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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Symbolik des Blutes.

erst als Nabusaradau alle Juden zur Buße erschlagen wollte, da stand es stille.
Der Glaube, daß unter Annäherung des Schuldigen der Leichnam binde, war
so fest im Volke, daß mau in älterer Zeit ihn ernstlich vor Gericht als Beweis
gebrauchte; es war dies das sogenannte Bahrgericht. Daß eine so weit ver¬
breitete Volksanschauung auch in den Legendenkreis der Kirche eingedrungen ist,
hat nichts wunderbares. Das Blntfließen der Heiligen an ihren Jahrestagen
ist etwas ganz analoges und in den Legenden nicht ungewöhnlich.

Eine besondre Rolle spielt das Blut bei Bündnissen und Verbrüderungen,
zwischen Völkern sowohl wie zwischen einzelnen. Man ließ das Vink von Tieren
oder das eigne ineinander laufen und tauchte die Waffen darein oder trank es,
um durch diese symbolische Handlung die der Blutsverwandtschaft gleichkommende
Innigkeit der Verbindung auszudrücken. Es sind genug historische Berichte von
solchen Bluthunden vorhanden. Von Catilinn wird sogar das Gerücht über¬
liefert, er habe, bevor er den Verschworenen seinen Plan offenbarte, ihnen das
Blut eines getöteten Menschen zum Trinken gereicht und sie zum Eide darauf
genötigt. Noch in neuerer Zeit vermischten jüdische Brautpaare in Schlesien
Blut aus ihren Fingern bei der Hochzeit. Ältere Sagen von echten Freund¬
schaften giebt es mehrfach, bei denen eine Blutsbruderschaft, wenn auch verdunkelt,
heraustritt. In der Sage vou Amilus und Amelius sind goldne Becher an
die Stelle des Blutkrauts getreten, wie nicht selten Gold für Blut steht, in der
Sage von Engelhard und Engeltrant ein roter Apfel. Selbst auf die Götter
übertrug man das, Loki spricht in der alten Edda zu Odin: "Denkst du, Odin,
wie wir in uralter Zeit beide miteinander das Blut mischte"?"

Was diese Vlutbüude materiell siud, das ist geistlich der Bund, deu Christus
durch sein Blut gestiftet hat und dessen Symbol das Abendmahl ist. Die ersten
Christen wurden deshalb vou den Heiden, wie vieler andern Laster, so auch des
Blntbnndes beschuldigt; sie tränken in ihren religiösen Gemeinschaften Menschen-
blut und äßen Menschenfleisch. Man suchte den Märtyrern das Geständnis
solcher Schändlichkeiten auf der Folter auszupressen. Die Kirchenväter wiesen
diese Anklage, die noch in neuester Zeit vou Gelehrten als nicht unbegründet
angesehen wordeu ist, mehrfach zurück, gaben aber nie eine Aufklärung über das
Wesen des Abendmahls, da ihnen dies als ein Mysterium galt, das man Un¬
eingeweihten nicht mitteilt. Denselben Vorwurf konnte später das christliche
Volk gegen die Juden erheben; das ganze Mittelalter hindurch und noch bis in
unser Jahrhundert herein ging der gegründete Verdacht, daß die Juden am
Pnssah Kindsblut gebrauchten. Wenn die Kirchenväter zur Entkräftung der An¬
klagen betonten, daß es ihnen sogar verboten sei, Tierblut zu genießen, und
wenn sie somit im Abendmahl nicht reales Blut zu trinken glaubten, so hat
freilich die katholische Kirche in ihrer Transsnbstantintionslehre von dieser geist¬
lichen Auffassung sich eiuer vollkommen fleischlichen zugewendet, und eine Fülle
christlichen Volksabcrglaubens ist davon abzuleiten. Auch deu Gebrauch des so-


Die Symbolik des Blutes.

erst als Nabusaradau alle Juden zur Buße erschlagen wollte, da stand es stille.
Der Glaube, daß unter Annäherung des Schuldigen der Leichnam binde, war
so fest im Volke, daß mau in älterer Zeit ihn ernstlich vor Gericht als Beweis
gebrauchte; es war dies das sogenannte Bahrgericht. Daß eine so weit ver¬
breitete Volksanschauung auch in den Legendenkreis der Kirche eingedrungen ist,
hat nichts wunderbares. Das Blntfließen der Heiligen an ihren Jahrestagen
ist etwas ganz analoges und in den Legenden nicht ungewöhnlich.

Eine besondre Rolle spielt das Blut bei Bündnissen und Verbrüderungen,
zwischen Völkern sowohl wie zwischen einzelnen. Man ließ das Vink von Tieren
oder das eigne ineinander laufen und tauchte die Waffen darein oder trank es,
um durch diese symbolische Handlung die der Blutsverwandtschaft gleichkommende
Innigkeit der Verbindung auszudrücken. Es sind genug historische Berichte von
solchen Bluthunden vorhanden. Von Catilinn wird sogar das Gerücht über¬
liefert, er habe, bevor er den Verschworenen seinen Plan offenbarte, ihnen das
Blut eines getöteten Menschen zum Trinken gereicht und sie zum Eide darauf
genötigt. Noch in neuerer Zeit vermischten jüdische Brautpaare in Schlesien
Blut aus ihren Fingern bei der Hochzeit. Ältere Sagen von echten Freund¬
schaften giebt es mehrfach, bei denen eine Blutsbruderschaft, wenn auch verdunkelt,
heraustritt. In der Sage vou Amilus und Amelius sind goldne Becher an
die Stelle des Blutkrauts getreten, wie nicht selten Gold für Blut steht, in der
Sage von Engelhard und Engeltrant ein roter Apfel. Selbst auf die Götter
übertrug man das, Loki spricht in der alten Edda zu Odin: „Denkst du, Odin,
wie wir in uralter Zeit beide miteinander das Blut mischte»?"

