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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Symbolik des Blutes.

eigentümers, der arme Handwerker der ehrliche Manu, der von dem reichrn Fa¬
brikanten, dem habgierigen Großhändler mißbraucht und übervorteilt wurde;
der Priester war ein Heuchler und Betrüger, der von der Leichtgläubigkeit und
Unwissenheit des Volkes lebte, der Fürst und seine Höflinge schwelgten von dem
Schweiße des Arbeiters, die Beamten waren die Blutsauger des Volkes. So
bildete sich bei ihm mehr und mehr eine pessimistische Anschnnung der bestehenden
Welt in Rvusseauscher Manier ans, und da er doch Verstand genng besaß, um
einzusehen, daß eine Rückkehr zum Naturzustände, "wo Mensch dem Meuschen
gegenübersteht," sein Ideal auch uicht verwirklichen könne, so hatte er sich in
den Glauben an die Möglichkeit einer Neuordnung der gauzeu europäische" Ge¬
sellschaft auf der Grundlage der allgemeinem Brüderlichkeit hineiuphantcisirt,
um deren Verwirklichung er alle Kraft seines Lebens zu setzen entschlossen
war. Als dann mit dem wachsenden Alter die Enttäuschung kam, als er,
ohne doch an seinem Jdealbilde irre zu werden, dasselbe immer weiter
vor sich znriickfliehen sah, wie der Wandrer in der Wüste die Trngerschei-
nuug der spiegelnden Wasserflut, da ergriff ihn immer tieferer Trübsinn,
seine Stimmung wurde bitterer und bitterer, ans dem warmen Menschenfreunde
drohte ein Menschenfeind zu werden, und selbst die, welche er am meisten liebte,
hatten in den letzten Jahren seines Lebens oft schwer unter der Lanne des ver¬
düsterten Greises zu leiden.

(Schluß folgt.)




Die Symbolik des Vlutes"

M. " H7Hi
MHeDer um den Beginn des zwölften Jahrhunderts lebende deutsche
Dichter Hartmann, der sich nach dem Geschlecht von Ane nennt,
berichtet in der lieblichen poetischen Erzählung "Der arme Heinrich"
von einer wunderbaren Heilung, die einem Ritter ans dem gleichen
Geschlechte widerfahren sei. Herr Heinrich von Ane, erzählt er,
lebte mit Gütern gesegnet, mit allen ritterlichen Tugenden geziert, in Glück und
Glanz weltfreudig und Gottes uneingedenk dahin, als ihn plötzlich in diesem
Übermut Gott mit einer schweren Krankheit, dem Aussatz, heimsuchte. Alles
flieht ihn, und mit einem Schlage wird er von der Höhe seines Glückes in
das tiefste Elend gestürzt. Vergebens sucht er Heilung bei den berühmtesten
Ärzten. Nur ein Arzt in Salerno weiß ein Mittel: mit dem Herzblut einer
reinen Jungfrau, die freiwillig ihr Leben für ihn hingeben würde, verspricht er
ihn zu heile". Der arme Heinrich, von der Unmöglichkeit überzeugt, ein solches
Mittel zu beschaffen, verschenkt seine Güter bis auf einen einsame" Meierhof,


Die Symbolik des Blutes.

eigentümers, der arme Handwerker der ehrliche Manu, der von dem reichrn Fa¬
brikanten, dem habgierigen Großhändler mißbraucht und übervorteilt wurde;
der Priester war ein Heuchler und Betrüger, der von der Leichtgläubigkeit und
Unwissenheit des Volkes lebte, der Fürst und seine Höflinge schwelgten von dem
Schweiße des Arbeiters, die Beamten waren die Blutsauger des Volkes. So
bildete sich bei ihm mehr und mehr eine pessimistische Anschnnung der bestehenden
Welt in Rvusseauscher Manier ans, und da er doch Verstand genng besaß, um
einzusehen, daß eine Rückkehr zum Naturzustände, „wo Mensch dem Meuschen
gegenübersteht," sein Ideal auch uicht verwirklichen könne, so hatte er sich in
den Glauben an die Möglichkeit einer Neuordnung der gauzeu europäische« Ge¬
sellschaft auf der Grundlage der allgemeinem Brüderlichkeit hineiuphantcisirt,
um deren Verwirklichung er alle Kraft seines Lebens zu setzen entschlossen
war. Als dann mit dem wachsenden Alter die Enttäuschung kam, als er,
ohne doch an seinem Jdealbilde irre zu werden, dasselbe immer weiter
vor sich znriickfliehen sah, wie der Wandrer in der Wüste die Trngerschei-
nuug der spiegelnden Wasserflut, da ergriff ihn immer tieferer Trübsinn,
seine Stimmung wurde bitterer und bitterer, ans dem warmen Menschenfreunde
drohte ein Menschenfeind zu werden, und selbst die, welche er am meisten liebte,
hatten in den letzten Jahren seines Lebens oft schwer unter der Lanne des ver¬
düsterten Greises zu leiden.

