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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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ist, wir haben durchaus uicht die feste Überzeugung, daß die jetzt im Amte be¬
findlichen Herren in nächster Woche noch am Ruder fitzen werden." Diese
Furcht vor stetem Wechsel der Regierung erinnert an den Gefängniswärter, der
Rochefort bat, ihm eine Dekoration zu verschaffen, "Aber ich bin ja im Ge¬
fängnisse, lieber Mann," erwiederte der Pamphletist. "Jawohl, mein Herr, sagte
der Schließer lächelnd, aber ich meine bei der nächsten Revolution." So zünden
die Franzosen dem Satan und zu gleicher Zeit der heiligen Jungfrau eine
Kerze an; denn man muß sich den Rücken decken, da niemand weiß, was der
nächste Tag bringen kann.

Wir furchten, daß diese Schwäche der französischen Regierung von Dauer
sein und noch viel Unheil reifen lassen wird. Die demokratische Regierungs-
form scheint sie zu fordern. Sie verlangt Duldung auch der gefährlichsten
Meinungsäußerungen. Wendet sie Gewalt an, so geht sie leicht in die Brüche.
Als Bonaparte die Sektionen von Paris niederkartütschte, war die Monarchie
bereits im Anzuge, und als Cavaignac 1848 die Anarchisten erdrückte, war bald
darauf die Bahn für das Kaiserreich geöffnet. Der republikanische General
lMte nur dem bonapartistischen Staatsstreiche vorgearbeitet. Er war der Retter
der Gesellschaft vor dem kommunistischen Chaos gewesen, aber die Gesellschaft
hatte daran nicht genug, sie wollte bleibende Rettung, und so kehrte sie dahin
zurück, wo diese allein zu finden ist, zur Monarchie. Umgab sich diese mit
einigen demokratischen Einrichtungen, so war es nur Dekoration.

So fährt das Schiff der französischen Republik immer näher ans die Stelle
zu, wo Scylla und Charhbdis sie bedrohen. Von der einen Seite die Anarchie
der Roten, von der andern die Monarchie in irgend welcher Form, herbeige¬
sehnt von denen, welche Stetigkeit, Festigkeit und Sicherheit wünschen, dazwischen
eine Partei unklarer und unentschlossener Politiker, die unter sich nicht einig
sind, wo Gambetta mit aller Macht intriguirt und Clemeneeau von Woche zu
Woche mehr Boden erobert, das ist das Bild dieser Republik, der wir gern
eine bessere Zukunft gönnten als die, welche ihr bevorzustehen scheint. Nicht
der schönen Augen der Franzosen wegen, sondern in unserm eignen Interesse.
Denn die Metamorphosen, die leicht aufeinanderfolgen können, nennen sich
Anarchie, Säbelregiment und Monarchie, und die letztere bedeutet Befähigung
zu einem Bündnisse mit Rußland, das gegen niemand anders gerichtet sein
würde als gegen uns.




^rmzbotm IV. 1888.45

ist, wir haben durchaus uicht die feste Überzeugung, daß die jetzt im Amte be¬
findlichen Herren in nächster Woche noch am Ruder fitzen werden." Diese
Furcht vor stetem Wechsel der Regierung erinnert an den Gefängniswärter, der
Rochefort bat, ihm eine Dekoration zu verschaffen, „Aber ich bin ja im Ge¬
fängnisse, lieber Mann," erwiederte der Pamphletist. „Jawohl, mein Herr, sagte
der Schließer lächelnd, aber ich meine bei der nächsten Revolution." So zünden
die Franzosen dem Satan und zu gleicher Zeit der heiligen Jungfrau eine
Kerze an; denn man muß sich den Rücken decken, da niemand weiß, was der
nächste Tag bringen kann.

Wir furchten, daß diese Schwäche der französischen Regierung von Dauer
sein und noch viel Unheil reifen lassen wird. Die demokratische Regierungs-
form scheint sie zu fordern. Sie verlangt Duldung auch der gefährlichsten
Meinungsäußerungen. Wendet sie Gewalt an, so geht sie leicht in die Brüche.
Als Bonaparte die Sektionen von Paris niederkartütschte, war die Monarchie
bereits im Anzuge, und als Cavaignac 1848 die Anarchisten erdrückte, war bald
darauf die Bahn für das Kaiserreich geöffnet. Der republikanische General
lMte nur dem bonapartistischen Staatsstreiche vorgearbeitet. Er war der Retter
der Gesellschaft vor dem kommunistischen Chaos gewesen, aber die Gesellschaft
hatte daran nicht genug, sie wollte bleibende Rettung, und so kehrte sie dahin
zurück, wo diese allein zu finden ist, zur Monarchie. Umgab sich diese mit
einigen demokratischen Einrichtungen, so war es nur Dekoration.