Was diese Vlutbüude materiell siud, das ist geistlich der Bund, deu Christus
durch sein Blut gestiftet hat und dessen Symbol das Abendmahl ist. Die ersten
Christen wurden deshalb vou den Heiden, wie vieler andern Laster, so auch des
Blntbnndes beschuldigt; sie tränken in ihren religiösen Gemeinschaften Menschen-
blut und äßen Menschenfleisch. Man suchte den Märtyrern das Geständnis
solcher Schändlichkeiten auf der Folter auszupressen. Die Kirchenväter wiesen
diese Anklage, die noch in neuester Zeit vou Gelehrten als nicht unbegründet
angesehen wordeu ist, mehrfach zurück, gaben aber nie eine Aufklärung über das
Wesen des Abendmahls, da ihnen dies als ein Mysterium galt, das man Un¬
eingeweihten nicht mitteilt. Denselben Vorwurf konnte später das christliche
Volk gegen die Juden erheben; das ganze Mittelalter hindurch und noch bis in
unser Jahrhundert herein ging der gegründete Verdacht, daß die Juden am
Pnssah Kindsblut gebrauchten. Wenn die Kirchenväter zur Entkräftung der An¬
klagen betonten, daß es ihnen sogar verboten sei, Tierblut zu genießen, und
wenn sie somit im Abendmahl nicht reales Blut zu trinken glaubten, so hat
freilich die katholische Kirche in ihrer Transsnbstantintionslehre von dieser geist¬
lichen Auffassung sich eiuer vollkommen fleischlichen zugewendet, und eine Fülle
christlichen Volksabcrglaubens ist davon abzuleiten. Auch deu Gebrauch des so-


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[0332] Die Symbolik des Blutes. erst als Nabusaradau alle Juden zur Buße erschlagen wollte, da stand es stille. Der Glaube, daß unter Annäherung des Schuldigen der Leichnam binde, war so fest im Volke, daß mau in älterer Zeit ihn ernstlich vor Gericht als Beweis gebrauchte; es war dies das sogenannte Bahrgericht. Daß eine so weit ver¬ breitete Volksanschauung auch in den Legendenkreis der Kirche eingedrungen ist, hat nichts wunderbares. Das Blntfließen der Heiligen an ihren Jahrestagen ist etwas ganz analoges und in den Legenden nicht ungewöhnlich. Eine besondre Rolle spielt das Blut bei Bündnissen und Verbrüderungen, zwischen Völkern sowohl wie zwischen einzelnen. Man ließ das Vink von Tieren oder das eigne ineinander laufen und tauchte die Waffen darein oder trank es, um durch diese symbolische Handlung die der Blutsverwandtschaft gleichkommende Innigkeit der Verbindung auszudrücken. Es sind genug historische Berichte von solchen Bluthunden vorhanden. Von Catilinn wird sogar das Gerücht über¬ liefert, er habe, bevor er den Verschworenen seinen Plan offenbarte, ihnen das Blut eines getöteten Menschen zum Trinken gereicht und sie zum Eide darauf genötigt. Noch in neuerer Zeit vermischten jüdische Brautpaare in Schlesien Blut aus ihren Fingern bei der Hochzeit. Ältere Sagen von echten Freund¬ schaften giebt es mehrfach, bei denen eine Blutsbruderschaft, wenn auch verdunkelt, heraustritt. In der Sage vou Amilus und Amelius sind goldne Becher an die Stelle des Blutkrauts getreten, wie nicht selten Gold für Blut steht, in der Sage von Engelhard und Engeltrant ein roter Apfel. Selbst auf die Götter übertrug man das, Loki spricht in der alten Edda zu Odin: „Denkst du, Odin, wie wir in uralter Zeit beide miteinander das Blut mischte»?" Was diese Vlutbüude materiell siud, das ist geistlich der Bund, deu Christus durch sein Blut gestiftet hat und dessen Symbol das Abendmahl ist. Die ersten Christen wurden deshalb vou den Heiden, wie vieler andern Laster, so auch des Blntbnndes beschuldigt; sie tränken in ihren religiösen Gemeinschaften Menschen- blut und äßen Menschenfleisch. Man suchte den Märtyrern das Geständnis solcher Schändlichkeiten auf der Folter auszupressen. Die Kirchenväter wiesen diese Anklage, die noch in neuester Zeit vou Gelehrten als nicht unbegründet angesehen wordeu ist, mehrfach zurück, gaben aber nie eine Aufklärung über das Wesen des Abendmahls, da ihnen dies als ein Mysterium galt, das man Un¬ eingeweihten nicht mitteilt. Denselben Vorwurf konnte später das christliche Volk gegen die Juden erheben; das ganze Mittelalter hindurch und noch bis in unser Jahrhundert herein ging der gegründete Verdacht, daß die Juden am Pnssah Kindsblut gebrauchten. Wenn die Kirchenväter zur Entkräftung der An¬ klagen betonten, daß es ihnen sogar verboten sei, Tierblut zu genießen, und wenn sie somit im Abendmahl nicht reales Blut zu trinken glaubten, so hat freilich die katholische Kirche in ihrer Transsnbstantintionslehre von dieser geist¬ lichen Auffassung sich eiuer vollkommen fleischlichen zugewendet, und eine Fülle christlichen Volksabcrglaubens ist davon abzuleiten. Auch deu Gebrauch des so-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/332>, abgerufen am 26.06.2024.