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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Symbolik des Blutes.

wohin er sich zurückzieht. Dort wird er von der Familie des Meiers und be¬
sonders von der achtjährigen schönen Tochter desselben, die Tage lang zu seinen
Füßen sitzt, aufs treueste gepflegt und hat so schon drei Jahre jammervoll zu¬
gebracht, als er eines Tages dem Meier anf dessen Frage erzählt, wie er einzig
Genesung finden könne. Dies hört auch das junge Mädchen, und alsbald steht
ihr Entschluß fest, sich für ihren unglücklichen Herrn zu opfern. , Die zurück-
weiseudeu Vorstellungen ihrer Eltern und auch Heinrichs selbst weiß sie mit
siegreicher Beredsamkeit zu überwinden, indem sie geltend macht, daß es nnr
heilsam für sie sei, wenn sie für die Mühsale dieses Lebens die Krone des
Himmels eintausche. Endlich macht sich der arme Heinrich mit ihr aus den Weg
nach Salerno. Auch den Vorstellungen des Arztes gegenüber beharrt sie bei
ihrem Entschluß. Der Arzt schließt sich darauf mit ihr ein, sie wird entkleidet
ans einem Tisch festgebunden, und schon wetzt er das Messer, um ihr zum Herzen
zu schneiden. Das hört ihr in der Nähe befindlicher Herr, durch eine Spalte
in der Wand kann er hineinblicken, und als er die Jungfrau so schön erschaut,
bringt er es nicht übers Herz, das Opfer anzunehmen. Zugleich sieht er ein,
daß es sündhaft sei, sich wider Gottes Willen von seinem Übel befreien zu
wollen. Auf sein Pochen muß der Arzt öffnen, das über diese Wendung tief¬
betrübte Mädchen wird losgebunden, und sie treten wieder den Heimweg an.
Aber da erbarmt sich Gott ihrer, da er ihrer beider Treue gesehen, und macht
den armen Heinrich wieder gesund. Voller Freuven kehren sie zurück, durch
Gottes Gnade kommt Heinrich wieder zu Gut und Ehren und nimmt endlich
seine Lebensrettern: zur Gemahlin.

Diese einfache Erzühlnng, die Hartmann einer schriftlichen Quelle entnommen
hat, weist in ihren Bestandteilen anf sehr alte Vorstellungen von dem Wesen
und der Kraft des Blutes und dem Opfertode zurück, Vorstellungen, die dnrch
Zeiten und Völker eine sehr weite Verbreitung bis in die neueste Zeit herein
gefunden und in einer großen Reihe von Sagen und Gebräuchen ihre Aus¬
prägung erhalten habe". In einem wertvollen Aufsatz der Weimarischen Jahr¬
bücher hatte schon früher Paulus Cassel die Elemente ausgewiesen, ans denen
sich unsre Sage zusammensetzt. Neuerdings bietet er diese Untersuchung reich¬
lich vermehrt und über verwandte Anschauungen ausgedehnt noch einmal in
einem Buche dar/") Mit großer Belesenheit ist hier aus deu entlegensten Quellen
alles zusammengetragen, was sich zu dem Hartmannschen Gedicht in Beziehung
setzen läßt, und mit seinein Sinn sind die mythischen und sagenhaften Berichte
in ihrem ethischen Gehalt gedeutet in einer Weise, die im allgemeinen auf Billigung
rechnen kann; nur wo der Versasser sich auf das etymologische Gebiet begiebt,
erregen seine Ausführungen bisweilen Bedenken.



Die Symbolik des Blutes und der "arme Heinrich" von Hartmnnn von Ane.
Von l)r. Paulus Cassel. Berlin, A. Hofmann Ä Co., 1382. 265 S.
Die Symbolik des Blutes.

wohin er sich zurückzieht. Dort wird er von der Familie des Meiers und be¬
sonders von der achtjährigen schönen Tochter desselben, die Tage lang zu seinen
Füßen sitzt, aufs treueste gepflegt und hat so schon drei Jahre jammervoll zu¬
gebracht, als er eines Tages dem Meier anf dessen Frage erzählt, wie er einzig
Genesung finden könne. Dies hört auch das junge Mädchen, und alsbald steht
ihr Entschluß fest, sich für ihren unglücklichen Herrn zu opfern. , Die zurück-
weiseudeu Vorstellungen ihrer Eltern und auch Heinrichs selbst weiß sie mit
siegreicher Beredsamkeit zu überwinden, indem sie geltend macht, daß es nnr
heilsam für sie sei, wenn sie für die Mühsale dieses Lebens die Krone des
Himmels eintausche. Endlich macht sich der arme Heinrich mit ihr aus den Weg
nach Salerno. Auch den Vorstellungen des Arztes gegenüber beharrt sie bei
ihrem Entschluß. Der Arzt schließt sich darauf mit ihr ein, sie wird entkleidet
ans einem Tisch festgebunden, und schon wetzt er das Messer, um ihr zum Herzen
zu schneiden. Das hört ihr in der Nähe befindlicher Herr, durch eine Spalte
in der Wand kann er hineinblicken, und als er die Jungfrau so schön erschaut,
bringt er es nicht übers Herz, das Opfer anzunehmen. Zugleich sieht er ein,
daß es sündhaft sei, sich wider Gottes Willen von seinem Übel befreien zu
wollen. Auf sein Pochen muß der Arzt öffnen, das über diese Wendung tief¬
betrübte Mädchen wird losgebunden, und sie treten wieder den Heimweg an.
Aber da erbarmt sich Gott ihrer, da er ihrer beider Treue gesehen, und macht
den armen Heinrich wieder gesund. Voller Freuven kehren sie zurück, durch
Gottes Gnade kommt Heinrich wieder zu Gut und Ehren und nimmt endlich
seine Lebensrettern: zur Gemahlin.

