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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Regierung und du' Anarchisten in Frankreich.

der Klubs und Volksversammlungen einer unerhörten Unbeschränktheit. Die
Monarchisten halte" unter der republikanischen Fahne lärmende Bankette, wo
sie auf den "Roy" und das Lilienbanner trinken, die bonapartistischen Blätter
sprechen Tag für Tag davon, daß die Wiederaufrichtung des Kaiserreichs nahe
sei, und der Bürger Rochefort hat die Erlaubnis, Schmähschrift auf Schmähschrift
in Umlauf zu setzen. In allen diesen Fällen ist die Freiheit ihr eignes Heil¬
mittel gewesen, die geringschätzige Duldung der betreffenden Parteien hat den
Beweis geliefert, daß sie wirklich nicht viel bedeuten und nur demonstriren können.
Wenn aber dieselbe Politik den Noten gestattet hat, oratorische Brandfackeln in
die Masse zu werfen und die Begier der Arbeiterbevölkerung nach dein Geld
und Gut der Wohlhabenden zu gewaltsamein Ausbruch zu entflammen, so ist das
etwas ganz andres. Hier wird eine Nevalutiou der gefährlichsten Art vorbereitet.
Jene andern Parteien sind nicht sehr zahlreich, sie paralysiren sich gegenseitig und
sie sind nicht von der Art, daß sie viel wagen. Die Arbeiter dagegen würden,
wenn das kammuuistische und anarchistische Gift sie alle durchdrungen hätte,
eine einzige große Partei bilden, welche die Mehrheit darstellte, und sie haben
in allen Revolutionen der Franzosen außerordentliche Energie an den Tag gelegt.
Sind die Leiter der anarchistischen Partei noch nicht soweit gediehen, so ist es
ihnen infolge der verblendeten Duldsamkeit der Regierenden allem Anscheine
nach doch gelungen, eine weitverzweigte Verschwörung ins Leben zu rufen,
welche den Staat und die Gesellschaft mit Mord, Brandlegung und Dynamit¬
explosionen umwerfen und einen Zustand absoluter Staats- und Gesetzlosigkeit
herbeiführen will.

Wirst man ein, die große Masse der französischen Arbeiter sei von den
Anarchisten noch lange nicht gewonnen, so ist darauf zu antworten: Ganz richtig,
gewiß bilden die Noten nur eine verhältnismäßig kleine Fraktion des Proleta¬
riats Frankreichs; denn sonst hätten sie nicht nötig, zur Ausführung ihrer
Pläne zu Dynamik zu greifen. Sie brauchten sich nur ihres Stimmrechts zu
bedienen und Anarchisten in die Deputirtenkammer zu wählen, welche dann
ganz verfassungsmäßig die Regierung beseitigen und ihr Ideal an deren Stelle
setzen könnten. Es ist unzweifelhaft die Wahrheit, daß die anarchistischen
Schwindler und Schwärmer, welche die französische Republik mit dem Umsturze
bedrohen, kaum den hundertsten Teil der Bevölkerung des Landes ausmachen.
Ebenso wahr aber ist, daß sie rührig und rücksichtslos sind, und daß die Fran¬
zosen immer Minoritäten gehorcht haben, welche diese Eigenschaften besaßen.
Die ärgsten Exzesse der Schreckensherrschaft wurden gegen den Willen von
siebzig Prozent der Einwohner von Paris und mehr als neun Zehnteln der
französischen Bevölkerung begangen. Die Jakobiner beherrschten Frankreich etwa
vier Jahre vollständig, obwohl sie eine verhältnismäßig schwache Minderheit
waren: denn sie waren wohl organisirt, und die radikalste Partei bekommt in revolu¬
tionären Zeiten immer bald das Heft in die Hände. "In Behar^on, sagt Taine,


Die Regierung und du' Anarchisten in Frankreich.

der Klubs und Volksversammlungen einer unerhörten Unbeschränktheit. Die
Monarchisten halte» unter der republikanischen Fahne lärmende Bankette, wo
sie auf den „Roy" und das Lilienbanner trinken, die bonapartistischen Blätter
sprechen Tag für Tag davon, daß die Wiederaufrichtung des Kaiserreichs nahe
sei, und der Bürger Rochefort hat die Erlaubnis, Schmähschrift auf Schmähschrift
in Umlauf zu setzen. In allen diesen Fällen ist die Freiheit ihr eignes Heil¬
mittel gewesen, die geringschätzige Duldung der betreffenden Parteien hat den
Beweis geliefert, daß sie wirklich nicht viel bedeuten und nur demonstriren können.
Wenn aber dieselbe Politik den Noten gestattet hat, oratorische Brandfackeln in
die Masse zu werfen und die Begier der Arbeiterbevölkerung nach dein Geld
und Gut der Wohlhabenden zu gewaltsamein Ausbruch zu entflammen, so ist das
etwas ganz andres. Hier wird eine Nevalutiou der gefährlichsten Art vorbereitet.
Jene andern Parteien sind nicht sehr zahlreich, sie paralysiren sich gegenseitig und
sie sind nicht von der Art, daß sie viel wagen. Die Arbeiter dagegen würden,
wenn das kammuuistische und anarchistische Gift sie alle durchdrungen hätte,
eine einzige große Partei bilden, welche die Mehrheit darstellte, und sie haben
in allen Revolutionen der Franzosen außerordentliche Energie an den Tag gelegt.
Sind die Leiter der anarchistischen Partei noch nicht soweit gediehen, so ist es
ihnen infolge der verblendeten Duldsamkeit der Regierenden allem Anscheine
nach doch gelungen, eine weitverzweigte Verschwörung ins Leben zu rufen,
welche den Staat und die Gesellschaft mit Mord, Brandlegung und Dynamit¬
explosionen umwerfen und einen Zustand absoluter Staats- und Gesetzlosigkeit
herbeiführen will.

