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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Parlament und Politik in Frankreich.

drückung erklären und Abschaffung dieser Stnatsform verlangen, so kommen die
Gambettisten zu einem andern Schlüsse, und der lautet natürlich: es muß gegen
die Noten mehr Thatkraft und mehr Strenge entwickelt werden, wenn das
Gemeinwesen nicht Schaden leiden und zuletzt dem Chaos verfallen soll, diese
Thatkraft und Strenge ist aber in niemand anders verkörpert als in unserm
Herrn und Meister, dem großen Volkstribunen, dem einstigen Diktator von
Tours. Kurz, Gambetta beabsichtigt einen Teil der Deputirten dnrch die Furcht
vor den Anarchisten und Kommunisten in sein Lager zu locken, in welchem
Dreiern bereits angelangt zu sein scheint, indem er die letzten beiden Beamten
aus der Freheinetschcn Periode von ihren Posten im auswärtigen Amte ent¬
fernt hat.

Die Lage des Ministeriums Dreiern beim Beginn der Session der fran¬
zösischen Kammern ist daher keine günstige, keine solche, wie der Premier am
Schluß seiner oben auszugsweise mitgeteilten Rede sie sich voranstellen scheint.
Er wird aus der Mitte der Versammlung zur Rechenschaft gezogen werden,
und zwar sowohl auf dem Gebiete der innern als auf dem der auswärtigen An¬
gelegenheiten. Die Greuel in Monteeau-les-Mines und die Dynamitexplosionen
in Lyon werden ihm schuld gegeben werden und ebenso die Beseitigung der
englisch-französischen Kontrole in Ägypten dnrch das Ministerium Gladstone.
Die Parteien im französischen Parlament sind einerseits soweit von einander
getrennt, und andrerseits verlaufen sie doch wieder so in einander, daß ein
Minister, dem aus verschiedenen Richtungen der Windrose Stürme anwehen,
sich, um Zuflucht zu suchen, in Passivität flüchtet. sputter, die rechte Hand
Gambettas, behauptet, Frankreich müsse "immer fühlen, daß es regiert werde,"
und tadelt damit indirekt die Regierung, daß sie den Legitimisten erlaubt hat,
große Bankette abzuhalten, bei denen man den "Roy" leben ließ. Radikale
wie Naquet raten zur Strenge gegen die Anarchisten, andre wieder, darunter
Leute, die Gambetta und Clemenceau nahestehen, schreiben Zeitungsartikel, welche
sich wie gelinde Verteidigungsreden in Betreff der Vorfälle in Monteeau lesen,
indem nach ihnen die Ultramontanen und die Arbeitgeber der Bergleute die
Hauptschuld träfe. Es ist zu bezweifeln, daß Dnelere eine Majorität finden
wird, und es unterliegt uoch stärkern Zweifeln, ob irgend ein Nachfolger im¬
stande sein würde, ein Kabinet zusammenzubringen oder eine Politik vorzu¬
schlagen, die seiner Regierung eine feste und dauernde Gruppe von Anhängern
sichern könnte. Für Gambetta ist fast nur noch in einer Anzahl von Provinzen
die öffentliche Meinung, und Clemeneeau wird die Partei, die er um sich ge¬
sammelt hat, wahrscheinlich auch nicht lange zusammenzuhalten vermögen. Die
Deputirtenkammer zerfällt in wenigsteus sechs Fraktionen, eine royalistische, die
etwa fünfzig Mitglieder zählt, eine imperialistische, die etwa ebenso start ist, die
Gruppe der Unversöhnlichen, die ungefähr dreißig Abgeordnete umfaßt, und
einige konservative Republikaner vom Typus des Exininisters Dufaure. Diese


Parlament und Politik in Frankreich.

drückung erklären und Abschaffung dieser Stnatsform verlangen, so kommen die
Gambettisten zu einem andern Schlüsse, und der lautet natürlich: es muß gegen
die Noten mehr Thatkraft und mehr Strenge entwickelt werden, wenn das
Gemeinwesen nicht Schaden leiden und zuletzt dem Chaos verfallen soll, diese
Thatkraft und Strenge ist aber in niemand anders verkörpert als in unserm
Herrn und Meister, dem großen Volkstribunen, dem einstigen Diktator von
Tours. Kurz, Gambetta beabsichtigt einen Teil der Deputirten dnrch die Furcht
vor den Anarchisten und Kommunisten in sein Lager zu locken, in welchem
Dreiern bereits angelangt zu sein scheint, indem er die letzten beiden Beamten
aus der Freheinetschcn Periode von ihren Posten im auswärtigen Amte ent¬
fernt hat.