Diese einfache Erzühlnng, die Hartmann einer schriftlichen Quelle entnommen
hat, weist in ihren Bestandteilen anf sehr alte Vorstellungen von dem Wesen
und der Kraft des Blutes und dem Opfertode zurück, Vorstellungen, die dnrch
Zeiten und Völker eine sehr weite Verbreitung bis in die neueste Zeit herein
gefunden und in einer großen Reihe von Sagen und Gebräuchen ihre Aus¬
prägung erhalten habe». In einem wertvollen Aufsatz der Weimarischen Jahr¬
bücher hatte schon früher Paulus Cassel die Elemente ausgewiesen, ans denen
sich unsre Sage zusammensetzt. Neuerdings bietet er diese Untersuchung reich¬
lich vermehrt und über verwandte Anschauungen ausgedehnt noch einmal in
einem Buche dar/") Mit großer Belesenheit ist hier aus deu entlegensten Quellen
alles zusammengetragen, was sich zu dem Hartmannschen Gedicht in Beziehung
setzen läßt, und mit seinein Sinn sind die mythischen und sagenhaften Berichte
in ihrem ethischen Gehalt gedeutet in einer Weise, die im allgemeinen auf Billigung
rechnen kann; nur wo der Versasser sich auf das etymologische Gebiet begiebt,
erregen seine Ausführungen bisweilen Bedenken.



Die Symbolik des Blutes und der „arme Heinrich" von Hartmnnn von Ane.
Von l)r. Paulus Cassel. Berlin, A. Hofmann Ä Co., 1382. 265 S.
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[0330] Die Symbolik des Blutes. wohin er sich zurückzieht. Dort wird er von der Familie des Meiers und be¬ sonders von der achtjährigen schönen Tochter desselben, die Tage lang zu seinen Füßen sitzt, aufs treueste gepflegt und hat so schon drei Jahre jammervoll zu¬ gebracht, als er eines Tages dem Meier anf dessen Frage erzählt, wie er einzig Genesung finden könne. Dies hört auch das junge Mädchen, und alsbald steht ihr Entschluß fest, sich für ihren unglücklichen Herrn zu opfern. , Die zurück- weiseudeu Vorstellungen ihrer Eltern und auch Heinrichs selbst weiß sie mit siegreicher Beredsamkeit zu überwinden, indem sie geltend macht, daß es nnr heilsam für sie sei, wenn sie für die Mühsale dieses Lebens die Krone des Himmels eintausche. Endlich macht sich der arme Heinrich mit ihr aus den Weg nach Salerno. Auch den Vorstellungen des Arztes gegenüber beharrt sie bei ihrem Entschluß. Der Arzt schließt sich darauf mit ihr ein, sie wird entkleidet ans einem Tisch festgebunden, und schon wetzt er das Messer, um ihr zum Herzen zu schneiden. Das hört ihr in der Nähe befindlicher Herr, durch eine Spalte in der Wand kann er hineinblicken, und als er die Jungfrau so schön erschaut, bringt er es nicht übers Herz, das Opfer anzunehmen. Zugleich sieht er ein, daß es sündhaft sei, sich wider Gottes Willen von seinem Übel befreien zu wollen. Auf sein Pochen muß der Arzt öffnen, das über diese Wendung tief¬ betrübte Mädchen wird losgebunden, und sie treten wieder den Heimweg an. Aber da erbarmt sich Gott ihrer, da er ihrer beider Treue gesehen, und macht den armen Heinrich wieder gesund. Voller Freuven kehren sie zurück, durch Gottes Gnade kommt Heinrich wieder zu Gut und Ehren und nimmt endlich seine Lebensrettern: zur Gemahlin. Diese einfache Erzühlnng, die Hartmann einer schriftlichen Quelle entnommen hat, weist in ihren Bestandteilen anf sehr alte Vorstellungen von dem Wesen und der Kraft des Blutes und dem Opfertode zurück, Vorstellungen, die dnrch Zeiten und Völker eine sehr weite Verbreitung bis in die neueste Zeit herein gefunden und in einer großen Reihe von Sagen und Gebräuchen ihre Aus¬ prägung erhalten habe». In einem wertvollen Aufsatz der Weimarischen Jahr¬ bücher hatte schon früher Paulus Cassel die Elemente ausgewiesen, ans denen sich unsre Sage zusammensetzt. Neuerdings bietet er diese Untersuchung reich¬ lich vermehrt und über verwandte Anschauungen ausgedehnt noch einmal in einem Buche dar/") Mit großer Belesenheit ist hier aus deu entlegensten Quellen alles zusammengetragen, was sich zu dem Hartmannschen Gedicht in Beziehung setzen läßt, und mit seinein Sinn sind die mythischen und sagenhaften Berichte in ihrem ethischen Gehalt gedeutet in einer Weise, die im allgemeinen auf Billigung rechnen kann; nur wo der Versasser sich auf das etymologische Gebiet begiebt, erregen seine Ausführungen bisweilen Bedenken. Die Symbolik des Blutes und der „arme Heinrich" von Hartmnnn von Ane. Von l)r. Paulus Cassel. Berlin, A. Hofmann Ä Co., 1382. 265 S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/330>, abgerufen am 26.06.2024.