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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Symbolik des ZZlutes.

.Hartmanns Gedicht hat seit Goethe vielfache ästhetische Angriffe erfahren,
man hat das Opfer unnatürlich gefunden, insbesondre die Motivirung von feiten
des Mädchens selbst, das sich zu seinem eignen Seelenheil zum Tode drängt,
für psychologisch unwahr gehalten. Mit Recht nimmt unsre Schrift den Dichter gegen
diese Ausstellungen in Schutz. Hartmann stellt das junge Mädchen dar als
von einer ihm selbst unbewußten Neigung zu dem nrmcu Heinrich erfaßt. Es
ist nicht selten, daß eine solche in einem kindlichen Mndchcnherzen zu dem ersten
edeln Manne Wurzel faßt, an den Verhältnisse sie knüpfen. So ist ihr der
arme Heinrich begegnet, ein edles Wesen ist in ihm, wenn auch von Leiden ent¬
stellt, er bedarf der Hilfe und ist von Kummer gebeugt. Was bedarf es mehr,
ein liebevolles Mädchengemüt in den Jahren der ersten Entfaltung zu fesseln?
In einem solchen keimen die Empfindungen mit zanbervvller Zartheit und Stärke
aber in reiner Unbewußtheit -- eine unbeschreibliche Sehnsucht ohne Begehrlich¬
keit. Solche Mädchenherzen lieben noch, ohne zu verlangen. Oder sie lieben
vielmehr garnicht, es waltet in ihnen ein unaussprechliches Wesen, in dem sie
zum größten aufgelegt sind, dessen die weibliche Natur fähig ist. So liegt in
ihrem Entschluß, sich zu opfern, uicht bloß keine Unnntnr, sondern die tiefste,
herrlichste Natur verborgen.

Wenn nnn das Mädchen über diesen Entschluß Rechenschaft geben soll, wo
anders öffnen sich die Quellen für eine Beredtsnmkeit, der das eigentliche Motiv
der That, die sie unternehmen will, verborgen ist, als, der Zeitrichtung der
Kreuzzüge gemäß, in dem Enthusiasmus der religiösen Askese? Fortgerissen von
einer Empfindung, die dunkel in ihr waltet, nicht wissend, warum sie das will,
wozu es sie drängt, verfällt sie in eine übernatürliche Begeisterung, die ihrem
eignen Wesen sonst fremd ist. So zeugt diese Darstellung Hartmanns von
der tiefsten psychologischen Auffassung der weiblichen Natur. Das Ereignis
selbst ist uach Hartmanns Dichtung so möglich, daß es in demselben Jahrhundert
noch geschehen sein kann, welchem der Dichter mit seinem Geburtsjahr angehört.
In der That ist man geneigt, die historische Wirklichkeit der in Hartmanns
Quelle berichteten Thatsache anzunehmen. Dein Dichter aber gehört die feinsinnige
Ausführung an. Er schafft aus der Geschichte die schönste und reinste Sitten¬
lehre für seine Zeitgenossen: man könne das Leben genießen, aber nicht ohne
Gott; man brauche nicht die Güter der Welt zu verwerfen, aber nicht auf sie
allein das Ziel zu stellen, sei eines Mannes würdig. Er lehrt die süße Gewalt
einer keusch verborgenen Neigung, er lehrt, daß Treue durch Gottes Huld zum
Ziele gelange; er lehrt, daß rücksichtslos nach Besserung der irdischen Verhält¬
nisse gegen Gottes Willen zu streben hurtig sei, daß aber ein liebevolles, minnig-
liches Wesen selbst die Unterschiede ausgleicht, welche Stand und Reichtum
sonst darstellen.




Die Symbolik des ZZlutes.

.Hartmanns Gedicht hat seit Goethe vielfache ästhetische Angriffe erfahren,
man hat das Opfer unnatürlich gefunden, insbesondre die Motivirung von feiten
des Mädchens selbst, das sich zu seinem eignen Seelenheil zum Tode drängt,
für psychologisch unwahr gehalten. Mit Recht nimmt unsre Schrift den Dichter gegen
diese Ausstellungen in Schutz. Hartmann stellt das junge Mädchen dar als
von einer ihm selbst unbewußten Neigung zu dem nrmcu Heinrich erfaßt. Es
ist nicht selten, daß eine solche in einem kindlichen Mndchcnherzen zu dem ersten
edeln Manne Wurzel faßt, an den Verhältnisse sie knüpfen. So ist ihr der
arme Heinrich begegnet, ein edles Wesen ist in ihm, wenn auch von Leiden ent¬
stellt, er bedarf der Hilfe und ist von Kummer gebeugt. Was bedarf es mehr,
ein liebevolles Mädchengemüt in den Jahren der ersten Entfaltung zu fesseln?
In einem solchen keimen die Empfindungen mit zanbervvller Zartheit und Stärke
aber in reiner Unbewußtheit — eine unbeschreibliche Sehnsucht ohne Begehrlich¬
keit. Solche Mädchenherzen lieben noch, ohne zu verlangen. Oder sie lieben
vielmehr garnicht, es waltet in ihnen ein unaussprechliches Wesen, in dem sie
zum größten aufgelegt sind, dessen die weibliche Natur fähig ist. So liegt in
ihrem Entschluß, sich zu opfern, uicht bloß keine Unnntnr, sondern die tiefste,
herrlichste Natur verborgen.

