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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Diese Gemeinden rücksichtS- und sinnloser Anarchisten, Kollettivisten und
Kommunisten sind mit ihren oratorischen Leistungen und ihren Gewaltthaten in
Frankreich keine neue Erscheinung. Man kennt die Sekte vielmehr von lange
her. Schon während der ersten französischen Revolution begründete Baboenf
eine Gesellschaft, die sich zu ähnlichen Lehren bekannte, wie sie jetzt in Genf
"ut in den Pariser Klubs der Noten vorgetragen werden. Schon damals gab
es eine Gruppe verbissener Menschen, denen jede Regierung, auch die republi¬
kanische, als ein Übel erschien, und die in politischen Fragen kein andres Gefühl
kannten als grimmigen Neid und Haß der Armen gegen die Reichen. In diesem
Kriege tritt an die Stelle des Aristokraten von ehedem als der öffentliche Feind,
der mit allen Mitteln zu bekämpfe" und zu vernichten ist, der Kapitalist, d. h.
Leute, die gespart oder Väter, welche sparten, beerbt haben, werden verfolgt und
verdammt von Leuten, die nicht spare" können oder nicht wolle". In der Re¬
volution von 1848 machten sich die Sozialisten sofort bemerklich. Zuerst führte
Louis Blane, ein gelehrter Träumer, die Partei aus ven Friedenspfade dnrch
Utopien, aber schon im Juni wurde der Kriegspfad betreten, ein furchtbarer
Aufstand der sozialistischen Anarchisten rötete die Straßen von Paris drei Tage
lang mit Blut, bis die Kanonen Cavaignaes den Insurgenten Achtung vor dem
Gesetze gelehrt hatten. Das Kaiserreich verstand die Umsturzpartei niederzu¬
halten, aber die Verschwörer gegen die Ordnung arbeiteten im Geheimen fort
und warteten ihre Zeit ab. Diese kam im März 1871. Die Kommune ent¬
stand und beherrschte Paris mehrere Monate. Wäre sie nur ein Jahr siegreich
gewesen, so würde Frankreich ohne Zweifel weit gründlichere Versuche zur Um¬
gestaltung seiner sozialem Verhältnisse gesehen haben als die Blätter seiner Annalen
bis dahin auszuweisen hatten.

Das gegenwärtige Regime ist nach der einen Seite hin für die Operationen
der Partei, welche alle Überordnung abschaffen und die allgemeine Gleichheit
in Macht und Besitz einführen will, nicht günstig, nach der andern hin aber
schafft es ihnen Gelegenheit. Die Republik ist so eingerichtet, daß die alte
Klage über Beherrschung der Vielen dnrch die Wenigen von Rechtswegen ver¬
stummen sollte. Sie ist aus das allgemeine Stimmrecht basirt, und ihre Be¬
amten sind sämmtlich direkt oder indirekt vom Volke gewählt. Sie steht so
wenig in Verbindung mit der Kirche, daß ihre Präfekten von den Wänden der
Schulstuben die Kruzifixe und Muttergottesbilder nahmen, welche Generationen
hindurch auf die Kinder herabgesehen hatten. Wenn das französische Volk jetzt
seiner Regierung Vorwürfe macht, so klagt es sich selbst an; denn es hat sich
diese Regierung gegeben, dieselbe existirt mir mit ihrer Zustimmung, und lebt
mir, um ihnen zu gefallen. Die Grundsätze der gegenwärtigen Verwalter der
Angelegenheiten Frankreichs aber setzen, wenn sie verwirklicht werden, die Anar¬
chisten in den Stand, eine gefährliche Propaganda zu betreiben. Wie bereits
bemerkt, erfreuen sich unter dem Präsidenten Grevy die Presse und die Redner


Diese Gemeinden rücksichtS- und sinnloser Anarchisten, Kollettivisten und
Kommunisten sind mit ihren oratorischen Leistungen und ihren Gewaltthaten in
Frankreich keine neue Erscheinung. Man kennt die Sekte vielmehr von lange
her. Schon während der ersten französischen Revolution begründete Baboenf
eine Gesellschaft, die sich zu ähnlichen Lehren bekannte, wie sie jetzt in Genf
»ut in den Pariser Klubs der Noten vorgetragen werden. Schon damals gab
es eine Gruppe verbissener Menschen, denen jede Regierung, auch die republi¬
kanische, als ein Übel erschien, und die in politischen Fragen kein andres Gefühl
kannten als grimmigen Neid und Haß der Armen gegen die Reichen. In diesem
Kriege tritt an die Stelle des Aristokraten von ehedem als der öffentliche Feind,
der mit allen Mitteln zu bekämpfe» und zu vernichten ist, der Kapitalist, d. h.
Leute, die gespart oder Väter, welche sparten, beerbt haben, werden verfolgt und
verdammt von Leuten, die nicht spare» können oder nicht wolle». In der Re¬
volution von 1848 machten sich die Sozialisten sofort bemerklich. Zuerst führte
Louis Blane, ein gelehrter Träumer, die Partei aus ven Friedenspfade dnrch
Utopien, aber schon im Juni wurde der Kriegspfad betreten, ein furchtbarer
Aufstand der sozialistischen Anarchisten rötete die Straßen von Paris drei Tage
lang mit Blut, bis die Kanonen Cavaignaes den Insurgenten Achtung vor dem
Gesetze gelehrt hatten. Das Kaiserreich verstand die Umsturzpartei niederzu¬
halten, aber die Verschwörer gegen die Ordnung arbeiteten im Geheimen fort
und warteten ihre Zeit ab. Diese kam im März 1871. Die Kommune ent¬
stand und beherrschte Paris mehrere Monate. Wäre sie nur ein Jahr siegreich
gewesen, so würde Frankreich ohne Zweifel weit gründlichere Versuche zur Um¬
gestaltung seiner sozialem Verhältnisse gesehen haben als die Blätter seiner Annalen
bis dahin auszuweisen hatten.

