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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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kamen bei den Novemberwahlen 1.791 auf etwa dreitausend Wähler nicht mehr
als fünf- oder sechshundert, bei denen von 1792 auf etwa siebentausend Wähler
auch nicht mehr Revolutionsmänner aller Schattirungen, Girondisten und Mit¬
glieder des Bergs. In Paris waren im Oktober 1791 unter nngeführ einnnd-
achtzigtansend Eingeschriebenen sechstansendsiebenhnndcrt und im November 1792
unter hnudertundsechzigtansend nicht ganz vierzehntausend Jakobiner. . . Gegen
das Ende des letztgenannten Jahres entdeckte mau deren in Straßburg unter
fünfundzwanzig bis dreißigtausend Einwohnern kaum dreihundert, in Paris nnter
siebenmalhnnderttausend Einwohnern nicht mehr als fünftausend. Sicherlich
werden sie in der Hauptstadt, wo sie hitziger und zahlreicher als anderwärts
waren, selbst in der Zeit von Krise", wo man Vagabunden besoldete lind Ban¬
diten warb, nie über zehntausend Köpfe stark gewesen sein. . . Rechnen wir ans
jede kleine Stadt fünfzig, ans jedes große Dorf fünfzehn bis zwanzig, ans jedes
kleine fünf oder sechs, so kommt im Durchschnitt aus etwa fünfzehn Wähler und
Natioualgardisien ein Jakobiner, und die über ganz Frankreich zerstreuten Mit¬
glieder der Selte zählen zusammen ungefähr dreimalhunderttausend. Das scheint
nicht hinzureichen, um sechs bis sieben Millionen erwachsener Männer zu
knechten und über ein Land, welches sechsundzwnnzig Millionen Einwohner um¬
faßt, eiuen Despotismus zu üben, welcher absoluter war als derjenige der
asiatischen Herrscher." Aber die Macht mißt sich nicht mit der Zahl, die Jako¬
biner waren "eine Schaar in einer Masse und zwar in einer desorganisirten,
unbeholfenen Masse eine wohlgeordnete, festgeschlvssene Schaar, die wie ein Eisen¬
keil in einen Schutthaufen eindrang."

So verhielt sichs anch später. Der große Arbeiteranfstand von 1343
wurde von wenigen Hunderten verzweifelter Gesellen in Szene gesetzt, die etliche
tausend ebenso verzweifelter Bummler und Hungerleider ins Treffen führten.
Der Auflauf, welcher 1370 die Herren Favre, Gambetta und Rochefort im
Stadthause von Paris als Negierung installirte, ging gleichfalls von wenige"
Leuten aus und gelang uur, weil die Vertreter der Ordnung wie fast immer
den Kopf verloren hatten lind nicht den Widerstand leisteten, den sie nnter andern
Umständen zu leisten imstande gewesen wären. Die Kommune von 1871 endlich
war erwiesenermaßen das Werk einer sehr kleinen Minorität, die dnrch Ent¬
schlossenheit und Geschwindigkeit gegenüber dem feigen und trägen Philistertum
ersetzte, was ihr nu Zahl fehlte.

Aus diesen Gründen können wir uns nicht sehr verwundern, wenn die
Anarchisten in Frankreich an ihr Recht, sich der Herrschaft zu bemächtigen, und
an die Möglichkeit des Erfolges ihrer Bestrebungen glauben. Selbst die Beamten
sühlen sich gelähmt, wenn sie sich der Wendungen erinnern, welche in der Ge¬
schichte der Revolutionen ihres Landes mehr als einmal eingetreten sind. Einer
derselben sagte zu einem englischen Korrespondenten: "Niemand von uns fühlt
sich sicher, daß die Regierung uus unterstütze" wird, und was noch schlimmer


kamen bei den Novemberwahlen 1.791 auf etwa dreitausend Wähler nicht mehr
als fünf- oder sechshundert, bei denen von 1792 auf etwa siebentausend Wähler
auch nicht mehr Revolutionsmänner aller Schattirungen, Girondisten und Mit¬
glieder des Bergs. In Paris waren im Oktober 1791 unter nngeführ einnnd-
achtzigtansend Eingeschriebenen sechstansendsiebenhnndcrt und im November 1792
unter hnudertundsechzigtansend nicht ganz vierzehntausend Jakobiner. . . Gegen
das Ende des letztgenannten Jahres entdeckte mau deren in Straßburg unter
fünfundzwanzig bis dreißigtausend Einwohnern kaum dreihundert, in Paris nnter
siebenmalhnnderttausend Einwohnern nicht mehr als fünftausend. Sicherlich
werden sie in der Hauptstadt, wo sie hitziger und zahlreicher als anderwärts
waren, selbst in der Zeit von Krise», wo man Vagabunden besoldete lind Ban¬
diten warb, nie über zehntausend Köpfe stark gewesen sein. . . Rechnen wir ans
jede kleine Stadt fünfzig, ans jedes große Dorf fünfzehn bis zwanzig, ans jedes
kleine fünf oder sechs, so kommt im Durchschnitt aus etwa fünfzehn Wähler und
Natioualgardisien ein Jakobiner, und die über ganz Frankreich zerstreuten Mit¬
glieder der Selte zählen zusammen ungefähr dreimalhunderttausend. Das scheint
nicht hinzureichen, um sechs bis sieben Millionen erwachsener Männer zu
knechten und über ein Land, welches sechsundzwnnzig Millionen Einwohner um¬
faßt, eiuen Despotismus zu üben, welcher absoluter war als derjenige der
asiatischen Herrscher." Aber die Macht mißt sich nicht mit der Zahl, die Jako¬
biner waren „eine Schaar in einer Masse und zwar in einer desorganisirten,
unbeholfenen Masse eine wohlgeordnete, festgeschlvssene Schaar, die wie ein Eisen¬
keil in einen Schutthaufen eindrang."

So verhielt sichs anch später. Der große Arbeiteranfstand von 1343
wurde von wenigen Hunderten verzweifelter Gesellen in Szene gesetzt, die etliche
tausend ebenso verzweifelter Bummler und Hungerleider ins Treffen führten.
Der Auflauf, welcher 1370 die Herren Favre, Gambetta und Rochefort im
Stadthause von Paris als Negierung installirte, ging gleichfalls von wenige»
Leuten aus und gelang uur, weil die Vertreter der Ordnung wie fast immer
den Kopf verloren hatten lind nicht den Widerstand leisteten, den sie nnter andern
Umständen zu leisten imstande gewesen wären. Die Kommune von 1871 endlich
war erwiesenermaßen das Werk einer sehr kleinen Minorität, die dnrch Ent¬
schlossenheit und Geschwindigkeit gegenüber dem feigen und trägen Philistertum
ersetzte, was ihr nu Zahl fehlte.

Aus diesen Gründen können wir uns nicht sehr verwundern, wenn die
Anarchisten in Frankreich an ihr Recht, sich der Herrschaft zu bemächtigen, und
an die Möglichkeit des Erfolges ihrer Bestrebungen glauben. Selbst die Beamten
sühlen sich gelähmt, wenn sie sich der Wendungen erinnern, welche in der Ge¬
schichte der Revolutionen ihres Landes mehr als einmal eingetreten sind. Einer
derselben sagte zu einem englischen Korrespondenten: „Niemand von uns fühlt
sich sicher, daß die Regierung uus unterstütze» wird, und was noch schlimmer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/356>, abgerufen am 26.06.2024.