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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Symbolik des Blutes.

Den Anschauungen, von denen bisher die Rede gewesen, verdankt nun auch
die Lehre von der Heilung des Aussatzes ihren Ursprung. Der angenommene
Zusammenhang zwischen Leib und Seele bewirkte, daß die Sünden der Seele
dem Körper Krankheiten zuzogen. Langwierige und unheilbare Krankheiten waren
eine besondre Strafe der Gottheit. Dies galt namentlich von dem in Ägypten
heimischen Aussatz, Da die Unreinheit der Seele den unreinen Körper hervor¬
bringt, so ist eine Heilung nur möglich, wenn die erstere wieder rein wird.
Könnte man von außen diese Reinigung der Seele vornehmen, konnte man durch
den Leib die frühere Unschuld wieder aufnehme", so müßte die Krankheit weichen.
Dies Bild wird ganz sinnlich aufgefaßt und die schwere Lehre schöner Sitten¬
regel in das leichte Mittel der Grausamkeit umgesetzt. Was ist reiner als die
Unschuld eines Kindes? So glaubt mau denn mit dessen Blut -- im Blute
befindet sich ja die Essenz des menschlichen Wesens -- den Aussätzigen Heilen
zu können. Auch im alten Testament wird der Aussatz als Strafe für manches
Bergehen gegen Gott und die Wahrheit verhängt, aber nicht menschliche Mittel,
nur Gott kann sie heilen. In der jüdischen Tradition freilich ist die Ansicht
von der Möglichkeit einer Heilung durch Menschenblut vorhanden. Nach ihr
muß der aussätzige Pharao sich morgens und abends im Blute von hundertund¬
funfzig Kindern baden, um wieder gesund zu werde". Doch gilt dies Mittel
als gottesfeindlich und heidnisch. Noch mehr war dies die ursprüngliche An¬
schauung bei den Christe", da ihnen der heilenden, heiligen Kraft des christlichen
Glaubens gegenüber ärztliches Wesen überhaupt mit heidnischem fast identisch
erschien. Darum sind es heidnische Priester, die Konstantin d. Gr., als er vor
seiner Bekehrung vom Aussatz befallen wird, anraten, einen Teich von Kindes¬
blut anzulegen und sich darin zu baden; aber da ihn das Jammern der Mütter
davon zurückschreckt, heilt ihn Papst Silvester durch die Taufe. Auch jüdische
Ärzte wenden in christlichen Erzählungen dies Mittel an. Historisch ist, daß
dem hoffnungslos erkrankten Papst Innocenz VIII. ein jüdischer Arzt versprach,
ihn mit einem Destillat aus dem Blut dreier Knaben gesund zu machen. Die
Kinder erlagen der Operation, der Papst starb, der Arzt mußte fliehen.

Das Christentum hatte andre Mittel, zu heilen, die Macht des Glaubens,
das bloße Wort, Gebet, Berührung u. s. w. Aber trotz aller geistlichen Ein¬
flüsse hat die elastische Natur des Volkslebens einen reichen Stoff heidnischer
Anschauungen bewahrt, die auch auf die ärztliche Wissenschaft der Zeit von
großem Einfluß waren. Die praktische Medizin des Mittelalters hat die sym¬
pathetische Heilungsweise, diese volkstümliche phantastische Schöpfung, niemals
aufgegeben. Mit dem Blut getöteter Menschen glaubte mau die Epilepsie und
noch andre Krankheiten heilen zu können. Und dieser Aberglaube hat sich bis
'n unsre Tage erhalten, wo man dem Blute Hingerichteter eine besondre Wirk¬
samkeit zuschrieb und oft für einen mit demselben getränkten Lappen viel Geld
Zahlte. Noch 1848 sah man in Berlin bei der Hinrichtung eines Raubmörders


Die Symbolik des Blutes.

Den Anschauungen, von denen bisher die Rede gewesen, verdankt nun auch
die Lehre von der Heilung des Aussatzes ihren Ursprung. Der angenommene
Zusammenhang zwischen Leib und Seele bewirkte, daß die Sünden der Seele
dem Körper Krankheiten zuzogen. Langwierige und unheilbare Krankheiten waren
eine besondre Strafe der Gottheit. Dies galt namentlich von dem in Ägypten
heimischen Aussatz, Da die Unreinheit der Seele den unreinen Körper hervor¬
bringt, so ist eine Heilung nur möglich, wenn die erstere wieder rein wird.
Könnte man von außen diese Reinigung der Seele vornehmen, konnte man durch
den Leib die frühere Unschuld wieder aufnehme», so müßte die Krankheit weichen.
Dies Bild wird ganz sinnlich aufgefaßt und die schwere Lehre schöner Sitten¬
regel in das leichte Mittel der Grausamkeit umgesetzt. Was ist reiner als die
Unschuld eines Kindes? So glaubt mau denn mit dessen Blut — im Blute
befindet sich ja die Essenz des menschlichen Wesens — den Aussätzigen Heilen
zu können. Auch im alten Testament wird der Aussatz als Strafe für manches
Bergehen gegen Gott und die Wahrheit verhängt, aber nicht menschliche Mittel,
nur Gott kann sie heilen. In der jüdischen Tradition freilich ist die Ansicht
von der Möglichkeit einer Heilung durch Menschenblut vorhanden. Nach ihr
muß der aussätzige Pharao sich morgens und abends im Blute von hundertund¬
funfzig Kindern baden, um wieder gesund zu werde». Doch gilt dies Mittel
als gottesfeindlich und heidnisch. Noch mehr war dies die ursprüngliche An¬
schauung bei den Christe«, da ihnen der heilenden, heiligen Kraft des christlichen
Glaubens gegenüber ärztliches Wesen überhaupt mit heidnischem fast identisch
erschien. Darum sind es heidnische Priester, die Konstantin d. Gr., als er vor
seiner Bekehrung vom Aussatz befallen wird, anraten, einen Teich von Kindes¬
blut anzulegen und sich darin zu baden; aber da ihn das Jammern der Mütter
davon zurückschreckt, heilt ihn Papst Silvester durch die Taufe. Auch jüdische
Ärzte wenden in christlichen Erzählungen dies Mittel an. Historisch ist, daß
dem hoffnungslos erkrankten Papst Innocenz VIII. ein jüdischer Arzt versprach,
ihn mit einem Destillat aus dem Blut dreier Knaben gesund zu machen. Die
Kinder erlagen der Operation, der Papst starb, der Arzt mußte fliehen.

