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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Symbolik des Blutes.

Das Blntgenießen kommt außer den nicht hierher zu ziehenden Fällen des
Kannibalismus, wo das Menschenfleisch einfach als Nahrung dient, wirklich
vielfältig aus tierischer Wut, namentlich Kriegswnt vor. Kämpfer stürzen sich
in wildem Affekt anf die erlegte" Feinde, um ihr Blut zu trinken. Wie man
jemand "vor Liebe fressen" möchte, so korrespondirt mit dieser Liebe auch ihr
äußerster Kontrast, der Haß; auch er will verschlingen. Aber auch aus Kriegslist
vollführte mau nicht selten solche Greuel, um bei dem Schauder, den er erregte,
den Geguer durch deu Schein desselben in Furcht und Schrecken zu setzen.
Dies beruhte zugleich auf dem furchtbaren Aberglaube", daß mau durch das
Bluttrinken größer, gewaltiger, aber tierischer werde, daß man dadurch eine dä¬
monische Natur annehme. Auch der Kaiser Cnligula soll mit Blut genährt
worden sein, wodurch seine wahnsinnige Weise erklärt wird.

Spuren des Menschenopfers und insbesondre des Jungfrauenvpfers ragen
noch weit in das historische Zeitalter herein; Jungfräulichkeit ist das Symbol
der Reinheit, die Götter lieben das Reine, und so glaubt ma", ihnen ein an¬
genehmes Opfer zu bringen. Durch Reinheit versöhnt sich die üble That und
das schlechte Gewissen. Das griechische Altertum ist voll romantischer Jung-
srauenvpfer. Bei solchen kam es namentlich ans die Freiwilligkeit um. Am be¬
rühmtesten ist die Geschichte der Iphigenia, in der die Göttin, als es zum Vollzug
kommen soll, an die Stelle der Jungfrau eine Hirschkuh zum Opfer setzt. Solcher
Erzählungen vou stellvertretenden Opfern, die merkwürdige Parallelen zu der
Hingabe Jsaaks durch Abraham bilden, giebt es mehr; sie symbolisiren den Über¬
gang von einer barbarischen Sitte zu einer humanam Anschauung. Noch dem
Pelopidas gebietet vor der Schlacht bei Leuktra ein Gesicht, eine blonde Jung¬
frau zu schlachten, wenn er siegen wolle. Doch nach Beratschlagung mit den
Wahrsagern nimmt man ein schönes weibliches Füllen zum Ersatz. Die Sage
läßt auch andre Rettungen eintreten: so wird Hesione durch Herakles, Andro-
meda durch Perseus befreit.

Wie Jungfrauen, so wurden auch Kinder geopfert; man gebrauchte sie zur
Weissagung, ihre noch schuldlose, reine Natur machte sie dazu tauglich. Noch
von Elagebal und andern römischen Kaisern wird erzählt, daß sie ans den Ein¬
geweiden getöteter Knaben sich weissagen ließen. Noch eine andre Bedeutung
haben die Kinderopfer, die zumal bei deu Kauaaniteu und Karthagern vorkamen,
als Symbol der Hingabe des Teuersten an die Götter. Der Schmerz der
Eltern erhöhte dabei das Opfer. Auch in den europäischen Sagen hat die
Tradition des Kindermordes nicht aufgehört; sie findet sich namentlich in den
zahlreichen schauerlichen Erzählungen von Einmaueruug eines lebenden Kindes
zur Begründung größerer Bauten. In neuester Zeit wurde von dem Könige der
Aschanti glaubhaft berichtet, er habe zweihundert Mädchen schlachten lassen, nur
mit ihrem Blute den Mörtel zu mischen, der bei der Herstellung eines seiner
Paläste verwendet werden sollte.


Die Symbolik des Blutes.

Das Blntgenießen kommt außer den nicht hierher zu ziehenden Fällen des
Kannibalismus, wo das Menschenfleisch einfach als Nahrung dient, wirklich
vielfältig aus tierischer Wut, namentlich Kriegswnt vor. Kämpfer stürzen sich
in wildem Affekt anf die erlegte» Feinde, um ihr Blut zu trinken. Wie man
jemand „vor Liebe fressen" möchte, so korrespondirt mit dieser Liebe auch ihr
äußerster Kontrast, der Haß; auch er will verschlingen. Aber auch aus Kriegslist
vollführte mau nicht selten solche Greuel, um bei dem Schauder, den er erregte,
den Geguer durch deu Schein desselben in Furcht und Schrecken zu setzen.
Dies beruhte zugleich auf dem furchtbaren Aberglaube», daß mau durch das
Bluttrinken größer, gewaltiger, aber tierischer werde, daß man dadurch eine dä¬
monische Natur annehme. Auch der Kaiser Cnligula soll mit Blut genährt
worden sein, wodurch seine wahnsinnige Weise erklärt wird.

Spuren des Menschenopfers und insbesondre des Jungfrauenvpfers ragen
noch weit in das historische Zeitalter herein; Jungfräulichkeit ist das Symbol
der Reinheit, die Götter lieben das Reine, und so glaubt ma», ihnen ein an¬
genehmes Opfer zu bringen. Durch Reinheit versöhnt sich die üble That und
das schlechte Gewissen. Das griechische Altertum ist voll romantischer Jung-
srauenvpfer. Bei solchen kam es namentlich ans die Freiwilligkeit um. Am be¬
rühmtesten ist die Geschichte der Iphigenia, in der die Göttin, als es zum Vollzug
kommen soll, an die Stelle der Jungfrau eine Hirschkuh zum Opfer setzt. Solcher
Erzählungen vou stellvertretenden Opfern, die merkwürdige Parallelen zu der
Hingabe Jsaaks durch Abraham bilden, giebt es mehr; sie symbolisiren den Über¬
gang von einer barbarischen Sitte zu einer humanam Anschauung. Noch dem
Pelopidas gebietet vor der Schlacht bei Leuktra ein Gesicht, eine blonde Jung¬
frau zu schlachten, wenn er siegen wolle. Doch nach Beratschlagung mit den
Wahrsagern nimmt man ein schönes weibliches Füllen zum Ersatz. Die Sage
läßt auch andre Rettungen eintreten: so wird Hesione durch Herakles, Andro-
meda durch Perseus befreit.

Wie Jungfrauen, so wurden auch Kinder geopfert; man gebrauchte sie zur
Weissagung, ihre noch schuldlose, reine Natur machte sie dazu tauglich. Noch
von Elagebal und andern römischen Kaisern wird erzählt, daß sie ans den Ein¬
geweiden getöteter Knaben sich weissagen ließen. Noch eine andre Bedeutung
haben die Kinderopfer, die zumal bei deu Kauaaniteu und Karthagern vorkamen,
als Symbol der Hingabe des Teuersten an die Götter. Der Schmerz der
Eltern erhöhte dabei das Opfer. Auch in den europäischen Sagen hat die
Tradition des Kindermordes nicht aufgehört; sie findet sich namentlich in den
zahlreichen schauerlichen Erzählungen von Einmaueruug eines lebenden Kindes
zur Begründung größerer Bauten. In neuester Zeit wurde von dem Könige der
Aschanti glaubhaft berichtet, er habe zweihundert Mädchen schlachten lassen, nur
mit ihrem Blute den Mörtel zu mischen, der bei der Herstellung eines seiner
Paläste verwendet werden sollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/334>, abgerufen am 26.06.2024.