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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Symbolik des Blutes.

jemanden die mit Blut befeuchteten Späne des Schaffots hinunterschlucken. Der Un¬
schuld vor der Sünde wird in diesem Falle die Sühne nach der Schuld gegenüber-
nnd gleichgestellt. Ju dem Blute eines gerichteten Verbrechers ist diese Sühne
essenzartig vorhanden, man schluckt sie leiblich hinunter als geistiges Medikament.
Der Sinn hiervon war freilich denen nicht mehr bekannt, die den Akt ausübten.

Kein Wunder, daß sich auch die Heilung durch Kinderblut der Unschuld
im Wissen des Volkes und der Ärzte erhalten hat. Selbst der geistreiche Bacon
wagte es uoch uicht, sie mit aller Bestimmtheit zu verwerfen, und noch im vorigen
Jahrhundert führte ein Gerücht, daß Ludwig XV., um sein Leben wieder auf¬
zufrischen, Bäder vou Menschenblut veranstaltet habe, in Paris zu unruhigen
Szenen. Aber während sonst der Versuch, die Schickung Gottes, die Krankheit,
dnrch das Blut zu heilen heidnisch ist, wird die Blntheilung nnn in den VolkS-
erzähluugeu vom christlichen Geiste selbst legitimirt. In der Sage von Amiens
und Amelins rät der Engel Raphael selbst, als der eine Freund aussätzig wird,
dem andern, die eignen Kinder zu schlachten und in deren Blut jenen zu waschen,
um ihm den schuldigen Dank und seine Treue zu beweisen. Auch in der Sage
von Engelhard und Engeltraut und in der vou deu Jakobsbrüderu ist es ein
Engel, der dies höchste Freuudschaftsopfer zu bringen empfiehlt. Wenn nun
auch in alleu diesen Fällen das Wunder geschieht, daß die Kinder wieder lebend
werden und nur rote streife" um den Hälsen behalten, so ist die Blntheilung
doch anerkannt und im Namen Gottes geschehen.

Reiner und edler erscheint die Blutsage in der Dichtung Hartmanns.
Nirgends ist das Motiv der Blutheiluug sinniger und natürlicher verwendet.
Sie ist hier wieder ein Mittel der weisen Weltlichkeit ohne Gott. Der Welt¬
liche sucht ein weltliches, künstliches, käufliches Medikament, aber eben deshalb
wird seine weltliche Gesinnung dnrch diese Weltlichkeit selbst gedemütigt. Die
Reichen und Großen denken, sie können alles mit ihrem Gelde erkaufen; aber
Unschuld und Liebe können sie uicht erzwingen. Sehr wesentlich ist dabei die
Änderung in dem vorgeschlagenen ärztlichen Heilmittel; nicht das Blut von
Kindern, wie in allen übrigen Erzählungen, sondern das einer Jungfrau ist er¬
forderlich, in die Blutheiluug durch die Unschuld ist somit die dnrch die freie
aufopfernde Liebe eingemischt worden. Die Heilung dnrch Kinderblut ist nicht
so unmöglich; die Kinder sind der Macht andrer anheimgegeben, Herrschaft und
Gold tonnen dabei einen fürchterlichen Einfluß üben. Wäre dies dem Herrn
Heinrich aufgegeben worden, die verzweifelte Weltlichkeit hätte vielleicht Rat ge¬
schafft. Aber freiwillige Liebe bis zum Tode zu erzwingen ist Menschen un¬
möglich. Der Dichter faßt also die alte Tradition ganz ethisch uns; den Glauben
der Ärzte an die heilende Kraft des Blutes, in welchem Unschuld und Liebe die
Ingredienzen bilden, also die äußerliche Wirkung der innerlichen Kräfte in sym¬
pathetischer Weise auf die Krankheit des Leibes, verwendet er zur Demütigung
derer, die auf die ärztliche Weisheit hoffen.


Die Symbolik des Blutes.

jemanden die mit Blut befeuchteten Späne des Schaffots hinunterschlucken. Der Un¬
schuld vor der Sünde wird in diesem Falle die Sühne nach der Schuld gegenüber-
nnd gleichgestellt. Ju dem Blute eines gerichteten Verbrechers ist diese Sühne
essenzartig vorhanden, man schluckt sie leiblich hinunter als geistiges Medikament.
Der Sinn hiervon war freilich denen nicht mehr bekannt, die den Akt ausübten.

Kein Wunder, daß sich auch die Heilung durch Kinderblut der Unschuld
im Wissen des Volkes und der Ärzte erhalten hat. Selbst der geistreiche Bacon
wagte es uoch uicht, sie mit aller Bestimmtheit zu verwerfen, und noch im vorigen
Jahrhundert führte ein Gerücht, daß Ludwig XV., um sein Leben wieder auf¬
zufrischen, Bäder vou Menschenblut veranstaltet habe, in Paris zu unruhigen
Szenen. Aber während sonst der Versuch, die Schickung Gottes, die Krankheit,
dnrch das Blut zu heilen heidnisch ist, wird die Blntheilung nnn in den VolkS-
erzähluugeu vom christlichen Geiste selbst legitimirt. In der Sage von Amiens
und Amelins rät der Engel Raphael selbst, als der eine Freund aussätzig wird,
dem andern, die eignen Kinder zu schlachten und in deren Blut jenen zu waschen,
um ihm den schuldigen Dank und seine Treue zu beweisen. Auch in der Sage
von Engelhard und Engeltraut und in der vou deu Jakobsbrüderu ist es ein
Engel, der dies höchste Freuudschaftsopfer zu bringen empfiehlt. Wenn nun
auch in alleu diesen Fällen das Wunder geschieht, daß die Kinder wieder lebend
werden und nur rote streife» um den Hälsen behalten, so ist die Blntheilung
doch anerkannt und im Namen Gottes geschehen.