(Schluß folgt.)




Die Symbolik des Vlutes»

M. „ H7Hi
MHeDer um den Beginn des zwölften Jahrhunderts lebende deutsche
Dichter Hartmann, der sich nach dem Geschlecht von Ane nennt,
berichtet in der lieblichen poetischen Erzählung „Der arme Heinrich"
von einer wunderbaren Heilung, die einem Ritter ans dem gleichen
Geschlechte widerfahren sei. Herr Heinrich von Ane, erzählt er,
lebte mit Gütern gesegnet, mit allen ritterlichen Tugenden geziert, in Glück und
Glanz weltfreudig und Gottes uneingedenk dahin, als ihn plötzlich in diesem
Übermut Gott mit einer schweren Krankheit, dem Aussatz, heimsuchte. Alles
flieht ihn, und mit einem Schlage wird er von der Höhe seines Glückes in
das tiefste Elend gestürzt. Vergebens sucht er Heilung bei den berühmtesten
Ärzten. Nur ein Arzt in Salerno weiß ein Mittel: mit dem Herzblut einer
reinen Jungfrau, die freiwillig ihr Leben für ihn hingeben würde, verspricht er
ihn zu heile». Der arme Heinrich, von der Unmöglichkeit überzeugt, ein solches
Mittel zu beschaffen, verschenkt seine Güter bis auf einen einsame« Meierhof,


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[0329] Die Symbolik des Blutes. eigentümers, der arme Handwerker der ehrliche Manu, der von dem reichrn Fa¬ brikanten, dem habgierigen Großhändler mißbraucht und übervorteilt wurde; der Priester war ein Heuchler und Betrüger, der von der Leichtgläubigkeit und Unwissenheit des Volkes lebte, der Fürst und seine Höflinge schwelgten von dem Schweiße des Arbeiters, die Beamten waren die Blutsauger des Volkes. So bildete sich bei ihm mehr und mehr eine pessimistische Anschnnung der bestehenden Welt in Rvusseauscher Manier ans, und da er doch Verstand genng besaß, um einzusehen, daß eine Rückkehr zum Naturzustände, „wo Mensch dem Meuschen gegenübersteht," sein Ideal auch uicht verwirklichen könne, so hatte er sich in den Glauben an die Möglichkeit einer Neuordnung der gauzeu europäische« Ge¬ sellschaft auf der Grundlage der allgemeinem Brüderlichkeit hineiuphantcisirt, um deren Verwirklichung er alle Kraft seines Lebens zu setzen entschlossen war. Als dann mit dem wachsenden Alter die Enttäuschung kam, als er, ohne doch an seinem Jdealbilde irre zu werden, dasselbe immer weiter vor sich znriickfliehen sah, wie der Wandrer in der Wüste die Trngerschei- nuug der spiegelnden Wasserflut, da ergriff ihn immer tieferer Trübsinn, seine Stimmung wurde bitterer und bitterer, ans dem warmen Menschenfreunde drohte ein Menschenfeind zu werden, und selbst die, welche er am meisten liebte, hatten in den letzten Jahren seines Lebens oft schwer unter der Lanne des ver¬ düsterten Greises zu leiden. (Schluß folgt.) Die Symbolik des Vlutes» M. „ H7Hi MHeDer um den Beginn des zwölften Jahrhunderts lebende deutsche Dichter Hartmann, der sich nach dem Geschlecht von Ane nennt, berichtet in der lieblichen poetischen Erzählung „Der arme Heinrich" von einer wunderbaren Heilung, die einem Ritter ans dem gleichen Geschlechte widerfahren sei. Herr Heinrich von Ane, erzählt er, lebte mit Gütern gesegnet, mit allen ritterlichen Tugenden geziert, in Glück und Glanz weltfreudig und Gottes uneingedenk dahin, als ihn plötzlich in diesem Übermut Gott mit einer schweren Krankheit, dem Aussatz, heimsuchte. Alles flieht ihn, und mit einem Schlage wird er von der Höhe seines Glückes in das tiefste Elend gestürzt. Vergebens sucht er Heilung bei den berühmtesten Ärzten. Nur ein Arzt in Salerno weiß ein Mittel: mit dem Herzblut einer reinen Jungfrau, die freiwillig ihr Leben für ihn hingeben würde, verspricht er ihn zu heile». Der arme Heinrich, von der Unmöglichkeit überzeugt, ein solches Mittel zu beschaffen, verschenkt seine Güter bis auf einen einsame« Meierhof,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/329>, abgerufen am 26.06.2024.