So fährt das Schiff der französischen Republik immer näher ans die Stelle
zu, wo Scylla und Charhbdis sie bedrohen. Von der einen Seite die Anarchie
der Roten, von der andern die Monarchie in irgend welcher Form, herbeige¬
sehnt von denen, welche Stetigkeit, Festigkeit und Sicherheit wünschen, dazwischen
eine Partei unklarer und unentschlossener Politiker, die unter sich nicht einig
sind, wo Gambetta mit aller Macht intriguirt und Clemeneeau von Woche zu
Woche mehr Boden erobert, das ist das Bild dieser Republik, der wir gern
eine bessere Zukunft gönnten als die, welche ihr bevorzustehen scheint. Nicht
der schönen Augen der Franzosen wegen, sondern in unserm eignen Interesse.
Denn die Metamorphosen, die leicht aufeinanderfolgen können, nennen sich
Anarchie, Säbelregiment und Monarchie, und die letztere bedeutet Befähigung
zu einem Bündnisse mit Rußland, das gegen niemand anders gerichtet sein
würde als gegen uns.




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[0357] ist, wir haben durchaus uicht die feste Überzeugung, daß die jetzt im Amte be¬ findlichen Herren in nächster Woche noch am Ruder fitzen werden." Diese Furcht vor stetem Wechsel der Regierung erinnert an den Gefängniswärter, der Rochefort bat, ihm eine Dekoration zu verschaffen, „Aber ich bin ja im Ge¬ fängnisse, lieber Mann," erwiederte der Pamphletist. „Jawohl, mein Herr, sagte der Schließer lächelnd, aber ich meine bei der nächsten Revolution." So zünden die Franzosen dem Satan und zu gleicher Zeit der heiligen Jungfrau eine Kerze an; denn man muß sich den Rücken decken, da niemand weiß, was der nächste Tag bringen kann. Wir furchten, daß diese Schwäche der französischen Regierung von Dauer sein und noch viel Unheil reifen lassen wird. Die demokratische Regierungs- form scheint sie zu fordern. Sie verlangt Duldung auch der gefährlichsten Meinungsäußerungen. Wendet sie Gewalt an, so geht sie leicht in die Brüche. Als Bonaparte die Sektionen von Paris niederkartütschte, war die Monarchie bereits im Anzuge, und als Cavaignac 1848 die Anarchisten erdrückte, war bald darauf die Bahn für das Kaiserreich geöffnet. Der republikanische General lMte nur dem bonapartistischen Staatsstreiche vorgearbeitet. Er war der Retter der Gesellschaft vor dem kommunistischen Chaos gewesen, aber die Gesellschaft hatte daran nicht genug, sie wollte bleibende Rettung, und so kehrte sie dahin zurück, wo diese allein zu finden ist, zur Monarchie. Umgab sich diese mit einigen demokratischen Einrichtungen, so war es nur Dekoration. So fährt das Schiff der französischen Republik immer näher ans die Stelle zu, wo Scylla und Charhbdis sie bedrohen. Von der einen Seite die Anarchie der Roten, von der andern die Monarchie in irgend welcher Form, herbeige¬ sehnt von denen, welche Stetigkeit, Festigkeit und Sicherheit wünschen, dazwischen eine Partei unklarer und unentschlossener Politiker, die unter sich nicht einig sind, wo Gambetta mit aller Macht intriguirt und Clemeneeau von Woche zu Woche mehr Boden erobert, das ist das Bild dieser Republik, der wir gern eine bessere Zukunft gönnten als die, welche ihr bevorzustehen scheint. Nicht der schönen Augen der Franzosen wegen, sondern in unserm eignen Interesse. Denn die Metamorphosen, die leicht aufeinanderfolgen können, nennen sich Anarchie, Säbelregiment und Monarchie, und die letztere bedeutet Befähigung zu einem Bündnisse mit Rußland, das gegen niemand anders gerichtet sein würde als gegen uns. ^rmzbotm IV. 1888.45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/357>, abgerufen am 26.06.2024.