Wirst man ein, die große Masse der französischen Arbeiter sei von den
Anarchisten noch lange nicht gewonnen, so ist darauf zu antworten: Ganz richtig,
gewiß bilden die Noten nur eine verhältnismäßig kleine Fraktion des Proleta¬
riats Frankreichs; denn sonst hätten sie nicht nötig, zur Ausführung ihrer
Pläne zu Dynamik zu greifen. Sie brauchten sich nur ihres Stimmrechts zu
bedienen und Anarchisten in die Deputirtenkammer zu wählen, welche dann
ganz verfassungsmäßig die Regierung beseitigen und ihr Ideal an deren Stelle
setzen könnten. Es ist unzweifelhaft die Wahrheit, daß die anarchistischen
Schwindler und Schwärmer, welche die französische Republik mit dem Umsturze
bedrohen, kaum den hundertsten Teil der Bevölkerung des Landes ausmachen.
Ebenso wahr aber ist, daß sie rührig und rücksichtslos sind, und daß die Fran¬
zosen immer Minoritäten gehorcht haben, welche diese Eigenschaften besaßen.
Die ärgsten Exzesse der Schreckensherrschaft wurden gegen den Willen von
siebzig Prozent der Einwohner von Paris und mehr als neun Zehnteln der
französischen Bevölkerung begangen. Die Jakobiner beherrschten Frankreich etwa
vier Jahre vollständig, obwohl sie eine verhältnismäßig schwache Minderheit
waren: denn sie waren wohl organisirt, und die radikalste Partei bekommt in revolu¬
tionären Zeiten immer bald das Heft in die Hände. „In Behar^on, sagt Taine,


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[0355] Die Regierung und du' Anarchisten in Frankreich. der Klubs und Volksversammlungen einer unerhörten Unbeschränktheit. Die Monarchisten halte» unter der republikanischen Fahne lärmende Bankette, wo sie auf den „Roy" und das Lilienbanner trinken, die bonapartistischen Blätter sprechen Tag für Tag davon, daß die Wiederaufrichtung des Kaiserreichs nahe sei, und der Bürger Rochefort hat die Erlaubnis, Schmähschrift auf Schmähschrift in Umlauf zu setzen. In allen diesen Fällen ist die Freiheit ihr eignes Heil¬ mittel gewesen, die geringschätzige Duldung der betreffenden Parteien hat den Beweis geliefert, daß sie wirklich nicht viel bedeuten und nur demonstriren können. Wenn aber dieselbe Politik den Noten gestattet hat, oratorische Brandfackeln in die Masse zu werfen und die Begier der Arbeiterbevölkerung nach dein Geld und Gut der Wohlhabenden zu gewaltsamein Ausbruch zu entflammen, so ist das etwas ganz andres. Hier wird eine Nevalutiou der gefährlichsten Art vorbereitet. Jene andern Parteien sind nicht sehr zahlreich, sie paralysiren sich gegenseitig und sie sind nicht von der Art, daß sie viel wagen. Die Arbeiter dagegen würden, wenn das kammuuistische und anarchistische Gift sie alle durchdrungen hätte, eine einzige große Partei bilden, welche die Mehrheit darstellte, und sie haben in allen Revolutionen der Franzosen außerordentliche Energie an den Tag gelegt. Sind die Leiter der anarchistischen Partei noch nicht soweit gediehen, so ist es ihnen infolge der verblendeten Duldsamkeit der Regierenden allem Anscheine nach doch gelungen, eine weitverzweigte Verschwörung ins Leben zu rufen, welche den Staat und die Gesellschaft mit Mord, Brandlegung und Dynamit¬ explosionen umwerfen und einen Zustand absoluter Staats- und Gesetzlosigkeit herbeiführen will. Wirst man ein, die große Masse der französischen Arbeiter sei von den Anarchisten noch lange nicht gewonnen, so ist darauf zu antworten: Ganz richtig, gewiß bilden die Noten nur eine verhältnismäßig kleine Fraktion des Proleta¬ riats Frankreichs; denn sonst hätten sie nicht nötig, zur Ausführung ihrer Pläne zu Dynamik zu greifen. Sie brauchten sich nur ihres Stimmrechts zu bedienen und Anarchisten in die Deputirtenkammer zu wählen, welche dann ganz verfassungsmäßig die Regierung beseitigen und ihr Ideal an deren Stelle setzen könnten. Es ist unzweifelhaft die Wahrheit, daß die anarchistischen Schwindler und Schwärmer, welche die französische Republik mit dem Umsturze bedrohen, kaum den hundertsten Teil der Bevölkerung des Landes ausmachen. Ebenso wahr aber ist, daß sie rührig und rücksichtslos sind, und daß die Fran¬ zosen immer Minoritäten gehorcht haben, welche diese Eigenschaften besaßen. Die ärgsten Exzesse der Schreckensherrschaft wurden gegen den Willen von siebzig Prozent der Einwohner von Paris und mehr als neun Zehnteln der französischen Bevölkerung begangen. Die Jakobiner beherrschten Frankreich etwa vier Jahre vollständig, obwohl sie eine verhältnismäßig schwache Minderheit waren: denn sie waren wohl organisirt, und die radikalste Partei bekommt in revolu¬ tionären Zeiten immer bald das Heft in die Hände. „In Behar^on, sagt Taine,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/355>, abgerufen am 26.06.2024.