Die Lage des Ministeriums Dreiern beim Beginn der Session der fran¬
zösischen Kammern ist daher keine günstige, keine solche, wie der Premier am
Schluß seiner oben auszugsweise mitgeteilten Rede sie sich voranstellen scheint.
Er wird aus der Mitte der Versammlung zur Rechenschaft gezogen werden,
und zwar sowohl auf dem Gebiete der innern als auf dem der auswärtigen An¬
gelegenheiten. Die Greuel in Monteeau-les-Mines und die Dynamitexplosionen
in Lyon werden ihm schuld gegeben werden und ebenso die Beseitigung der
englisch-französischen Kontrole in Ägypten dnrch das Ministerium Gladstone.
Die Parteien im französischen Parlament sind einerseits soweit von einander
getrennt, und andrerseits verlaufen sie doch wieder so in einander, daß ein
Minister, dem aus verschiedenen Richtungen der Windrose Stürme anwehen,
sich, um Zuflucht zu suchen, in Passivität flüchtet. sputter, die rechte Hand
Gambettas, behauptet, Frankreich müsse „immer fühlen, daß es regiert werde,"
und tadelt damit indirekt die Regierung, daß sie den Legitimisten erlaubt hat,
große Bankette abzuhalten, bei denen man den „Roy" leben ließ. Radikale
wie Naquet raten zur Strenge gegen die Anarchisten, andre wieder, darunter
Leute, die Gambetta und Clemenceau nahestehen, schreiben Zeitungsartikel, welche
sich wie gelinde Verteidigungsreden in Betreff der Vorfälle in Monteeau lesen,
indem nach ihnen die Ultramontanen und die Arbeitgeber der Bergleute die
Hauptschuld träfe. Es ist zu bezweifeln, daß Dnelere eine Majorität finden
wird, und es unterliegt uoch stärkern Zweifeln, ob irgend ein Nachfolger im¬
stande sein würde, ein Kabinet zusammenzubringen oder eine Politik vorzu¬
schlagen, die seiner Regierung eine feste und dauernde Gruppe von Anhängern
sichern könnte. Für Gambetta ist fast nur noch in einer Anzahl von Provinzen
die öffentliche Meinung, und Clemeneeau wird die Partei, die er um sich ge¬
sammelt hat, wahrscheinlich auch nicht lange zusammenzuhalten vermögen. Die
Deputirtenkammer zerfällt in wenigsteus sechs Fraktionen, eine royalistische, die
etwa fünfzig Mitglieder zählt, eine imperialistische, die etwa ebenso start ist, die
Gruppe der Unversöhnlichen, die ungefähr dreißig Abgeordnete umfaßt, und
einige konservative Republikaner vom Typus des Exininisters Dufaure. Diese


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[0368] Parlament und Politik in Frankreich. drückung erklären und Abschaffung dieser Stnatsform verlangen, so kommen die Gambettisten zu einem andern Schlüsse, und der lautet natürlich: es muß gegen die Noten mehr Thatkraft und mehr Strenge entwickelt werden, wenn das Gemeinwesen nicht Schaden leiden und zuletzt dem Chaos verfallen soll, diese Thatkraft und Strenge ist aber in niemand anders verkörpert als in unserm Herrn und Meister, dem großen Volkstribunen, dem einstigen Diktator von Tours. Kurz, Gambetta beabsichtigt einen Teil der Deputirten dnrch die Furcht vor den Anarchisten und Kommunisten in sein Lager zu locken, in welchem Dreiern bereits angelangt zu sein scheint, indem er die letzten beiden Beamten aus der Freheinetschcn Periode von ihren Posten im auswärtigen Amte ent¬ fernt hat. Die Lage des Ministeriums Dreiern beim Beginn der Session der fran¬ zösischen Kammern ist daher keine günstige, keine solche, wie der Premier am Schluß seiner oben auszugsweise mitgeteilten Rede sie sich voranstellen scheint. Er wird aus der Mitte der Versammlung zur Rechenschaft gezogen werden, und zwar sowohl auf dem Gebiete der innern als auf dem der auswärtigen An¬ gelegenheiten. Die Greuel in Monteeau-les-Mines und die Dynamitexplosionen in Lyon werden ihm schuld gegeben werden und ebenso die Beseitigung der englisch-französischen Kontrole in Ägypten dnrch das Ministerium Gladstone. Die Parteien im französischen Parlament sind einerseits soweit von einander getrennt, und andrerseits verlaufen sie doch wieder so in einander, daß ein Minister, dem aus verschiedenen Richtungen der Windrose Stürme anwehen, sich, um Zuflucht zu suchen, in Passivität flüchtet. sputter, die rechte Hand Gambettas, behauptet, Frankreich müsse „immer fühlen, daß es regiert werde," und tadelt damit indirekt die Regierung, daß sie den Legitimisten erlaubt hat, große Bankette abzuhalten, bei denen man den „Roy" leben ließ. Radikale wie Naquet raten zur Strenge gegen die Anarchisten, andre wieder, darunter Leute, die Gambetta und Clemenceau nahestehen, schreiben Zeitungsartikel, welche sich wie gelinde Verteidigungsreden in Betreff der Vorfälle in Monteeau lesen, indem nach ihnen die Ultramontanen und die Arbeitgeber der Bergleute die Hauptschuld träfe. Es ist zu bezweifeln, daß Dnelere eine Majorität finden wird, und es unterliegt uoch stärkern Zweifeln, ob irgend ein Nachfolger im¬ stande sein würde, ein Kabinet zusammenzubringen oder eine Politik vorzu¬ schlagen, die seiner Regierung eine feste und dauernde Gruppe von Anhängern sichern könnte. Für Gambetta ist fast nur noch in einer Anzahl von Provinzen die öffentliche Meinung, und Clemeneeau wird die Partei, die er um sich ge¬ sammelt hat, wahrscheinlich auch nicht lange zusammenzuhalten vermögen. Die Deputirtenkammer zerfällt in wenigsteus sechs Fraktionen, eine royalistische, die etwa fünfzig Mitglieder zählt, eine imperialistische, die etwa ebenso start ist, die Gruppe der Unversöhnlichen, die ungefähr dreißig Abgeordnete umfaßt, und einige konservative Republikaner vom Typus des Exininisters Dufaure. Diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/368>, abgerufen am 26.06.2024.