Das gegenwärtige Regime ist nach der einen Seite hin für die Operationen
der Partei, welche alle Überordnung abschaffen und die allgemeine Gleichheit
in Macht und Besitz einführen will, nicht günstig, nach der andern hin aber
schafft es ihnen Gelegenheit. Die Republik ist so eingerichtet, daß die alte
Klage über Beherrschung der Vielen dnrch die Wenigen von Rechtswegen ver¬
stummen sollte. Sie ist aus das allgemeine Stimmrecht basirt, und ihre Be¬
amten sind sämmtlich direkt oder indirekt vom Volke gewählt. Sie steht so
wenig in Verbindung mit der Kirche, daß ihre Präfekten von den Wänden der
Schulstuben die Kruzifixe und Muttergottesbilder nahmen, welche Generationen
hindurch auf die Kinder herabgesehen hatten. Wenn das französische Volk jetzt
seiner Regierung Vorwürfe macht, so klagt es sich selbst an; denn es hat sich
diese Regierung gegeben, dieselbe existirt mir mit ihrer Zustimmung, und lebt
mir, um ihnen zu gefallen. Die Grundsätze der gegenwärtigen Verwalter der
Angelegenheiten Frankreichs aber setzen, wenn sie verwirklicht werden, die Anar¬
chisten in den Stand, eine gefährliche Propaganda zu betreiben. Wie bereits
bemerkt, erfreuen sich unter dem Präsidenten Grevy die Presse und die Redner


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[0354] Diese Gemeinden rücksichtS- und sinnloser Anarchisten, Kollettivisten und Kommunisten sind mit ihren oratorischen Leistungen und ihren Gewaltthaten in Frankreich keine neue Erscheinung. Man kennt die Sekte vielmehr von lange her. Schon während der ersten französischen Revolution begründete Baboenf eine Gesellschaft, die sich zu ähnlichen Lehren bekannte, wie sie jetzt in Genf »ut in den Pariser Klubs der Noten vorgetragen werden. Schon damals gab es eine Gruppe verbissener Menschen, denen jede Regierung, auch die republi¬ kanische, als ein Übel erschien, und die in politischen Fragen kein andres Gefühl kannten als grimmigen Neid und Haß der Armen gegen die Reichen. In diesem Kriege tritt an die Stelle des Aristokraten von ehedem als der öffentliche Feind, der mit allen Mitteln zu bekämpfe» und zu vernichten ist, der Kapitalist, d. h. Leute, die gespart oder Väter, welche sparten, beerbt haben, werden verfolgt und verdammt von Leuten, die nicht spare» können oder nicht wolle». In der Re¬ volution von 1848 machten sich die Sozialisten sofort bemerklich. Zuerst führte Louis Blane, ein gelehrter Träumer, die Partei aus ven Friedenspfade dnrch Utopien, aber schon im Juni wurde der Kriegspfad betreten, ein furchtbarer Aufstand der sozialistischen Anarchisten rötete die Straßen von Paris drei Tage lang mit Blut, bis die Kanonen Cavaignaes den Insurgenten Achtung vor dem Gesetze gelehrt hatten. Das Kaiserreich verstand die Umsturzpartei niederzu¬ halten, aber die Verschwörer gegen die Ordnung arbeiteten im Geheimen fort und warteten ihre Zeit ab. Diese kam im März 1871. Die Kommune ent¬ stand und beherrschte Paris mehrere Monate. Wäre sie nur ein Jahr siegreich gewesen, so würde Frankreich ohne Zweifel weit gründlichere Versuche zur Um¬ gestaltung seiner sozialem Verhältnisse gesehen haben als die Blätter seiner Annalen bis dahin auszuweisen hatten. Das gegenwärtige Regime ist nach der einen Seite hin für die Operationen der Partei, welche alle Überordnung abschaffen und die allgemeine Gleichheit in Macht und Besitz einführen will, nicht günstig, nach der andern hin aber schafft es ihnen Gelegenheit. Die Republik ist so eingerichtet, daß die alte Klage über Beherrschung der Vielen dnrch die Wenigen von Rechtswegen ver¬ stummen sollte. Sie ist aus das allgemeine Stimmrecht basirt, und ihre Be¬ amten sind sämmtlich direkt oder indirekt vom Volke gewählt. Sie steht so wenig in Verbindung mit der Kirche, daß ihre Präfekten von den Wänden der Schulstuben die Kruzifixe und Muttergottesbilder nahmen, welche Generationen hindurch auf die Kinder herabgesehen hatten. Wenn das französische Volk jetzt seiner Regierung Vorwürfe macht, so klagt es sich selbst an; denn es hat sich diese Regierung gegeben, dieselbe existirt mir mit ihrer Zustimmung, und lebt mir, um ihnen zu gefallen. Die Grundsätze der gegenwärtigen Verwalter der Angelegenheiten Frankreichs aber setzen, wenn sie verwirklicht werden, die Anar¬ chisten in den Stand, eine gefährliche Propaganda zu betreiben. Wie bereits bemerkt, erfreuen sich unter dem Präsidenten Grevy die Presse und die Redner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/354>, abgerufen am 26.06.2024.