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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Parlament und Politik in Frankreich.

Fügte sich ein Minister oder Präfekt dem Willen dieser Nebeuregiernng nicht,
so wurde er ohne Verzug durch Legung einer Falle gestürzt, und ein gefälligerer
und bequemerer trat an seine Stelle. Das unverantwortliche Regieren Gam-
bettas aus seinem Hinterhalte ging auf die Dauer nicht, es wurde zum Skandal,
er sah sich genötigt, vom Schmirbodeu, wo er die Drähte gelenkt, herabzukommen,
selbst auf die Bühne zu treten und als verantwortlicher Minister Grevys eine
Rolle zu spielen. Er schuf aus persönlichen Anhängern ein Kabinet, das sich
als "großes Ministerium" in die Welt hinausrühmen ließ, diesen Namen aber
nicht rechtfertigte und nach wenigen Wochen an Mittelmäßigkeit starb. Nur
der Ehrgeiz der Herren blieb am Leben, und so wurde sofort die alte Neben-
regiernng wieder eingerichtet, und die frühern Manöver begannen von neuem.
Nur hatte Gnmbetta jetzt weniger Einfluß als vor seinem Versuch, offiziell die
Geschicke Frankreichs zu lenken. Doch war der Rest noch stark genug, um deu
Führer der Opportunisten in den Stand zu setzen, seinem Nachfolger in der
Ministerpräsidentschaft, der eigne Gedanken und einen eignen Willen hatte, feine
Stellung zu verleiden und ihn endlich zu stürzen. Freycinet wurde voll den
Preßorgnuen Gambettas solange getadelt nud verspottet, und von dessen Partei
in der Kammer solange angegriffen uno gehemmt, bis er, in einem schwachen
Augenblicke eingeschüchtert, vor einer ihm ungünstigen Abstimmung der Depu-
tirten die Flinte ins Korn warf und zurücktrat, worauf seine Stelle ein Poli¬
tiker einnahm, der die Eigenschaften eines Staatsmannes nur in geringem Grade
besitzt, aber sich mit Gambetta gut zu stellen verstand. Ebenso intolerant und
gebieterisch wie die Minister, behandelte dieser die Deputirten und Senatoren,
die sich zur Förderung seiner Absichten hergaben; auch in diesen Kreisen befolgte
der Exdiktator den Grundsatz: wer nicht mein Diener ist, der ist mein Feind.

In den letzten Wochen vor Wiedereröffnung der Kammer hat nun Dnclere
versucht, die Führer der verschiedenen republikanischen Fraktionen derselben
einigermaßen uuter einen Hut zu bringen und so eine Mehrheit für die Negie¬
rung zu ermöglichen. Es wurden Verhandlungen zwischen Freycinet, Ferry
und Gambetta angeknüpft, und die beiden erstem zeigten sich nicht abgeneigt,
das Zustandekommen der vom Ministerpräsidenten ins Ange gefaßten Kombination
zu fördern; zuletzt aber scheiterte der Plan am Widerspruch Gambettas gegen
ihre Bedingungen, und nnn begann der letztere sogleich mit Preßmanövern gegen
die Regierung und vorzüglich gegen seinen unmittelbaren Nachfolger. Als
Kampfmittel bediente er sich hierbei nicht ungeschickt des Hinweises auf die Misse¬
thaten der Anarchisten, wobei er vollständig die Taktik der Rechten befolgte,
welche den Staat und die Gesellschaft sür gefährdet erklären, wenn die Regierung
gegen die Wühler und Übelthäter nicht mit Energie andre Mittel anwende als
die bisherigen. Auch die Monarchisten tadeln die Regierung, und namentlich
Freycinet, weil er zugelassen, daß das Übel soweit um sich gegriffen habe, wenn
sie aber dann die Republik für unfähig zu wirksamer Borbengnng und Unter-


Parlament und Politik in Frankreich.

Fügte sich ein Minister oder Präfekt dem Willen dieser Nebeuregiernng nicht,
so wurde er ohne Verzug durch Legung einer Falle gestürzt, und ein gefälligerer
und bequemerer trat an seine Stelle. Das unverantwortliche Regieren Gam-
bettas aus seinem Hinterhalte ging auf die Dauer nicht, es wurde zum Skandal,
er sah sich genötigt, vom Schmirbodeu, wo er die Drähte gelenkt, herabzukommen,
selbst auf die Bühne zu treten und als verantwortlicher Minister Grevys eine
Rolle zu spielen. Er schuf aus persönlichen Anhängern ein Kabinet, das sich
als „großes Ministerium" in die Welt hinausrühmen ließ, diesen Namen aber
nicht rechtfertigte und nach wenigen Wochen an Mittelmäßigkeit starb. Nur
der Ehrgeiz der Herren blieb am Leben, und so wurde sofort die alte Neben-
regiernng wieder eingerichtet, und die frühern Manöver begannen von neuem.
Nur hatte Gnmbetta jetzt weniger Einfluß als vor seinem Versuch, offiziell die
Geschicke Frankreichs zu lenken. Doch war der Rest noch stark genug, um deu
Führer der Opportunisten in den Stand zu setzen, seinem Nachfolger in der
Ministerpräsidentschaft, der eigne Gedanken und einen eignen Willen hatte, feine
Stellung zu verleiden und ihn endlich zu stürzen. Freycinet wurde voll den
Preßorgnuen Gambettas solange getadelt nud verspottet, und von dessen Partei
in der Kammer solange angegriffen uno gehemmt, bis er, in einem schwachen
Augenblicke eingeschüchtert, vor einer ihm ungünstigen Abstimmung der Depu-
tirten die Flinte ins Korn warf und zurücktrat, worauf seine Stelle ein Poli¬
tiker einnahm, der die Eigenschaften eines Staatsmannes nur in geringem Grade
besitzt, aber sich mit Gambetta gut zu stellen verstand. Ebenso intolerant und
gebieterisch wie die Minister, behandelte dieser die Deputirten und Senatoren,
die sich zur Förderung seiner Absichten hergaben; auch in diesen Kreisen befolgte
der Exdiktator den Grundsatz: wer nicht mein Diener ist, der ist mein Feind.