Wenn nnn das Mädchen über diesen Entschluß Rechenschaft geben soll, wo
anders öffnen sich die Quellen für eine Beredtsnmkeit, der das eigentliche Motiv
der That, die sie unternehmen will, verborgen ist, als, der Zeitrichtung der
Kreuzzüge gemäß, in dem Enthusiasmus der religiösen Askese? Fortgerissen von
einer Empfindung, die dunkel in ihr waltet, nicht wissend, warum sie das will,
wozu es sie drängt, verfällt sie in eine übernatürliche Begeisterung, die ihrem
eignen Wesen sonst fremd ist. So zeugt diese Darstellung Hartmanns von
der tiefsten psychologischen Auffassung der weiblichen Natur. Das Ereignis
selbst ist uach Hartmanns Dichtung so möglich, daß es in demselben Jahrhundert
noch geschehen sein kann, welchem der Dichter mit seinem Geburtsjahr angehört.
In der That ist man geneigt, die historische Wirklichkeit der in Hartmanns
Quelle berichteten Thatsache anzunehmen. Dein Dichter aber gehört die feinsinnige
Ausführung an. Er schafft aus der Geschichte die schönste und reinste Sitten¬
lehre für seine Zeitgenossen: man könne das Leben genießen, aber nicht ohne
Gott; man brauche nicht die Güter der Welt zu verwerfen, aber nicht auf sie
allein das Ziel zu stellen, sei eines Mannes würdig. Er lehrt die süße Gewalt
einer keusch verborgenen Neigung, er lehrt, daß Treue durch Gottes Huld zum
Ziele gelange; er lehrt, daß rücksichtslos nach Besserung der irdischen Verhält¬
nisse gegen Gottes Willen zu streben hurtig sei, daß aber ein liebevolles, minnig-
liches Wesen selbst die Unterschiede ausgleicht, welche Stand und Reichtum
sonst darstellen.




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[0337] Die Symbolik des ZZlutes. .Hartmanns Gedicht hat seit Goethe vielfache ästhetische Angriffe erfahren, man hat das Opfer unnatürlich gefunden, insbesondre die Motivirung von feiten des Mädchens selbst, das sich zu seinem eignen Seelenheil zum Tode drängt, für psychologisch unwahr gehalten. Mit Recht nimmt unsre Schrift den Dichter gegen diese Ausstellungen in Schutz. Hartmann stellt das junge Mädchen dar als von einer ihm selbst unbewußten Neigung zu dem nrmcu Heinrich erfaßt. Es ist nicht selten, daß eine solche in einem kindlichen Mndchcnherzen zu dem ersten edeln Manne Wurzel faßt, an den Verhältnisse sie knüpfen. So ist ihr der arme Heinrich begegnet, ein edles Wesen ist in ihm, wenn auch von Leiden ent¬ stellt, er bedarf der Hilfe und ist von Kummer gebeugt. Was bedarf es mehr, ein liebevolles Mädchengemüt in den Jahren der ersten Entfaltung zu fesseln? In einem solchen keimen die Empfindungen mit zanbervvller Zartheit und Stärke aber in reiner Unbewußtheit — eine unbeschreibliche Sehnsucht ohne Begehrlich¬ keit. Solche Mädchenherzen lieben noch, ohne zu verlangen. Oder sie lieben vielmehr garnicht, es waltet in ihnen ein unaussprechliches Wesen, in dem sie zum größten aufgelegt sind, dessen die weibliche Natur fähig ist. So liegt in ihrem Entschluß, sich zu opfern, uicht bloß keine Unnntnr, sondern die tiefste, herrlichste Natur verborgen. Wenn nnn das Mädchen über diesen Entschluß Rechenschaft geben soll, wo anders öffnen sich die Quellen für eine Beredtsnmkeit, der das eigentliche Motiv der That, die sie unternehmen will, verborgen ist, als, der Zeitrichtung der Kreuzzüge gemäß, in dem Enthusiasmus der religiösen Askese? Fortgerissen von einer Empfindung, die dunkel in ihr waltet, nicht wissend, warum sie das will, wozu es sie drängt, verfällt sie in eine übernatürliche Begeisterung, die ihrem eignen Wesen sonst fremd ist. So zeugt diese Darstellung Hartmanns von der tiefsten psychologischen Auffassung der weiblichen Natur. Das Ereignis selbst ist uach Hartmanns Dichtung so möglich, daß es in demselben Jahrhundert noch geschehen sein kann, welchem der Dichter mit seinem Geburtsjahr angehört. In der That ist man geneigt, die historische Wirklichkeit der in Hartmanns Quelle berichteten Thatsache anzunehmen. Dein Dichter aber gehört die feinsinnige Ausführung an. Er schafft aus der Geschichte die schönste und reinste Sitten¬ lehre für seine Zeitgenossen: man könne das Leben genießen, aber nicht ohne Gott; man brauche nicht die Güter der Welt zu verwerfen, aber nicht auf sie allein das Ziel zu stellen, sei eines Mannes würdig. Er lehrt die süße Gewalt einer keusch verborgenen Neigung, er lehrt, daß Treue durch Gottes Huld zum Ziele gelange; er lehrt, daß rücksichtslos nach Besserung der irdischen Verhält¬ nisse gegen Gottes Willen zu streben hurtig sei, daß aber ein liebevolles, minnig- liches Wesen selbst die Unterschiede ausgleicht, welche Stand und Reichtum sonst darstellen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/337>, abgerufen am 26.06.2024.