬
cinet die Mittel dazu zu bewilligen. Wollte die Kammer deshalb das gegen¬
wärtige Kabinet stürzen, so würde das nnr ein weiterer Beitrag zu den vielen
Sonderbarkeiten sein, welche die Annalen dieser Körperschaft aufweisen. Es
wäre eine Selbstvernrteilung, und man würde angesichts eines verdrießlichen
Ergebnisses der Politik der Regierung deren Mangel an Glück verdammen, weil
sich ihr keine schlechten Absichten nachweisen ließen. Die Anklage gegen Duelere
würde laute», er habe sich im Amte befunden, als Frankreich in Ägypten schwere
Einbuße erlitten. Blicken wir aber zurück, so haben die Kabinette, die sich in
diesem Jahre in Paris folgten, zur Erhaltung der unsichern Stellung, die Frank¬
reich am Nil einnahm, alle möglichen Mittel angewendet, nnr keinen Krieg
gewagt. Gcunbetta bestrebte sich, Italien und die andern nichtfranzösischen
Mächte des Festlandes von der Sache fernzuhalten, und dies gelang eine Weile,


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[0369] Parlament und Politik in Frankreich. zusammengefaßt und durch kleine Cliquen verstärkt, geben eine bunte Opposition von etwa zweihundert Köpfen, die lediglich in ihrer Abneigung gegen die reine demokratische Republik einig sind. Der Rest, die Mehrheit der Kammer, ist nicht so sehr durch Grundsätze als durch Verwaltungsfragen und persönliche Streitigkeiten getrennt. Die meisten werden noch immer als Gambettisten be¬ zeichnet, aber selbst in der Fraktion, die sich selbst so nennt, herrscht nicht durch- gehends fester Zusammenhang, und so vermag gegenwärtig niemand mit Be¬ stimmtheit zu sagen, was eines Tages Passiren kann. Eine Versöhnung der Parteien wird gewiß nicht stattfinden, keine wird darauf verzichten, ihre Prin¬ zipien zur Geltung und ihre Führer an die Spitze der öffentlichen Geschäfte zu bringen, wo sie den Parteigenossen Anstellungen, Protektion und Bevor¬ zugung bei Staatsunternehmungen und andre gute Dinge zuwenden können, und darüber wird das Ministerium Dnelere mit der Zeit fallen, mag es sich an eine bestimmte Partei anlehnen oder parteilos zu sein versuchen. Heute befindet man sich noch in einer Notlage, welche die Erhaltung der jetzigen Minister auf ihrem Posten dringend empfiehlt; sobald man aber die Verlegenheit hinter sich hat, sind die Tage des Kabinets gezählt. Auch der Zustand der französischen Finanzen, die in diesen Tagen im ^ourng.1 av8 Il^dö-W eine herbe Kritik er¬ fuhren, wird dazu beitragen, die Stellung Ducleres und seiner Kollegen sehr unsicher zu machen. Die Thatsache, daß er in seiner obenerwähnten Rede den Wunsch ausspricht, das Budget zuerst beraten zu sehen, läßt seine Befürchtungen in dieser Richtung erkennen. Die Finanzen der Republik sind nicht bloß in übler Verfassung, sondern es giebt ein nicht unerhebliches Defizit. Das Hauptpferd aber, das alle Schattirungen der Opposition wahrscheinlich reiten werden, ist der sichtliche Niedergang des französischen Einflusses in Ägypten, und doch ist weder Freycinet noch Dnclere für diese Entwicklung der Dinge verantwortlich zu machen. Frankreich hätte sich an der englischen Aktion um Nil beteiligen sollen, wäre es auch nur mit einigen Regimentern und Batterien gewesen, aber die Mehrheit der Volksvertretung lehnte es ab, Frey¬ cinet die Mittel dazu zu bewilligen. Wollte die Kammer deshalb das gegen¬ wärtige Kabinet stürzen, so würde das nnr ein weiterer Beitrag zu den vielen Sonderbarkeiten sein, welche die Annalen dieser Körperschaft aufweisen. Es wäre eine Selbstvernrteilung, und man würde angesichts eines verdrießlichen Ergebnisses der Politik der Regierung deren Mangel an Glück verdammen, weil sich ihr keine schlechten Absichten nachweisen ließen. Die Anklage gegen Duelere würde laute», er habe sich im Amte befunden, als Frankreich in Ägypten schwere Einbuße erlitten. Blicken wir aber zurück, so haben die Kabinette, die sich in diesem Jahre in Paris folgten, zur Erhaltung der unsichern Stellung, die Frank¬ reich am Nil einnahm, alle möglichen Mittel angewendet, nnr keinen Krieg gewagt. Gcunbetta bestrebte sich, Italien und die andern nichtfranzösischen Mächte des Festlandes von der Sache fernzuhalten, und dies gelang eine Weile,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/369>, abgerufen am 26.06.2024.