In den letzten Wochen vor Wiedereröffnung der Kammer hat nun Dnclere
versucht, die Führer der verschiedenen republikanischen Fraktionen derselben
einigermaßen uuter einen Hut zu bringen und so eine Mehrheit für die Negie¬
rung zu ermöglichen. Es wurden Verhandlungen zwischen Freycinet, Ferry
und Gambetta angeknüpft, und die beiden erstem zeigten sich nicht abgeneigt,
das Zustandekommen der vom Ministerpräsidenten ins Ange gefaßten Kombination
zu fördern; zuletzt aber scheiterte der Plan am Widerspruch Gambettas gegen
ihre Bedingungen, und nnn begann der letztere sogleich mit Preßmanövern gegen
die Regierung und vorzüglich gegen seinen unmittelbaren Nachfolger. Als
Kampfmittel bediente er sich hierbei nicht ungeschickt des Hinweises auf die Misse¬
thaten der Anarchisten, wobei er vollständig die Taktik der Rechten befolgte,
welche den Staat und die Gesellschaft sür gefährdet erklären, wenn die Regierung
gegen die Wühler und Übelthäter nicht mit Energie andre Mittel anwende als
die bisherigen. Auch die Monarchisten tadeln die Regierung, und namentlich
Freycinet, weil er zugelassen, daß das Übel soweit um sich gegriffen habe, wenn
sie aber dann die Republik für unfähig zu wirksamer Borbengnng und Unter-


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[0367] Parlament und Politik in Frankreich. Fügte sich ein Minister oder Präfekt dem Willen dieser Nebeuregiernng nicht, so wurde er ohne Verzug durch Legung einer Falle gestürzt, und ein gefälligerer und bequemerer trat an seine Stelle. Das unverantwortliche Regieren Gam- bettas aus seinem Hinterhalte ging auf die Dauer nicht, es wurde zum Skandal, er sah sich genötigt, vom Schmirbodeu, wo er die Drähte gelenkt, herabzukommen, selbst auf die Bühne zu treten und als verantwortlicher Minister Grevys eine Rolle zu spielen. Er schuf aus persönlichen Anhängern ein Kabinet, das sich als „großes Ministerium" in die Welt hinausrühmen ließ, diesen Namen aber nicht rechtfertigte und nach wenigen Wochen an Mittelmäßigkeit starb. Nur der Ehrgeiz der Herren blieb am Leben, und so wurde sofort die alte Neben- regiernng wieder eingerichtet, und die frühern Manöver begannen von neuem. Nur hatte Gnmbetta jetzt weniger Einfluß als vor seinem Versuch, offiziell die Geschicke Frankreichs zu lenken. Doch war der Rest noch stark genug, um deu Führer der Opportunisten in den Stand zu setzen, seinem Nachfolger in der Ministerpräsidentschaft, der eigne Gedanken und einen eignen Willen hatte, feine Stellung zu verleiden und ihn endlich zu stürzen. Freycinet wurde voll den Preßorgnuen Gambettas solange getadelt nud verspottet, und von dessen Partei in der Kammer solange angegriffen uno gehemmt, bis er, in einem schwachen Augenblicke eingeschüchtert, vor einer ihm ungünstigen Abstimmung der Depu- tirten die Flinte ins Korn warf und zurücktrat, worauf seine Stelle ein Poli¬ tiker einnahm, der die Eigenschaften eines Staatsmannes nur in geringem Grade besitzt, aber sich mit Gambetta gut zu stellen verstand. Ebenso intolerant und gebieterisch wie die Minister, behandelte dieser die Deputirten und Senatoren, die sich zur Förderung seiner Absichten hergaben; auch in diesen Kreisen befolgte der Exdiktator den Grundsatz: wer nicht mein Diener ist, der ist mein Feind. In den letzten Wochen vor Wiedereröffnung der Kammer hat nun Dnclere versucht, die Führer der verschiedenen republikanischen Fraktionen derselben einigermaßen uuter einen Hut zu bringen und so eine Mehrheit für die Negie¬ rung zu ermöglichen. Es wurden Verhandlungen zwischen Freycinet, Ferry und Gambetta angeknüpft, und die beiden erstem zeigten sich nicht abgeneigt, das Zustandekommen der vom Ministerpräsidenten ins Ange gefaßten Kombination zu fördern; zuletzt aber scheiterte der Plan am Widerspruch Gambettas gegen ihre Bedingungen, und nnn begann der letztere sogleich mit Preßmanövern gegen die Regierung und vorzüglich gegen seinen unmittelbaren Nachfolger. Als Kampfmittel bediente er sich hierbei nicht ungeschickt des Hinweises auf die Misse¬ thaten der Anarchisten, wobei er vollständig die Taktik der Rechten befolgte, welche den Staat und die Gesellschaft sür gefährdet erklären, wenn die Regierung gegen die Wühler und Übelthäter nicht mit Energie andre Mittel anwende als die bisherigen. Auch die Monarchisten tadeln die Regierung, und namentlich Freycinet, weil er zugelassen, daß das Übel soweit um sich gegriffen habe, wenn sie aber dann die Republik für unfähig zu wirksamer Borbengnng und Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/367>, abgerufen am 26.06.2024.