Das Christentum hatte andre Mittel, zu heilen, die Macht des Glaubens,
das bloße Wort, Gebet, Berührung u. s. w. Aber trotz aller geistlichen Ein¬
flüsse hat die elastische Natur des Volkslebens einen reichen Stoff heidnischer
Anschauungen bewahrt, die auch auf die ärztliche Wissenschaft der Zeit von
großem Einfluß waren. Die praktische Medizin des Mittelalters hat die sym¬
pathetische Heilungsweise, diese volkstümliche phantastische Schöpfung, niemals
aufgegeben. Mit dem Blut getöteter Menschen glaubte mau die Epilepsie und
noch andre Krankheiten heilen zu können. Und dieser Aberglaube hat sich bis
'n unsre Tage erhalten, wo man dem Blute Hingerichteter eine besondre Wirk¬
samkeit zuschrieb und oft für einen mit demselben getränkten Lappen viel Geld
Zahlte. Noch 1848 sah man in Berlin bei der Hinrichtung eines Raubmörders


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[0335] Die Symbolik des Blutes. Den Anschauungen, von denen bisher die Rede gewesen, verdankt nun auch die Lehre von der Heilung des Aussatzes ihren Ursprung. Der angenommene Zusammenhang zwischen Leib und Seele bewirkte, daß die Sünden der Seele dem Körper Krankheiten zuzogen. Langwierige und unheilbare Krankheiten waren eine besondre Strafe der Gottheit. Dies galt namentlich von dem in Ägypten heimischen Aussatz, Da die Unreinheit der Seele den unreinen Körper hervor¬ bringt, so ist eine Heilung nur möglich, wenn die erstere wieder rein wird. Könnte man von außen diese Reinigung der Seele vornehmen, konnte man durch den Leib die frühere Unschuld wieder aufnehme», so müßte die Krankheit weichen. Dies Bild wird ganz sinnlich aufgefaßt und die schwere Lehre schöner Sitten¬ regel in das leichte Mittel der Grausamkeit umgesetzt. Was ist reiner als die Unschuld eines Kindes? So glaubt mau denn mit dessen Blut — im Blute befindet sich ja die Essenz des menschlichen Wesens — den Aussätzigen Heilen zu können. Auch im alten Testament wird der Aussatz als Strafe für manches Bergehen gegen Gott und die Wahrheit verhängt, aber nicht menschliche Mittel, nur Gott kann sie heilen. In der jüdischen Tradition freilich ist die Ansicht von der Möglichkeit einer Heilung durch Menschenblut vorhanden. Nach ihr muß der aussätzige Pharao sich morgens und abends im Blute von hundertund¬ funfzig Kindern baden, um wieder gesund zu werde». Doch gilt dies Mittel als gottesfeindlich und heidnisch. Noch mehr war dies die ursprüngliche An¬ schauung bei den Christe«, da ihnen der heilenden, heiligen Kraft des christlichen Glaubens gegenüber ärztliches Wesen überhaupt mit heidnischem fast identisch erschien. Darum sind es heidnische Priester, die Konstantin d. Gr., als er vor seiner Bekehrung vom Aussatz befallen wird, anraten, einen Teich von Kindes¬ blut anzulegen und sich darin zu baden; aber da ihn das Jammern der Mütter davon zurückschreckt, heilt ihn Papst Silvester durch die Taufe. Auch jüdische Ärzte wenden in christlichen Erzählungen dies Mittel an. Historisch ist, daß dem hoffnungslos erkrankten Papst Innocenz VIII. ein jüdischer Arzt versprach, ihn mit einem Destillat aus dem Blut dreier Knaben gesund zu machen. Die Kinder erlagen der Operation, der Papst starb, der Arzt mußte fliehen. Das Christentum hatte andre Mittel, zu heilen, die Macht des Glaubens, das bloße Wort, Gebet, Berührung u. s. w. Aber trotz aller geistlichen Ein¬ flüsse hat die elastische Natur des Volkslebens einen reichen Stoff heidnischer Anschauungen bewahrt, die auch auf die ärztliche Wissenschaft der Zeit von großem Einfluß waren. Die praktische Medizin des Mittelalters hat die sym¬ pathetische Heilungsweise, diese volkstümliche phantastische Schöpfung, niemals aufgegeben. Mit dem Blut getöteter Menschen glaubte mau die Epilepsie und noch andre Krankheiten heilen zu können. Und dieser Aberglaube hat sich bis 'n unsre Tage erhalten, wo man dem Blute Hingerichteter eine besondre Wirk¬ samkeit zuschrieb und oft für einen mit demselben getränkten Lappen viel Geld Zahlte. Noch 1848 sah man in Berlin bei der Hinrichtung eines Raubmörders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/335>, abgerufen am 26.06.2024.