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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Seine Verhältnisse und seine Art zu empfinden scheinen von neuem das Witz-
wort Talleyrands zu rechtfertigen, nach welchem "Familienväter zu allem la-
pabel sind."

Was die Anarchisten wollen und nicht wollen, haben sie mit lvbwürdiger
Unverfrorenheit in einem Manifeste ausgesprochen, das sie um die Mitte des
August in ihrer internationalen Versammlung zu Genf entwarfen und nnnahmen.
Dasselbe erinnert an eine Proklamation, welche die Anhänger Blanqnis, des
verrücktesten aller Revolutionäre, vor einiger Zeit vom Stapel ließen, "ud es
heißt darin n. a.: "Als Anarchisten, d. h. Leute ohne Herren, bekämpfen wir
alle diejenigen, welche sich irgend eine Macht angemaßt haben oder sich einer
solchen zu bemächtigen im Begriffe sind Unser Feind ist der Grundbesitzer, der
den Bauern zu seinem Vorteil arbeiten läßt, der Arbeitgeber, welcher die Werk¬
statt besitzt und sie mit Lohnsklaven füllt, der monarchische, oligarchische, demo¬
kratische und bürennkrntische Staat mit seinen Beamten, seineu Offiziersstäben,
Richtern und Spionen, jeder Antoritätsbegriff, nenne man ihn Teufel oder lieber
Gott. . . Unser Feind ist das immer von dem Starken zur Unterdrückung des
Schwachen und zur Rechtfertigung und Heiligung des Verbrechens gemachte Ge¬
setz. . . Wir wollen den Staat abschaffen, nnter welchem Namen er sich anch
verbirgt, wir wollen dem Priester und dem Gesetze gegenüber unsre moralische
Freiheit zurücknehmen. Nach Maßgabe unsrer Kräfte werden wir an der Zer¬
störung aller amtlichen Einrichtungen arbeiten, und wir erklären uns solidarisch
mit jedem einzelne", jeder Gruppe und jeder Gesellschaft, welche das Gesetz durch
eine revolutionäre That verleugnen. . . Jedes gesellschaftliche Erzeugnis ist ein
Kollektivwerk, wir sind also Kommunisten. Wir erkennen, daß ohne die Ver¬
nichtung der patrimonialen, kommunalen, vrvvinzialen und nationalen Grenz¬
steine das Werk der Revolution immer von neuem begonnen werden müßte.
Unsre Aufgabe ist es, das gemeinschaftliche Eigentum zu erobern und zu ver¬
teidigen, gleichviel, was die Sprache und die Etikette der Regierung sein mögen,
die umzustürzen sind."

I" Übereinstimmung mit diesen Wahnsinn eröffnete ein gewisser Lefran^mis
in diese" Tagen eine Versammlung von Pariser Revolutionären mit einer Rede,
in welcher dieses ehemalige Mitglied der Kommune das Anathema über alle
"Mastbürger" aussprach und dann behauptete, Frankreich habe angefangen, der
Unfähigkeit und Erbärmlichkeit der Männer, die jetzt in der Republik herrschten,
überdrüssig zu werden, und die soziale Revolution sei nicht mehr fern. Er stellte
schließlich deu Antrag, die Regierung ironisch zu beglückwünschen, womit er die
Hoffnung verband, dieselbe werde "bald auf dem Misthaufen ihrer Schändlichkeit
verenden." Der Bürger Pierron, der ihm folgte, empfahl, mit der "Bourgeoisie
rein Kehraus zu macheu ohne Gnade und Barmherzigkeit" -- eine Äußerung,
die von der roten Gesellschaft um ihn mit begeistertem Beifall begrüßt
wurde.


Seine Verhältnisse und seine Art zu empfinden scheinen von neuem das Witz-
wort Talleyrands zu rechtfertigen, nach welchem „Familienväter zu allem la-
pabel sind."

Was die Anarchisten wollen und nicht wollen, haben sie mit lvbwürdiger
Unverfrorenheit in einem Manifeste ausgesprochen, das sie um die Mitte des
August in ihrer internationalen Versammlung zu Genf entwarfen und nnnahmen.
Dasselbe erinnert an eine Proklamation, welche die Anhänger Blanqnis, des
verrücktesten aller Revolutionäre, vor einiger Zeit vom Stapel ließen, »ud es
heißt darin n. a.: „Als Anarchisten, d. h. Leute ohne Herren, bekämpfen wir
alle diejenigen, welche sich irgend eine Macht angemaßt haben oder sich einer
solchen zu bemächtigen im Begriffe sind Unser Feind ist der Grundbesitzer, der
den Bauern zu seinem Vorteil arbeiten läßt, der Arbeitgeber, welcher die Werk¬
statt besitzt und sie mit Lohnsklaven füllt, der monarchische, oligarchische, demo¬
kratische und bürennkrntische Staat mit seinen Beamten, seineu Offiziersstäben,
Richtern und Spionen, jeder Antoritätsbegriff, nenne man ihn Teufel oder lieber
Gott. . . Unser Feind ist das immer von dem Starken zur Unterdrückung des
Schwachen und zur Rechtfertigung und Heiligung des Verbrechens gemachte Ge¬
setz. . . Wir wollen den Staat abschaffen, nnter welchem Namen er sich anch
verbirgt, wir wollen dem Priester und dem Gesetze gegenüber unsre moralische
Freiheit zurücknehmen. Nach Maßgabe unsrer Kräfte werden wir an der Zer¬
störung aller amtlichen Einrichtungen arbeiten, und wir erklären uns solidarisch
mit jedem einzelne», jeder Gruppe und jeder Gesellschaft, welche das Gesetz durch
eine revolutionäre That verleugnen. . . Jedes gesellschaftliche Erzeugnis ist ein
Kollektivwerk, wir sind also Kommunisten. Wir erkennen, daß ohne die Ver¬
nichtung der patrimonialen, kommunalen, vrvvinzialen und nationalen Grenz¬
steine das Werk der Revolution immer von neuem begonnen werden müßte.
Unsre Aufgabe ist es, das gemeinschaftliche Eigentum zu erobern und zu ver¬
teidigen, gleichviel, was die Sprache und die Etikette der Regierung sein mögen,
die umzustürzen sind."

I» Übereinstimmung mit diesen Wahnsinn eröffnete ein gewisser Lefran^mis
in diese« Tagen eine Versammlung von Pariser Revolutionären mit einer Rede,
in welcher dieses ehemalige Mitglied der Kommune das Anathema über alle
„Mastbürger" aussprach und dann behauptete, Frankreich habe angefangen, der
Unfähigkeit und Erbärmlichkeit der Männer, die jetzt in der Republik herrschten,
überdrüssig zu werden, und die soziale Revolution sei nicht mehr fern. Er stellte
schließlich deu Antrag, die Regierung ironisch zu beglückwünschen, womit er die
Hoffnung verband, dieselbe werde „bald auf dem Misthaufen ihrer Schändlichkeit
verenden." Der Bürger Pierron, der ihm folgte, empfahl, mit der „Bourgeoisie
rein Kehraus zu macheu ohne Gnade und Barmherzigkeit" — eine Äußerung,
die von der roten Gesellschaft um ihn mit begeistertem Beifall begrüßt
wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/353>, abgerufen am 26.06.2024.