Reiner und edler erscheint die Blutsage in der Dichtung Hartmanns.
Nirgends ist das Motiv der Blutheiluug sinniger und natürlicher verwendet.
Sie ist hier wieder ein Mittel der weisen Weltlichkeit ohne Gott. Der Welt¬
liche sucht ein weltliches, künstliches, käufliches Medikament, aber eben deshalb
wird seine weltliche Gesinnung dnrch diese Weltlichkeit selbst gedemütigt. Die
Reichen und Großen denken, sie können alles mit ihrem Gelde erkaufen; aber
Unschuld und Liebe können sie uicht erzwingen. Sehr wesentlich ist dabei die
Änderung in dem vorgeschlagenen ärztlichen Heilmittel; nicht das Blut von
Kindern, wie in allen übrigen Erzählungen, sondern das einer Jungfrau ist er¬
forderlich, in die Blutheiluug durch die Unschuld ist somit die dnrch die freie
aufopfernde Liebe eingemischt worden. Die Heilung dnrch Kinderblut ist nicht
so unmöglich; die Kinder sind der Macht andrer anheimgegeben, Herrschaft und
Gold tonnen dabei einen fürchterlichen Einfluß üben. Wäre dies dem Herrn
Heinrich aufgegeben worden, die verzweifelte Weltlichkeit hätte vielleicht Rat ge¬
schafft. Aber freiwillige Liebe bis zum Tode zu erzwingen ist Menschen un¬
möglich. Der Dichter faßt also die alte Tradition ganz ethisch uns; den Glauben
der Ärzte an die heilende Kraft des Blutes, in welchem Unschuld und Liebe die
Ingredienzen bilden, also die äußerliche Wirkung der innerlichen Kräfte in sym¬
pathetischer Weise auf die Krankheit des Leibes, verwendet er zur Demütigung
derer, die auf die ärztliche Weisheit hoffen.


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[0336] Die Symbolik des Blutes. jemanden die mit Blut befeuchteten Späne des Schaffots hinunterschlucken. Der Un¬ schuld vor der Sünde wird in diesem Falle die Sühne nach der Schuld gegenüber- nnd gleichgestellt. Ju dem Blute eines gerichteten Verbrechers ist diese Sühne essenzartig vorhanden, man schluckt sie leiblich hinunter als geistiges Medikament. Der Sinn hiervon war freilich denen nicht mehr bekannt, die den Akt ausübten. Kein Wunder, daß sich auch die Heilung durch Kinderblut der Unschuld im Wissen des Volkes und der Ärzte erhalten hat. Selbst der geistreiche Bacon wagte es uoch uicht, sie mit aller Bestimmtheit zu verwerfen, und noch im vorigen Jahrhundert führte ein Gerücht, daß Ludwig XV., um sein Leben wieder auf¬ zufrischen, Bäder vou Menschenblut veranstaltet habe, in Paris zu unruhigen Szenen. Aber während sonst der Versuch, die Schickung Gottes, die Krankheit, dnrch das Blut zu heilen heidnisch ist, wird die Blntheilung nnn in den VolkS- erzähluugeu vom christlichen Geiste selbst legitimirt. In der Sage von Amiens und Amelins rät der Engel Raphael selbst, als der eine Freund aussätzig wird, dem andern, die eignen Kinder zu schlachten und in deren Blut jenen zu waschen, um ihm den schuldigen Dank und seine Treue zu beweisen. Auch in der Sage von Engelhard und Engeltraut und in der vou deu Jakobsbrüderu ist es ein Engel, der dies höchste Freuudschaftsopfer zu bringen empfiehlt. Wenn nun auch in alleu diesen Fällen das Wunder geschieht, daß die Kinder wieder lebend werden und nur rote streife» um den Hälsen behalten, so ist die Blntheilung doch anerkannt und im Namen Gottes geschehen. Reiner und edler erscheint die Blutsage in der Dichtung Hartmanns. Nirgends ist das Motiv der Blutheiluug sinniger und natürlicher verwendet. Sie ist hier wieder ein Mittel der weisen Weltlichkeit ohne Gott. Der Welt¬ liche sucht ein weltliches, künstliches, käufliches Medikament, aber eben deshalb wird seine weltliche Gesinnung dnrch diese Weltlichkeit selbst gedemütigt. Die Reichen und Großen denken, sie können alles mit ihrem Gelde erkaufen; aber Unschuld und Liebe können sie uicht erzwingen. Sehr wesentlich ist dabei die Änderung in dem vorgeschlagenen ärztlichen Heilmittel; nicht das Blut von Kindern, wie in allen übrigen Erzählungen, sondern das einer Jungfrau ist er¬ forderlich, in die Blutheiluug durch die Unschuld ist somit die dnrch die freie aufopfernde Liebe eingemischt worden. Die Heilung dnrch Kinderblut ist nicht so unmöglich; die Kinder sind der Macht andrer anheimgegeben, Herrschaft und Gold tonnen dabei einen fürchterlichen Einfluß üben. Wäre dies dem Herrn Heinrich aufgegeben worden, die verzweifelte Weltlichkeit hätte vielleicht Rat ge¬ schafft. Aber freiwillige Liebe bis zum Tode zu erzwingen ist Menschen un¬ möglich. Der Dichter faßt also die alte Tradition ganz ethisch uns; den Glauben der Ärzte an die heilende Kraft des Blutes, in welchem Unschuld und Liebe die Ingredienzen bilden, also die äußerliche Wirkung der innerlichen Kräfte in sym¬ pathetischer Weise auf die Krankheit des Leibes, verwendet er zur Demütigung derer, die auf die ärztliche Weisheit hoffen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/336>, abgerufen am 26.06.2024.